Kurs perfekt abgesteckt

Wolfgang Petersens Kriegsdrama „Das Boot“ verhalf dem Regisseur zu einer Traumkarriere in Hollywood. Viele der Darsteller profitierten ebenfalls vom Erfolg des Films – trotz anfangs miserabler Kritiken.

Das Boot
Festlicher Schweinebraten in den Tiefen des Atlantiks: Noch ahnen die Offiziere von U-96 nicht, was ihnen in der Meerenge von Gibraltar droht. Von links: der Leitende Ingenieur (Klaus Wennemann), der Kaleu ­(Jürgen Prochnow), Leutnant ­Werner (Herbert Grönemeyer), der 2. Wachoffizier (Martin ­Semmelrogge) und der 1. Wachoffizier (Hubertus Bengsch). Im Hintergrund: Bootsmaat Frenssen (Ralf Richter) Foto: United Archives_dpa

Noch heute gibt es für Friedrich Grade kaum einen besseren Zeitvertreib als „Schiffe versenken“. Regelmäßig fordert der ehemalige U-Boot-Fahrer die anderen Bewohner im Seniorenheim dazu heraus. Mit dem realen Seekrieg, den er als Leitender Ingenieur des Unterseeboots U-96 erlebte, hat das Spiel freilich keine Ähnlichkeit. „Auf dem Papier ist alles harmlos und unblutig. Im Krieg dagegen war jeder Tag, den wir überlebten, ein Geschenk des Himmels“, erinnert sich der 104-Jährige. Drei Viertel der deutschen ­U-Boot-Besatzungen, mehr als 30.000 Männer, kamen während des Zweiten Weltkriegs ums Leben. Keine andere Truppengattung hatte eine höhere Sterberate. Auch Lothar-Günther Buchheim fuhr auf U-96 mit. Im Herbst 1941 ging der damalige Kriegsmaler im Auftrag einer ­Marine-Propagandakompanie in St. ­Nazaire an Bord. Er dokumentierte den siebten Einsatz des Bootes fotografisch und wollte „anständige deutsche Helden sehen“, wie der Kommandeur des Schiffes, ­Heinrich Lehmann-­Willenbrock, die Besatzung kurz vor dem Auslaufen instruierte.

„Aus Bestseller wird Blockbuster“
Drei Jahrzehnte später verarbeitete Buchheim, der mit ­Lehmann-Willenbrock auch nach dem Krieg befreundet blieb, seine Erinnerungen in dem Roman „Das Boot“. Er wurde zum Bestseller – trotz oder gerade wegen der hitzigen Debatte, die das Buch auslöste. 1978, fünf Jahre nach Erscheinen des Romans, der in 18 Sprachen übersetzt wurde, begannen die Dreharbeiten zum gleichnamigen Film unter der Regie von ­Wolfgang ­Petersen. Er machte aus ­Buchheims Vorlage eine der erfolgreichsten deutschen Kinoproduktionen. Die Herstellung verschlang für europäische Verhältnisse ungeheuere 32 Millionen DM. „Nicht nur das Budget, auch die Erzählweise machte ,Das Boot‘ quasi zur ersten deutschen Hollywood-­Produktion – obwohl die Traumfabrik gar nicht daran beteiligt war“, sagt Georg Grill, einer der beiden Filmautoren der ARTE-Doku „Das Boot – Welterfolg aus der Tiefe“. Allerdings missfiel die Machart vielen bundesdeutschen Feuilleton­federn: Nach der Premiere 1981 zerrissen sie den Film – mal wegen historischer Ungenauigkeiten, mal wegen angeblicher Kriegsverherrlichung. Auch Autor ­Buchheim äußerte sich lautstark, man habe sein Werk „total verhunzt“.

Erst nachdem der Film in den USA zum Überraschungserfolg avanciert war, inklusive sechs Oscar-Nominierungen, strömten auch die Deutschen in die Kinos. In der Folge blickten die Studiobosse aus Los Angeles sehr aufmerksam in Richtung Bundesrepublik: Dort hatte eine neue Generation von Filmschaffenden gezeigt, was sie kann. „Regisseur ­Petersen und junge Darsteller wie ­Martin ­Semmelrogge oder Uwe ­Ochsenknecht traten aus dem Schatten der 1970er-Autorenfilme heraus, für die sich außerhalb Europas kaum jemand interessierte, und empfahlen sich durch ihre Leistungen in ,Das Boot‘ für internationale Produktionen“, sagt Grill im Gespräch mit dem ARTE Magazin. Für Petersen und Kameramann Jost ­Vacano war das gleichsam die Eintrittskarte nach Hollywood. „Sie hatten bewiesen, dass sie aus einem Genre-Stoff einen Blockbuster machen konnten“, so Grill. ­Vacano gelang das erneut bei Paul ­Verhoevens „Robocop“ (1987) und „Total Recall“ (1990); ­Petersen sorgte etwa mit dem Pandemie-Thriller „Outbreak“ (1995) und dem Historiendrama „Troja“ (2004) für Kassenerfolge.

