Sphinx mit Sex-Appeal

Amanda Lear ist ebenso vielseitig wie geheimnis­umwittert. Als Model, Muse und Künstlerin suchte sie das Rampenlicht. In ihrem Leben aber bleibt vieles im Dunkeln.

Amanda Lear Porträt
Sie war Mannequin, Sängerin, Moderatorin und einiges mehr. Amanda Lears Karriere ist facettenreich und schillernd. Sie spielt mit dem Mythos um ihre Herkunft und ihr Geschlecht.Gerüchte, die Disco-Queen der 1970er sei als Mann geboren, gab es immer wieder. Foto: Jack Mitchell / Getty Images

Stammt sie nun aus Saigon, Hanoi – oder doch aus Hongkong? Und ihr Geburtsjahr: 1939, vielleicht auch erst 1946 oder 1950. Was aber sind die kleinen Geheimnisse um Herkunft und Alter gegen das Gerücht, Amanda Lear sei männlich auf die Welt gekommen! Sohn eines mal französischen, mal britischen Offiziers und einer russisch-chinesischen Mutter. Ein Junge mit dem Namen Alain. Der später Travestie-­Künstler in Paris wurde und noch später zu ­Amanda, dem androgynen Glamour-Girl mit verrucht tiefer – weil: eigentlich männlicher? – Stimme.

Amanda Lear selbst tat die Spekulationen um ihr Geschlecht vor einigen Jahren im italienischen Fernsehen als Erfindung ab, als von ihr inszenierten PR-Gag. In der Rai-1-Talkshow „Domenica in“ erzählte sie 2018, sie habe sich zu Beginn ihrer musikalischen Karriere interessanter machen wollen, auch weil sie ihre gesanglichen Qualitäten eher für gering hielt. Das Rätsel um ihre Sexualität beschäftigte die Menschen in Italien, dem Land, in dem sie als Sängerin und später als TV-Moderatorin am erfolgreichsten war, offenbar besonders anhaltend. Schon als sie sich 1978 für den Playboy ausgezogen habe, „gab es Wissenschaftler, italienische Ärzte, die haben mein Nacktfoto auf einem Bildschirm vergrößert und meine Schamhaare untersucht, die Wuchsrichtung … irre“, wundert sich die vielseitige Künstlerin rückblickend im ARTE-­Porträt „Queen Lear: Die Leben der Amanda Lear“.

Ihrer Popularität hat die vieldeutige, geheimnisvolle Aura, mit der sie sich selbst umgab, nicht geschadet. Im Gegenteil: Musikalisch schlug sie mit dem Song „The Sphinx“ Profit daraus, einem programmatischen Titel, ­Amanda Lear wie auf den knabenhaften Leib geschrieben. Dunkel-rauchig raunt sie darin: „I am famous or am I infamous?“ – Ich bin berühmt oder bin ich berüchtigt? Nun, wohl beides. Ihre laszive Ausstrahlung und ihre Androgynie trafen den Zeitgeist der Disco-Ära. Hatten sich im Glamrock der 1970er Jahre Männer mit betont femininen Looks ausgestattet, begegnete ihnen nun ein neuer Frauentypus aus umgekehrter Richtung. Neben ­Amanda Lear, deren Start ins Pop-Business durch den gleichfalls höchst androgynen David Bowie befördert wurde, stand dafür vor allem ­Grace ­Jones mit ihrer teils aggressiven Erotik. Wobei, den Vamp gab auch ­Amanda Lear – sinister-sinnlich lockend wie in ihrem größten Hit, „Follow Me“ von 1978.

Beziehungen ging sie bevorzugt mit Jüngeren ein. Auch der Mann, den sie als Liebe ihres Lebens bezeichnete und 1979 in Las Vegas heiratete, der französische Adelsspross, Schauspieler und Kunstsammler ­Alain-Philippe ­Malagnac ­d’Argens de ­Villèle, gehörte in diese Riege. Dass er schon lange in einer homosexuellen Beziehung zu seinem Adoptivvater und Gönner, dem Schriftsteller ­Roger ­Peyrefitte, stand, fügt sich in den schillernden Lear-Kosmos. Die Ehe endete im Jahr 2000 mit einer Tragödie: ­Malagnac starb beim Brand eines neu erworbenen, gemeinsamen Hauses in Südfrankreich unter ungeklärten Begleitumständen. Kurz zuvor war Roger ­Peyrefitte gestorben. Ein verabredeter Selbstmord gilt als nicht ausgeschlossen.

Queen Lear: Die Leben der Amanda Lear

Porträt

Freitag, 25.2. — 21.40 Uhr

bis 25.5. in der Mediathek

Vom Groupie zur Muse Dalís

Zu diesem Zeitpunkt widmete sich Amanda Lear längst wieder einer alten Leidenschaft: der Malerei. Der war sie in ihrem früheren Leben bereits mehrfach auf ganz unterschiedliche Weise begegnet – als Kunststudentin, als Malermodell und schließlich als langjährige Muse ­Salvador ­Dalís. 1965, in ihren Laufsteg- und Groupie-­Jahren in Swinging London, hatte sie den exzentrischen Spanier kennengelernt. Bald gehörte sie zu seinem jugendlichen Hofstaat. Auch ­Dalí schätzte ihre androgyne Gestalt und bescheinigte ihr, ein schönes Skelett zu haben – aus Sicht des Malers ein großes Kompliment. Dass er ihr Gedichte von ­García ­Lorca vortrug, nahm sie allerdings mehr für ihn ein.

2012, mit – vermutlich – über 70, enterte ­Amanda Lear erneut den Catwalk, bei einer Schau von Jean Paul ­Gaultier. Der hatte sie schon in den hedonistischen Disco-Jahren bewundert. Sie sei feminin und maskulin zugleich, so der Modeschöpfer im ARTE-Porträt. Und sie habe einen schwulen Humor: „Sie ist wirklich wie ein schwuler Mann.“

Sie hat einen schwulen Humor. Sie ist wirklich wie ein schwuler Mann

Jean Paul Gaultier, Modeschöpfer