Kurven für das gute Leben

Lange bevor Skandinavien dem Hygge-Trend verfallen ist, sorgte der Finne Alvar Aalto für Wohlbefinden: Seine nahbare Architektur und geschwungenen Designs setzten neue Maßstäbe in der Moderne.

Foto: Mark Edward Smith/Bridgeman Images

Es lief alles so schön rund in seinem Leben. Da überrascht es, dass gegen Ende doch noch gröbere Kränkungen aufkamen. In den turbulenten 1960ern musste sich ­Alvar ­Aalto, der finnische ­Architektur- und Design-­Superstar, den eine ARTE-Doku im Februar porträtiert, einige Kritik gefallen lassen. Ein nimmersatter Platzhirsch sei er, ein dominanter Besserwisser, der seinen Erfolg vor allem dem Establishment zu verdanken habe, schimpften junge Finnen. Die vormals ob ihrer Eleganz gelobten Banken, Fabriken und Verwaltungssitze, die ­Aalto, der auch im Rentenalter noch hochkreativ arbeitete, entworfen hatte, stießen die linke Jugend ab.

Außerhalb seiner Heimat kämpfte ­Aalto, 1898 geboren und 1976 verstorben, gegen eine völlig konträre Art des Unbehagens – er sprach von der „Belanglosigkeit allgemeiner Bekanntheit“, nachdem er und sein Architekturbüro ab Ende der 1950er mit internationalen Auszeichnungen und Medaillen geradezu überschüttet worden waren. Zu Hause zu wenig und im Ausland zu viel geliebt? Ein Dilemma, das ­Aalto mit anderen Genies verbindet.

Oben: Bereits 1932 entwarf Alvar Aalto den rundherum runden Paimio Chair. Links: Die Savoy-Vase, auch Aalto-Vase genannt. Rechts: Die Lampe A110 von 1952 bekam den Spitznamen „Handgranate“. Fotos: Maija Holma/Alvar Aalto Foundation

Alvar Aalto: Finnlands großer Architekt

Porträt

Mittwoch, 10.2. — 22.00 Uhr
bis 11.3. in der Mediathek

„Eine sensiblere Struktur für das Leben“
Dass Alvar Aalto die Kritik überhaupt an sich heranließ, hatte sicher damit zu tun, dass er am Anfang seiner Karriere selbst den Ruf des radikalen Rebellen hatte. Waren seine frühen Skizzen und Entwürfe noch geprägt vom nordischen Klassizismus, der die antike griechische und römische Formensprache aufgriff und mit neuen Elementen verband, verschrieb er sich ab Ende der 1920er Jahre dem fortschrittlichen Funktionalismus der Moderne. Innerhalb dieses Gestaltungsprinzips, das der US-Architekt ­Louis ­Sullivan mit den Worten „Form follows function“ („die Funktion bestimmt die Form“) beschrieb, entfaltete ­Aalto seine Talente – und seine Liebe zu organischen, humanen Formen. Das Runde, das Wellige, das Geschwungene und Fließende machte sich der Finne zu eigen, was vor allem bei der Architektur öffentlicher Gebäude einer Revolution gleichkam. „Ich habe das Gefühl, dass es im Leben viele Situationen gibt, in denen die Organisation zu brutal ist. Die Aufgabe des Architekten ist es, dem Leben eine sensiblere Struktur zu geben“, sagte ­Aalto dazu.

Viele der spektakulärsten Aalto-Bauten stehen in seiner Heimat, darunter das Tuberkulosesanatorium in Paimio – ein Schlüsselwerk, in dem ­Aalto das Prinzip „Heilung durch Architektur“ erstmals umsetzte. Außerdem das Stadtzentrum in Seinäjoki, das Haus der Kultur in Helsinki und das als Sommerresidenz entworfene, sogenannte Experimentalhaus in Muuratsalo. Auch in Deutschland schätzte man den Finnen, wie das 1957 im Rahmen der Ausstellung Interbau („Die Stadt von morgen“) kreierte Etagenwohnhaus im Berliner Hansaviertel, das Aalto-Hochhaus in Bremen und mehrere Kirchen- und Kulturbauten in Wolfsburg beweisen. Was viele nicht wissen: Ein Großteil der mit seinem Namen verbundenen Entwürfe, egal ob architektonischer Art oder im Objektdesign, entstand in Kooperation mit seinen Ehefrauen: ­Aino Marsio-­Aalto, die 1949 starb, und ­Elissa ­Mäkiniemi, die er 1952 heiratete. Beide arbeiteten ebenfalls als Architektinnen und Designerinnen und waren als Geschäftsführerinnen maßgeblich an ­Alvar ­Aaltos erfolgreichen Firmen beteiligt.

Die enge und fruchtbare Zusammenarbeit mit seinen Partnerinnen – vor allem ­Aino Marsio-­Aalto gilt als Pionierin ihrer Zunft – hielt ­Aalto allerdings nicht davon ab, ein Künstlerdasein mit patriarchalen Zügen zu führen. „Ich erinnere mich, dass er immer sehr viel Zeit hatte. Sein Büro hatte er immer im Haus. Zwischendurch ging er einen Kaffee trinken und summte ein Lied. Dann kehrte er ins Büro zurück und zog ein paar Striche“, erzählt Tochter ­Johanna ­Alanen, Jahrgang 1925, in der ARTE-Doku. „Er fand: ­Ainos Aufgabe sei vor allem, sich um ihn zu kümmern. Dann um die Kinder und danach um die Arbeit.“

Abgesehen von der kreativen Seite gilt auch das Geschäftsmodell von ­Aaltos Firma Artek, die er 1935 zusammen mit Ehefrau ­Aino und zwei finnischen Freunden gegründet hatte, als wegweisend. Im Direktvertrieb verkaufte das Unternehmen nordisches Design – etwa in Form von Sitzmöbeln, Vasen wie dem berühmten Modell „Savoy“ und anderem Interieur. In Ausstellungen wurden die Objekte geschickt präsentiert, so als stammten sie direkt aus den finnischen Wäldern. „Modern, naturverbunden, nachhaltig“, lauteten die Verkaufs­argumente. Bis heute schmücken sich Möbelhersteller aus Skandinavien, allen voran der größte Einrichtungskonzern der Welt, mit diesem verlockenden Dreiklang. Anders als bei ­Aalto und ­Artek geht es dabei jedoch oft um Massenprodukte, die die Versprechen nicht unbedingt erfüllen.