Priesterin, Mutter, Punk

Patti Smith wollte immer anders sein, selbst als Musikerin im Mainstream. Eine fast unlösbare Aufgabe – und doch gelingt sie der Künstlerin seit einem halben Jahrhundert.

Patti Smith, Porträt
Foto: Brad Trent / Redux / laif

Aals sie 1967 in die damals knallharte Kulturhauptstadt der Welt zog, wollte Patti Smith Dichterin werden. Der Traum: Gedichte schreiben in New York City, etwas malen – ohne Geld vielleicht, aber mit Vollkontakt zum wilden Leben der Boheme im Chelsea Hotel. Mit Leuten wie ­Janis ­Joplin und dem Schriftsteller ­William S. ­Burroughs.

Ihr Traum ging auf, aber wie jeder Traum nahm er Umwege. Der erfolgreichste führte über den Rock and Roll: Als Patti Smith ihre Gedichtvorträge vom Gitarristen ­Lenny Kaye begleiten ließ, nahm ihre Karriere Fahrt auf. ­Burroughs, der alte Grantler, sagt in einem Buch über die Geschichte des US-amerikanischen Punk, Smith wäre weder als Lyrikerin noch als Malerin weit gekommen. Aber beim Konzert mit Kaye soll er 1971 ausgerufen haben: „She’s really got it“, die hat es echt drauf!

Der Respekt für Patti Smith hält seit 50 Jahren an – mittlerweile hat sie den Status einer Legende, die New York in den 1970ern überlebt hat und in ihrer Karriere immer wieder zu überraschen wusste. Das ist wohl ihr Geheimnis: Ihr viel geäußerter Wunsch, anders – also „different“ – zu sein, ist dank ihrer Lieder und ihrer Auftritte tatsächlich Wirklichkeit geworden.

Einer der Schlüssel ihres erfolgreichen Wandels über ein halbes Jahrhundert ist ihre schillernde Spiritualität. Die ersten Auftritte mit Gitarre und Langgedicht, die ­Burroughs so elektrisierten, fanden in einer Kirche statt. Eine Form der Bühne, die der bibelfesten Smith und ehemaligen Zeugin Jehovas nicht fremd war. Doch der Ton der Priesterin, der Smith mit Punk mitten in den Pop-Mainstream trug, kommt nicht nur aus dem Christentum.

Rock and Roll ist Kommunion und ein Konzert die Messe, die gemeinsam mit dem Publikum zelebriert wird. Dabei hatte Patti Smith nie Angst, esoterisch zu klingen; teils berief sie sich auf Rituale und Gesänge von amerikanischen Ureinwohnerinnen und Ureinwohnern. Besonders live überführt Smith die Theorie in die Praxis. Es geht dann nicht mehr um die Schrift im Wort „Schriftstellerin“. Es geht viel stärker um die Performance selbst, um Pop. „Die Sprache des Rituals ist die Sprache des Moments“, sagt Smith im selben Buch, in dem ­Burroughs jubelt („Please Kill Me – The Uncensored Oral History of Punk“, 2016). Smith merkte früh, dass ihre Lyrik auf Papier nicht so der „hot shit“ sei. Aber auf der Bühne wirkte ihre Sprache eben sehr gut. Im Manhattan der 1970er konnte sie vielen Stars aus der Nähe zusehen, etwa dem Beat-Poeten ­Allen ­Ginsberg, in den Electric Lady Studios sogar ­Jimi ­Hendrix oder der Band Television im Punk-Geburtshaus, dem Club „CBGB“.

Wie Smith ging es diesen Performern um Kunst als Trance und als Ritual. Bis heute versucht Smith bei ihren Auftritten an die rohe Energie jener Zeit anzuknüpfen, was nicht immer einfach ist. Wenn man Glück hat, schafft sie es und holt die Unvorhersehbarkeit zurück, die im globalen Tourneegeschäft mittlerweile meist verschwunden ist. Wenn man Pech hat, wirken ausgebreitete Arme und improvisierte Poesie etwas peinlich. Aber was soll’s, ­Patti Smith meint es ernst mit dem Anderssein, da gehört das Scheitern dazu.

Patti Smith: Poesie und Punk

Porträt

Freitag, 7.1. — 21.45 Uhr

bis 7.3. in der Mediathek

Patti Smith, Porträt
Godmother of Punk: Patti Smiths Einflüsse als Künstlerin im New York City der 1970er Jahre waren vielfältig – ihre Auftritte als Rockmusikerin (hier 1978 in Manchester) immer schon maximal unberechenbar. Foto: Howard Barlow / Redferns / Getty Images

Patti Smith Live at Montreux 2005

Konzert

Freitag, 7.1. — 22.40 Uhr

bis 7.3. in der Mediathek

Lieber Ungeschminkt

Auch wenn Pop das Anderssein schon lange als Produkt verpackt – Patti Smith bleibt ein besonderer Fall. Man kann nur erahnen, was sich eine Frau im Musikgeschäft anhören musste, die sich selbst die Haare schneidet, den Damenbart auch fürs Plattencover nicht rasiert und nie Schminke benutzt. Nicht als sie jung war und nicht als sie älter wurde.

Clive Davis hat das nie gestört, er sah, dass Smith stärker ist als die Konvention. ­Davis zählte lange zu den mächtigsten Männern der Musikwelt; er gilt als Entdecker von Pink Floyd und ­Bruce ­Springsteen – 1975 nahm er Patti Smith unter Vertrag. Davis schickte ihren Eltern ihr Debütalbum „Horses“ und schrieb einen rührenden Brief dazu. „Sie werden viel über sie lesen in Zukunft“, steht da. ­Davis behielt recht. Zur Unvorhersehbarkeit dieser Künstlerin gehörte auch, dass sie sich als Punkikone in den 1980ern genauso um ihre zwei Kinder kümmerte wie später um ihren kranken Mann, Fred „Sonic“ Smith von der Rockband MC5. Ihre Selbstsicherheit war danach groß genug, um die Rückkehr auf die Bühne zu schaffen. Was sicherlich half: ein Katalog an Hits, darunter das Stück „Because The Night“, das sie mit ­Bruce ­Springsteen geschrieben hatte.

Vor zehn Jahren gelang Smith schließlich doch noch der Übertritt ins Fach der Schriftstellerei, das ihr ­William S. ­Burroughs nicht zugetraut hatte: „Just Kids“ erzählt autobiografisch von ihrer Freundschaft mit dem New Yorker Fotografen ­Robert ­Mapplethorpe. 2020 veröffentlichte Smith die Rückschau „Im Jahr des Affen“, in der es um die vielen Verstorbenen in ihrem Leben geht. Selbst dem Tod blickt ­Patti Smith ungeschminkt ins Auge.

Die Sprache des Rituals ist die Sprache des Moments

Patti Smith, Musikerin und Dichterin