VOM GLÜCKSKIND ZUM KAISER

HOMMAGE Mit Disziplin und Fleiß wurde Karl Lagerfeld zum Inbegriff von Kreativität, Bildung und Esprit. ICON-Chefredakteurin Inga Griese über den Mann, der die Modewelt 50 Jahre lang prägte.

Karl Lagerfeld. Foto: Privat, Paul Slade/Paris Match/Getty Images

Nun ist es fast schon ein Jahr her, dass die Nachricht, die zu erwarten war, doch aus heiterem Himmel einschlug. Ich wusste, dass Karl ­Lagerfeld nicht mehr gesund war, jeder konnte das sehen. Aber ich war wieder zuversichtlicher. Wenige Tage zuvor hatte er noch geschrieben, dass es ihm besser gehe, er sich freue auf unser Wiedersehen. Ich hatte norddeutsches Schwarzbrot geschickt, per Eilboten, ein Vielfaches von dem Brot hatte das absurderweise gekostet.

Dann saß ich im Büro, eine längere Telefonkonferenz hatte die Aufmerksamkeit, als ein Kollege hereinkam und einen Zettel hochhielt. Karl Lagerfeld ist tot, stand da. Es fällt mir bis heute schwer, das zu akzeptieren.

Ein schönes Ende für ihn, wenn man das so sagen darf. Der Abschied von der großen Weltbühne war keine mühselige Abschiedstournee, ein bisschen aufgedunsen war er auf den letzten Fotos ja, aber er hatte seinen Auftritt – und auch seinen letzten Lebensabschnitt unter Kontrolle. Jämmerlichkeit, das wäre echt das Letzte gewesen, mit dem er in Erinnerung hätte bleiben wollen. ­Marlene ­Dietrich hat er verehrt, auch weil sie das Idol von sich nicht zerstört hat.Längst war ja auch er zur Marke geworden. Zum Schattenriss, zur Karikatur, immer erkennbar, zum Inbegriff von Kreativität, Bildung und Esprit. Die Modewelt wäre ohne ihn in jeder Hinsicht ärmer. Er hatte ein Gespür für Zeitgeist und Transformationen, setzte das um in Bilder und Inszenierungen. Manche Leute glaubten nicht, dass er gut 300.000 Bücher besaß und sie kannte, wahrscheinlich war das eine Zumutung für die Skeptiker. Doch Normalmaß war nie der Maßstab seines Lebens gewesen, schon nicht, als er noch weniger berühmt und vermögend war.

Glücksklee hieß die Marke, die der Vater Otto ­Lagerfeld geschaffen hatte – womit er den Grundstein zum Wohlstand und damit auch den freien Weg für seinen Sohn gelegt hatte. Karl war quasi das Glückskind.

DIE SENDUNG AUF ARTE

Das Porträt „Karl Lagerfeld – Eine Legende“ gibt es am Sonntag, 9.2. ab 22.10 Uhr auf ARTE zu sehen und bis 7.2. 2024 in der Mediathek.