„Vor allem bei sogenannter Faction, der Verquickung von Fiktion und Fakten, wächst ­Petersen über sich hinaus“, urteilt Grill. Für „Das Boot“ holte sich der Regisseur eigens den Kommandanten Lehmann-­Willenbrock als Berater ans Set. Gern hätte Petersen wohl auch den U-96-Ingenieur ­Friedrich ­Grade dabei gehabt. Doch der winkte ab: Sein Tagebuch, das er heimlich an Bord geführt hatte, widersprach ­Buchheims Erinnerungen in vielen Punkten. „Als Berater hätte ich den Film, dessen Sprache mir in Teilen zu vulgär ist, womöglich torpediert.“

Das Boot – Welterfolg aus der Tiefe

Kulturdoku

Sonntag,
17.1. — 22.30 Uhr

Martin Semmelrogge
Bereits in seiner Jugend feierte der gebürtige Schwabe erste Erfolge als Schauspieler. In den 1970ern schloss er sich der Sex-and-Drugs-and-Rock’n’Roll-Karawane an, bevor ihm 1981 mit „Das Boot“ der Durchbruch gelang. Foto: Florian Ostermann

Das war kein normaler Dreh

Martin Semmelrogge, Schauspieler

Für viele junge Darsteller hatte das „Das Boot“ den Effekt eines Karriereturbos. Etwa für Martin ­Semmelrogge. Der damals 24-Jährige war bei Drehbeginn bereits ein versierter Theaterschauspieler. Allerdings entsprach er den Vorgaben des Castings nicht perfekt, da für den Part des 2. Wachoffiziers laut Drehbuch eine jüngere Person vorgesehen war. Dennoch erhielt er den Zuschlag. Im Film spielt er einen hartgesottenen U-Boot-Fahrer, der mit dem rüden Umgangston der Maate und Mannschaften souverän zurechtkommt. Eine Paraderolle für ­Semmelrogge, der auch im echten Leben gut austeilen und einstecken kann.

Martin Semmelrogge Wir müssen reden!

arte magazin Einverstanden. Worüber denn?
Martin Semmelrogge Über ein Missverständnis. Viele Leute denken, nachdem sie den Film gesehen haben, ich sei ein Militärfan. Das ist völliger Quatsch: Ich bin Kriegsdienstverweigerer. In diese merkwürdige Männerwelt, da unten im U-Boot, wäre ich normalerweise niemals eingetaucht.

arte magazin Dann aber doch. Wie kam’s?
Martin Semmelrogge (lacht) Sie brauchten einen wie mich.

arte magazin Und was für einer war das?
Martin Semmelrogge Mehr so der launige Typ, der alles nicht so ernst nimmt, immer einen Spruch aus dem Ärmel schüttelt und die Moral der Truppe verbessert. Und einer, der wenig von militärischer Rangordnung hält und mit dieser Einstellung gelegentlich aneckt. Die Rolle des 2. Wachoffiziers war wie maßgeschneidert. Nach kurzer Zeit am Set hatte ich mich so hineingelebt, dass ich dachte, ich sei wirklich ein U-Boot-Fahrer.

arte magazin Method Acting?
Martin Semmelrogge Genau. Das ging so weit, dass wir einander in den Drehpausen mit dem Dienstgrad anredeten. Und in der Kantine bei der Bavaria saßen die Offiziere an einem anderen Tisch als die Mannschaften. ­Wolfgang (Regisseur ­Petersen, d. Red.) hat das unterstützt. Und er hat stets daran geglaubt, dass wir es schaffen werden, trotz der teils widrigen Drehbedingungen Höchstleistungen zu vollbringen. Schließlich wollte er den besten U-Boot-Film aller Zeiten drehen. Als das Modell von U-96 eines Nachts im Sturm zerbrach und wir die Produktion unterbrechen mussten, hielt er uns an, nicht den Bezug zur Rolle zu verlieren. Ich pausierte drei Monate und blieb in Gedanken der 2. WO. Das war gar nicht einfach.

