»Unmittelbarkeit fasziniert mich«

Schauspielen heißt, sich selbst zurückzunehmen. Wie das funktioniert, erklärt Martina Gedeck im Interview.

Martina Gedeck, Schauspielerin
Martina Gedeck, Schauspielerin, geboren im September 1961 in München, studierte Schauspiel an der HdK in Berlin und gilt als eine der vielseitigsten Charakterdarstellerinnen ihrer Generation. Foto: Jens Koch/Picture Press

Wenn es das Drehbuch vorsieht, kann ­Martina ­Gedeck mühelos einen großen Auftritt hinlegen. Ansonsten verzichtet sie lieber darauf und konzentriert sich auf das, was sie am besten kann: Filmfiguren ein Gesicht und einen facettenreichen Charakter geben. Im August widmet ARTE der Schauspielerin, die mit Robert de Niro „Der gute Hirte“ drehte und in Deutschland mit so gut wie allen TV- und Kinogrößen arbeitet, eine Filmreihe. Mit dem ARTE Magazin sprach sie über Intimität, Gefallenwollen und Kommunikation ohne Worte.

arte magazin Sie feiern im September 60. Geburtstag. Ist nach eineinhalb Jahren im Lockdown eine Party geplant?
Martina Gedeck Ich fürchte, ich habe an dem Tag sogar Arbeit angenommen. Weil ich damals, mitten in der Pandemie, dachte, es ist sowieso egal. Ich würde aber gerne ein Fest feiern, nicht unbedingt anlässlich meines Geburtstags, aber ein Sommerfest wäre schön. Wir fangen gerade wieder an, ab und zu Gäste zu haben. Und ich muss sagen, ich genieße die Kommunikation mit anderen Menschen sehr.

arte magazin Man war während der langen Phase zu Hause ja sehr auf sich selbst zurückgeworfen. Haben Sie in dieser Zeit etwas Neues über sich gelernt?
Martina Gedeck Meine Beobachtung ist, dass meine Wahrnehmung durch diese Zeit der Enthaltsamkeit geschärft wurde. Im Moment begegne ich allem, was mir widerfährt, mit großer Lebensfreude. Und ohne dass ich das selber initiiert hätte, fühle ich eine besondere Kraft, die anders ist als früher.

arte magazin Inwiefern anders?
Martina Gedeck Das Bewusstsein für die Fragilität des Lebens ist unmerklich in Leib und Seele übergegangen. Die Ingredienzien meines Berufes – das Sichaustauschen, das Sichberühren – sind lebensnotwendig und nicht bloß Zugabe. Ich habe wenig gearbeitet und die Freuden des Alltags erlebt. Aber ich hatte große Sehnsucht nach der Selbstverständlichkeit im Zusammensein mit anderen. Eine Zeit lang habe ich trotzdem noch Dinge vorbereitet und zum Beispiel Gedichte vor mich hingesprochen. Aber alles wurde abgesagt. Da habe ich angefangen, ganz alleine an Dingen zu arbeiten, ohne Ziel und Zweck, einfach nur aus Freude an der Sache selbst. Davon profitiere ich jetzt enorm.

Bella Martina – Die Schauspielerin Martina Gedeck

Filmreihe

ab 18.8

Martina Gedeck
Foto: Gene Glover

arte magazin Sie drehen seit 1986 Filme, zählt man Ihre Rollen, kommt man auf mehr als 90. Was für ein Pensum!
Martina Gedeck In den ersten zehn Jahren meiner Karriere habe ich im Prinzip alles gespielt, was reinkam. Die Rollen wurden im Laufe der Zeit immer interessanter und auch substanzieller. Dazu kommt die sprecherische Arbeit, die sehr intensiv ist, Konzerte, Hörbücher, Radio. Ich mag die Vielfalt.

arte magazin Sie haben im Theater angefangen, machen inzwischen aber fast ausschließlich Filme. Warum?
Martina Gedeck Filmen ist intimer als Theaterspielen. Man ist ganz bei sich, man kann dabei nicht lügen oder so tun als ob. Man muss eins werden mit dem, was man sagt und macht. Jede noch so kleine Geste, jeder Blick, jede Augenbewegung, alles wirkt unmittelbar und deutlich. Diese Unmittelbarkeit, mit der ich mein Gegenüber erreichen kann, fasziniert mich.

arte magazin Aber im Theater haben Sie die direkte Reaktion des Publikums.
Martina Gedeck Ja, und das ist etwas sehr Schönes. Wenn man auf der Bühne steht, geht man in einen Dialog mit den Zuschauern. Aber die Distanz ist in jedem Fall größer. Egal, ob es das Auge der Kamera oder des Publikums ist: In jedem Fall wird man angeschaut. Und es geht darum, sich nicht beobachtet zu fühlen, sondern in Kontakt mit dem Gegenüber zu treten. Das ist das ABC des Berufs und gilt für beides, Theater und Film.

arte magazin Es gibt ja sehr unterschiedliche Methoden von Schauspielern, sich in Rollen ­hineinzuversetzen. Method Actors zum Beispiel leben wochenlang so wie ihre Figuren. Was machen Sie, bevor es ans Drehen geht?
Martina Gedeck Eigentlich nichts in der Art. Nur weil ich im Film einem Mann zum ersten Mal in meinem Leben begegne, muss ich ihm nicht auch wirklich am Set zum ersten Mal begegnen. Ich betreibe keine biografische Arbeit. Die Figuren sind erfunden, und auch ich erfinde und lasse meine Vorstellungskraft arbeiten. Ich gehe immer vom vorliegenden Material aus. Ich arbeite mit den Texten und mit dem, was an Situationen im Drehbuch gegeben ist.

