Nach der Welle

Als die Flut durch das Ahrtal donnerte, traf sie fast alle unvorbereitet. Matthias Fuchs hat eine Chronik der Zerstörung erstellt – und er schaut nach vorn.

Ahrtal nach der Flut
Ein Jahr nach der Flut im Ahrtal rekonstruiert ­Matthias Fuchs in seinem Film die Geschehnisse vom 14. auf den 15. Juli 2021 – anhand der Erzählungen der Menschen vor Ort, die in dieser Nacht Schreckliches erlebten. Von der Ahr weitet sich der Blick auf die globale Ebene: Inwieweit war das Hochwasser eine Folge des Klimawandels – und wie können Städte sich besser auf Extremereignisse vorbereiten? Foto: Boris Roessler / picture alliance / dpa

Dass der Regen eine Spur der Verwüstung hinterlassen würde, zeigte sich zuerst auf den Campingplätzen. Dort, wo die Wohnwagen nahe am Wasser platziert waren, etwa bei der Anlage Stahlhütte in der Nähe vom Ort Dorsel, im oberen Tal der Ahr. Immer schneller stieg das Wasser am 14. Juli 2021, wurde zur Flutwelle und riss ab spätnachmittags zahlreiche Fahrzeuge vom Platz, die an Brücken flussabwärts zerschellten wie Spielzeug. „Ich habe gehört, dass es regnen soll, dass es 170, 200 Liter Regen geben soll – aber was das bedeutet, darunter konnte ich mir überhaupt nichts vorstellen“, erinnert sich der Campingplatz-Betreiber Mario Frings ein Jahr nach der furchtbaren Flutkatastrophe im Ahrtal.

Mehr als 130 Menschen haben durch das Hochwasser ihr Leben verloren, viele Tausende ihre Häuser, ihr Hab und Gut, ihre Heimat. In seinem Dokumentarfilm „Die Nacht, als die Flut kam – Protokoll einer Klimakatastrophe“ schildert Regisseur ­Matthias Fuchs die entscheidenden Stunden an jenem Mittwoch im vergangenen Sommer. Dazu nutzt er Handyaufnahmen von Betroffenen wie ­Mario Frings, spricht mit Menschen vor Ort sowie mit Klimaforschern in England, Frankreich und Deutschland – stets mit den Fragen im Blick: Was genau ist passiert und warum? „Zur Katastrophe im Ahrtal habe ich immer zwei Meinungen gehört“, erzählt Fuchs im Gespräch mit dem ARTE Magazin. „Oft sagen die Jüngeren, dass wir in Deutschland den Klimawandel erstmals mit voller Wucht erlebt haben. Ältere meinen, die begradigten Flüsse sind schuld daran, dass es zu solchen Schäden kommen konnte.“ Mit seinem Film wollte er herausfinden, welche der Thesen stimmt.

Tatsächlich kamen Forscher aus Bonn zu dem Ergebnis, dass es bereits im Jahr 1804 vergleichbare Wassermengen gegeben habe, die durch das Ahrtal geflossen sind – allerdings mit weniger dramatischen Folgen für die Menschen. „Das Wasser ist damals weniger hoch gestiegen, da das Tal eben noch nicht so stark bebaut war“, so Fuchs.

Die Nacht, als die Flut kam – Protokoll einer Klimakatastrophe

Dokumentarfilm

Dienstag, 28.6. — 20.15 Uhr

bis 25.9. in der Mediathek

Ahrtal nach der Flut
Foto: Murat Tueremis / laif

Blick in die Zukunft
Dennoch lässt sich auch der Einfluss des Klimawandels nicht leugnen: Bei der sogenannten Attributionsforschung, die im Film vorgestellt wird, vergleichen Wissenschaftler die reale Welt, auf der wir leben, mit einer simulierten Welt, in der es keinen Klimawandel gibt. Die Unterschiede offenbaren, inwieweit die weltweit steigenden Temperaturen für Extremereignisse verantwortlich sind – und mit welcher Wahrscheinlichkeit diese auftreten. So wissen wir heute, dass das Potenzial für Starkregen wie jenen vom Juli 2021 durch die Erderwärmung zugenommen hat – und zwar um das bis zu Neunfache. „Solche Katastrophen wird es künftig also häufiger geben, nicht nur alle paar Generationen, sondern in jeder Generation vielleicht mehrmals“, sagt Fuchs. In seinem Film zeigt er auch Lösungsansätze, wie Städte von morgen Extremereignissen entgegentreten können, etwa durch Deiche, tiefere Kanäle und angepasste Überflutungsflächen.

Im Ahrtal haben die Wassermassen die Menschen überrascht: Viele mussten die Nacht auf ihren Dächern verbringen, in Angst, ob ihr Haus der Flut standhalten kann – im Film gezeigte Handy­videos fangen die beklemmende Atmosphäre ein.
Immer wieder fuhr der 43-jährige Regisseur aus seiner Heimat Bonn ins Ahrtal, um das Vertrauen der Menschen zu gewinnen, die ihre Geschichte erzählen. „Viele sind noch immer traumatisiert“, so Fuchs. Dennoch habe sich niemand gestört gefühlt. Im Gegenteil: „Alle haben gesagt, es sei wichtig, dass sie Aufmerksamkeit bekommen, damit sie nicht vergessen werden. Denn viele müssen immer noch kämpfen, um Hilfen, um Entschädigungen.“ An vielen Ecken sehe es immer noch schlimm aus.

Auch für den Filmemacher waren die Begegnungen nicht leicht. Der schwerste Moment: der Dreh mit den Eltern der jungen Feuerwehrfrau, die bei der Flut starb. ­Katharina war erst 19, als sie versuchte, eine verletzte Frau auf dem Campingplatz bei Dorsel zu retten. Beide wurden vom Wasser eingeschlossen und ertranken. Fuchs fand es sehr berührend, mit der Mutter zu sprechen: „Sie wollte, dass das Andenken ihrer Tochter gewahrt wird, und zeigen, dass ihr Tod nicht sinnlos war – da sie beim Versuch gestorben ist, jemand anderen zu retten.“

Solche Katastrophen wird es künftig häufiger geben

Matthias Fuchs, Dokumentarfilmemacher