„Sprich schneller, langweile mich nicht“

Auch weil seine Mutter Elisabeth so viel mehr in ihm sah als in den Schwestern. Aber Glück allein war es eben nicht. Wenn, dann eher Fortune, die ­Lagerfeld mit großer Disziplin zu nutzen wusste. Auch weil seine beinharte Mutter ihn von klein auf gefordert hatte – durch „kleine Tritte“, wie er es liebevoll nannte. Welches Entsetzen würde es wohl in der modernen Pädagogik auslösen, wenn eine Mutter zu ihrem Kleinen sagen würde: „Sprich schneller, langweile mich nicht. Du bist sechs, nicht ich!“ Doch das war der Trigger, der ihn stets mehr beeindruckte als die Liebe und Großzügigkeit des Vaters. Den mochte er sehr. Die Mutter aber verehrte er. Nicht nur, weil er ihr auch optisch ähnelte. Die Gnadenlosigkeit war das eine, ihre Art, geradeaus zu sein, alles Nazihafte zu verabscheuen, die Freiheit, die sie sich nahm, zu sagen und denken, wie es ihr gefiel, das hat ihn geprägt so wie Allüre und Eleganz, die sie durchaus auch beherrschte. Und die Fürsorglichkeit des Vaters, die er aber eher im Hintergrund kultivierte. ­Jacques de ­Bascher, der einzige Mann, den er je liebte und mit dem er 18 Jahre liiert war, pflegte er bis zu dessen Aids-Tod, obwohl ihm alles Kranke, Unappetitliche zuwider war. Die nahe Mutter besuchte er in ihren letzten Tagen nicht mehr; als der Vater starb, erfuhr er es erst Tage nach der Beerdigung. Karl ­Lagerfeld war nahbar und gern mal schwatzhaft, aber ebenso diskret.

Sicher, es gab die Jahre des Protzens und des Überschwangs. Villen, Reisen, Jetset. Aber das langweilte ihn irgendwann genauso, wie die Mode ihn damals vorrübergehend gelangweilt hatte. Zu viele Synapsen in seinem Geist wollten unterhalten werden, gefüttert, angefeuert. Und immer war er ja Hanseat geblieben. Er mochte Glamour, aber nicht Schein. Je älter er wurde, desto lieber. Das mit der norddeutschen Seele gab er öffentlich nicht so gern preis; gern schnodderte er, dass er mit der Heimat nicht mehr so viel am Hut habe. Die Staatsbürgerschaft hat er gleichwohl und trotz aller französischen Ehrungen nie abgegeben, selbst als er so erschüttert war, dass mit der AfD tatsächlich „wieder Nazis im Reichstag“ eingezogen sind. Und er hat ­Claudia Schiffer nicht zu seiner Muse über so lange Zeit erkoren, weil sie aus dem Rheinland kam, aber dass sie miteinander Deutsch sprechen konnten und eine gleiche Auffassung von Disziplin hatten, das hat ihm gefallen.

Karl Lagerfeld. Foto: Michel Dufour/WIREIMAGE/Getty Images

Als er schließlich seiner Heimat mit einer grandiosen Chanel-Schau in der Elbphilharmonie ein modisches Denkmal setzte – tatsächlich waren Kunden, Gäste, Journalisten aus der ganzen Welt angereist –, ging es um mehr als eine coole Location. Er hatte das Tor, durch das seine Mutter ihn in die Welt geschickt hatte, emotional wieder zurückdurchschritten. Bei der After-Show-Party in der Fischauktionshalle sang ein Shanty-Chor alte Seemannslieder. Und plötzlich hakte ­Lagerfeld ­Kristen ­Stewart und Lily-­Rose Depp, die ihn flankierten, unter und begann leise zu schunkeln. Nicht die Karnevals­bewegung, sondern die melancholische der Matrosen. Das Bild hat sich mir eingeprägt wie das Gegenteil: Bei der Party der Chanel-Schau auf Kuba, ein Spektakel für sich, riss es ihn aus dem Sofa und er tanzte ausgelassen in seinem Glitzerjacket zur Musik der Combo, deren Durchschnittsalter seines übertraf. Noch so eine Legende, übrigens: ­Lagerfeld hat nicht versucht, sich jünger zu machen. Er wollte nur nicht katalogisiert werden.

Als er starb, hat die ganze Welt kondoliert, allen voran ­Monsieur ­Macron und seine Frau. Nur der Bundespräsident nicht. Vielleicht, weil Karl ­Lagerfeld der weltweit bekannteste Deutsche war? Neid? Ahnungslosigkeit? Ignoranz? Also genau das Deutsche, das Lagerfeld fremd war?

„Schau nach vorn!“, das war sein Motto. Da fehlt jetzt etwas. Jemand. Wahrscheinlich schauen wir deswegen so gern zurück zu ihm.