Zehn Jahre nach dem Sieg über die Terrororganisation Islamischer Staat (IS) ist der Irak noch nicht zur Ruhe gekommen. Im Gegenteil: Die sogenannten Volksmobilmachungskräfte al-Haschd al-Schaabi – ein Bündnis von rund 40 schiitischen Milizen, die am Krieg gegen den IS beteiligt waren – haben sich seither zu einer Schattenmacht entwickelt.
Dazu zählen Gruppierungen wie Kataib Hisbollah, Harakat Hisbollah al-Nujaba oder Asaib Ahl al-Haq. Sie werden von Iran finanziert und handeln auf Weisung der Mullahs aus Teheran. Zwar wurden Teile der Truppen seit 2016 schrittweise in die irakischen Streitkräfte eingegliedert, aber nach Einschätzung von Guido Steinberg, Nahostexperte bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin, habe sich dadurch „eine parallele Struktur im irakischen Sicherheitssektor und der Gesellschaft zementiert“. Politische Parteien, Sicherheitskräfte und die Regierung unter Premierminister Mohammed Shia’ al-Sudani seien inzwischen regelrecht durchwirkt von pro-iranischen Akteuren. Al-Sudani gehört dem sogenannten Coordination Framework an, einem Bündnis schiitischer Parteien, von denen einige von Iran unterstützt werden.
Umso mehr wundert es, dass sich die Milizen während des Zwölftagekriegs zwischen Israel und Iran im Juni dieses Jahres, als Hunderte Raketen und Marschflugkörper über irakisches Territorium hinwegflogen, kaum in die Kampfhandlungen einmischten. Die Gründe für diese Zurückhaltung sind vielfältig. „Die Milizen im Irak sollten wohl als strategische Reserve dienen, die Iran mobilisiert hätte, falls sich die Vereinigten Staaten stärker am Krieg beteiligt hätten“, mutmaßen die Analysten des Institute for the Study of War in Washington. Lediglich drei US-Stützpunkte im Irak griffen Milizen der al-Haschd al-Schaabi während des Krieges an. Zum Vergleich: Nach dem Ausbruch des Gazakriegs im Oktober 2023 hatten sie gemeinsam mit den ebenfalls von Iran gelenkten libanesischen Hisbollah-Milizen über Wochen hinweg Dutzende Ziele in Israel beschossen.
Dieses Mal stand für Teherans Verbündete im Irak offenbar zu viel auf dem Spiel, schreibt Hossam Sadek, Politologe an der Universität Wien, in einem Fachbeitrag. „Zum einen fürchteten sie wohl, dass ein Angriff auf US-Ziele wirtschaftliche und politische Konsequenzen nach sich ziehen würde, und baten Teheran, aus dem Konflikt herausgehalten zu werden.“ Zum anderen seien sich die Gruppen ihrer Verwundbarkeit bewusst gewesen – vor allem gegenüber US-Angriffen auf Führungspersonal und Infrastruktur. Zudem wollten sie einen drohenden Machtverlust vermeiden, so Sadek: „Würden die USA massiv gegen die Milizen vorgehen, könnte dies langfristig den Einfluss Teherans im Irak schwächen und den sunnitischen und kurdischen Kräften im Land politischen Aufwind geben.“
Machtwechsel im November möglich
Während die al-Haschd al-Schaabi vor der Frage stehen, wie sie sich künftig positionieren sollen, steckt die irakische Regierung in einer Zwickmühle: Einerseits will Bagdad den Einfluss Irans vermindern, andererseits ist die Regierung auf die Milizen und auf das Wohlwollen der Mullahs angewiesen. Denn ohne die Milizen wäre die öffentliche Ordnung im Land bedroht, wie die Dokumentation „Irak im Kreuzfeuer“ zeigt, die ARTE im September ausstrahlt. Sie gewährt Einblicke in die Struktur der pro-iranischen Verbände und lässt einige ihrer Anführer sowie politische Beobachter zu Wort kommen.
Der überwiegend anti-amerikanische Kurs der Volksmobilmachungskräfte hatte die Annäherung Iraks an den Westen lange erschwert. Inzwischen verhandelt die Regierung aber – durchaus erfolgreich – mit westlichen Konzernen, die sich im Irak engagieren wollen. „Ob diese Entwicklung anhält, hängt auch vom Ausgang der Parlamentswahlen am 11. November ab“, sagt Hans Peter Pöhlmann, Nahost-Fachmann bei der deutschen Außenhandelsagentur Germany Trade and Invest, gegenüber dem ARTE Magazin: „Zurzeit deutet einiges darauf hin, dass der iranische Einfluss nach dem Zwölftagekrieg zurückgehen könnte.“
Zugleich steigt aber der Reformdruck auf die Regierung, und die von Wirtschaftsexperten geforderten Maßnahmen wie Subventionsabbau oder bessere Haushaltsdisziplin sind unpopulär. Sie kurz vor den Wahlen anzuordnen, wäre für al-Sudanis stärksten Rivalen, den Populisten Moktada al-Sadr, wohl eine Steilvorlage.
Irans Einfluss könnte infolge des Zwölftagekriegs zurückgehen