arte magazin Dabei sind Sie dafür bekannt, gerade das Nonverbale virtuos zu transportieren. In „Deine besten Jahre“ von Dominik Graf, den ARTE im August zeigt, spielen Sie eine begüterte Ehefrau, die ihr Leben in die eigenen Hände nimmt. Und obwohl Sie nicht viel Text haben, geben Sie Ihrer Figur enorme Tiefe.
Martina Gedeck Dominik Graf ist ein Meister darin, mit filmischen Mitteln zu arbeiten, ohne dass alles ausgesprochen und erklärt werden muss. Was mich betrifft, baue ich mir für jedes Drehbuch eine emotionale Partitur. In dem Moment, in dem ich das innere Gerüst für die Rolle kenne, kann ich die Körpersprache dazu entwickeln.

arte magazin Das heißt, Sie lernen vorher nicht nur den Text auswendig, sondern auch die Gestik und Mimik?
Martina Gedeck Nein, Gestik und Mimik ergeben sich aus der emotionalen Situation von selbst. Abgesehen vom Textlernen ist es eine geistige Arbeit im Vorfeld, ein Ausloten der Möglichkeiten und Spannungsfelder, in denen sich die Figur bewegt. Allerdings entstehen dann im Zusammenspiel mit der Regie und mit den anderen Schauspielern ganz viele Dinge, die nicht vorbereitet, sondern intuitiv sind.

arte magazin „Die Wand“, die Verfilmung des feministischen und zivilisationskritischen Romans von ­Marlen ­Haushofer, die ARTE ebenfalls zeigt, ist ein hervorragendes Beispiel für Ihre Kunst, sich ohne Worte auszudrücken.
Martina Gedeck Da habe ich ja quasi gar keinen Text. Ich spreche mit den Tieren, allerdings in ihrer Sprache, und die ist lautlos.

arte magazin Sie spielen eine Frau, die für ein Wochenende in eine Jagdhütte fährt, dann aber feststellen muss, dass sie von einer unsichtbaren Wand umgeben ist. Ihre einzigen Gefährten in diesem Gefängnis sind Tiere.
Martina Gedeck Bei diesem Film ging es darum, über Atmosphären zu kommunizieren. Die sind eigentlich immer da, nur nehmen wir sie nicht immer wahr. Es ist enorm schwierig, das Atmosphärische in einer künstlichen Situation wie einem Filmset herzustellen. Aber wenn es da ist, dann kann man darauf schweben, tanzen und sich frei bewegen.

arte magazin Sie spielen selten Heldinnen, sondern oft spröde, ambivalente Figuren. Die Gourmetköchin in ­Sandra Nettelbecks Film „Bella Martha“ beispielsweise ist …
Martina Gedeck … eine widerständige Person! Mich hat an dem Film interessiert, dass da jemand absolut zielgerichtet seinem Beruf nachgeht. Martha merkt gar nicht, wie sehr sie darin versinkt. Ihre Umwelt empfindet sie als kommunikationsgestört, doch sie selbst sieht das gar nicht so.

arte magazin Es gibt gerade eine gesellschaftliche Debatte über Identität. Eine Forderung ist, dass zum Beispiel Homosexuelle im Film nur von Homosexuellen gespielt werden sollen. Was halten Sie davon?
Martina Gedeck Film bietet die Möglichkeit, sich auf ungefährliche Weise mit dem Fremden zu beschäftigen, es zu durchdenken und darüber zu sprechen, zu lachen und zu weinen. Wenn man sich einen Film über einen Diktator anschaut, versteht man vielleicht die Mechanismen einer Diktatur, ohne sie selbst erleben zu müssen. Für uns Schauspieler heißt das, dass wir uns hineinversetzen in eine Figur, die wir nicht selbst sind. Wenn ich zum Beispiel eine Mörderin spiele, muss ich dafür niemanden umgebracht haben. Aber vielleicht kenne ich starke Gefühle wie Hass. Es ist dann interessant für mich, zu erforschen, wie und wodurch Hass entsteht.

arte magazin Wie erklären Sie sich die Sehnsucht des Publikums, den Menschen hinter der Künstlerin kennenzulernen?
Martina Gedeck Gibt es die wirklich? Wenn ich zum Beispiel über ­Sophia ­Loren nachdenke, dann freut es mich zu hören, dass sie einen Mann und viele Kinder hat, gerne Spaghetti kocht, ab und zu im Garten arbeitet und danach schwarze Fingernägel hat. Das passt zu ihr und ich kann es gut nachvollziehen. Aber ist es wirklich notwendig, diese Informationen zu haben? Schauspieler sind Projektionsflächen, ich will mir etwas vorstellen, wenn ich sie auf der Leinwand sehe. Deshalb will ich privat gar nicht so viel über sie wissen. Im besten Fall wird meine Fantasie entzündet. Und das hat mit dem Wesen des Künstlers zu tun, nicht mit seinem Privatleben.

Man muss lernen, bei sich zu bleiben. Das ist das ABC meines Berufs

Martina Gedeck, Schauspielerin