arte magazin Wie viele Drehtage hatten Sie insgesamt?
Martin Semmelrogge Ungefähr 150. Und jeder war einzigartig.

arte magazin Inwiefern?
Martin Semmelrogge Das war kein normaler Dreh. Stell dir vor, du arbeitest tagein, tagaus in einer stinkenden Stahlröhre, wirst ständig mit kaltem Wasser nassgespritzt, polterst in der engen Kulisse von einer Wand an die andere, wenn die Wasserbombenszenen an der Reihe sind. Die Bedingungen waren extrem. Hinzu kam: Bei vielen Szenen hatten wir nur einen Take. Alle mussten perfekt spielen, damit es authentisch wirkte.

arte magazin Apropos authentisch: In der Doku zum Film heißt es, „Nicht nur das Brot, auch die Männer schimmelten.“
Martin Semmelrogge Für die echte U-96 mag das gestimmt haben, aber so schlimm war es am Set dann doch nicht.

arte magazin Und die Szene mit dem Hyazinthen-Gewächs?
Martin Semmelrogge  (lacht) Ja klar, da war echter Schimmel im Brot. Hoher Ekelfaktor. Auch die Hartwurst, die überall an den Rohren und Instrumenten hing, verschimmelte im Lauf der Zeit. Wir haben ja monatelang gedreht, und die Wurst hing dort vom ersten Tag bis zum letzten.

arte magazin Wirklichkeitsgetreu ging es auch zu, als der Hafen von La Rochelle für die Schlussszene des Films bombardiert wurde. Wie hat das auf Sie gewirkt?
Martin Semmelrogge Bedrohlich, im wahrsten Sinne des Wortes. Das waren keine nachträglich eingebauten digitalen Effekte. Sogar die Flugzeuge waren echte Spitfires, die von französischen Piloten geflogen wurden. Special-Effects-­Meister Karl ­Baumgartner, wir nannten ihn Bomben-Charly, erlebte eine Sternstunde: Überall krachte und blitzte es, dicke Rauchschwaden zogen durch die Luft. In einer Szene musste ich rennen und mich in den Dreck werfen. Aber das Timing der Explosion stimmte nicht. Also das Ganze noch einmal. Da hat er es dann zu gut gemeint: Die Rauchwolke war so schwarz und dicht, dass ich kaum mehr atmen konnte.

arte magazin Das Eintauchen in die Rolle nahm mitunter groteske Formen an. Jedenfalls wird kolportiert, dass Sie in La Rochelle auf einem Motorrad in einer Bar direkt an den Tresen gefahren sind, um ein Bier zu bestellen.
Martin Semmelrogge Die Barfrau kannte mich.

arte magazin Trotzdem etwas wild, oder?
Martin Semmelrogge Im Vergleich dazu, was einen Tag zuvor geschehen war, eher harmlos.

arte magazin Und zwar?
Martin Semmelrogge Ich hatte zwei Tage Drehpause. Ein Setfotograf war gerade in La Rochelle. Wir verbrachten einen Nachmittag gemeinsam und tranken etwas über den Durst. Plötzlich hatte er die Idee, den Bewohnern der Stadt zu zeigen, wie sich die U-Boot-Fahrer im Krieg aufführten. Wir besorgten uns Uniformen aus der Kostümkammer und torkelten in eine Bar, in der wir uns benahmen, als wären wir gerade von dreimonatiger Feindfahrt zurückgekehrt. Die Gäste fanden das gar nicht lustig.

arte magazin Hatte die Aktion Folgen?
Martin Semmelrogge Nicht, dass ich wüsste.

arte magazin Wie sehen Sie den Film heute?
Martin Semmelrogge Er hat etwas bewirkt! Anfangs waren wir enttäuscht, auch die Publikumsreaktionen waren eher mau. Dann kam die Premiere in den USA – und die hat alles verändert. Nach der Vorführung herrschte erst mal minutenlang Schweigen. Dann: Standing Ovations. Nach dem Screening in Los Angeles hat „Das Boot“ richtig Fahrt aufgenommen. Und inzwischen haben wohl fast alle verstanden, was ­Wolfgang mit dem Film sagen wollte: Es geht um die Verlogenheit des Krieges, um den Zusammenhalt der Crew und deren Konflikte. Ich denke, das hat er gut hinbekommen.