Seifenoper auf Italienisch

Mit ihrem Hang zu Pomp und Pop haben die Versaces die Mode geprägt. Private Tragödien schüren die Familienlegende.

Designer Gianni mit Schwester Donatella Versace
Foto: Evelyn Hofer:Getty Images

Die Geschichte hat etwas Märchenhaftes, auf ihre eigene, grelle Art. Da ist der geniale Modeschöpfer aus einfachen Verhältnissen in Süditalien. Sein irrer Erfolg mit Kleidern, die immer etwas zu bunt aussehen, mit zu viel Gold dran, die aber von Prinzessin ­Diana ebenso getragen werden wie von diversen Supermodels. Ein paar Jahre später, auf dem Höhepunkt seines Ruhms, liegt der Designer ermordet auf den Stufen seiner Villa. Das Unternehmen taumelt, sein Vermächtnis ist in Gefahr, doch zahlreiche Zerrüttungen später triumphiert die jüngere Schwester. Hätte sich jemand die Familie ­Versace ausgedacht, man würde ihr Schicksal unwahrscheinlich finden, ein bisschen dick aufgetragen. Da es wahr ist, kann man es so sagen: Oper und Seifenoper lagen bei den ­Versaces immer nah beieinander.

Die Versace-Saga

Kulturdoku

TV ab 28.7. — 21.55 Uhr
bis 25.10. in der Mediathek

Dabei hatte alles ganz beschaulich begonnen. In Kalabrien, am äußersten Zipfel des italienischen Festlands, schaute der junge ­Gianni ­Versace (1946–1997) seiner Mutter das Schneiderhandwerk ab. „Das Entwerfen fiel mir leicht“, sagte er später. „Ich brauchte mich nicht anzustrengen.“ Sein Talent fiel auf: Ab 1972 arbeitete er in Mailand erst für verschiedene Modemarken, gründete schließlich sein eigenes Haus. Dass es bis heute zu den großen Namen der Branche gehört, liegt auch daran, dass seine Handschrift so unverkennbar ist. Wer sonst würde es wagen, dramatische Barockschnörkel mit Zebramuster zu kombinieren, römische Antike und Marilyn-Monroe-­Prints mit Nieten und jeder Menge Lederzeug zu verquirlen? Wer eine Versace-­Klamotte sieht, erkennt Versace.

Von Beginn an stand die Marke für einen harten Glamour, zu dem immer auch viel nackte Haut gehörte. Miniröcke und Jackets für Junge, Wohlhabende und gut Trainierte, die vor allem eins wollten: Spaß haben. Damit passte sie bestens in die hedonistischen 1980er und 1990er Jahre, die die gesellschaftlichen Kontroversen der 68er-Ära überwunden glaubten. Dafür, dass manche seinen Stil vulgär fanden, hatte ­Gianni ­Versace nur ein Schulterzucken übrig: „Die Neureichen sind die Reichen von morgen.“ Entsprechend verzahnte er Mode und Pop, ließ ­Naomi Campbell zur Musik von ­George ­Michael über den Laufsteg tanzen und ­Madonna und Jon Bon ­Jovi für Werbekampagnen fotografieren. Als Meister der Vermarktung entwarf er alles von der Handtasche bis zum Suppenteller. Andere Modemarken zogen nach.

Doch egal wie global Versace agierte: Zur Gründungserzählung gehörte stets, dass man sich als Familienbetrieb verstand. Die ARTE-Dokumentation „Die Versace-­Saga“ nähert sich dem Clan, an dessen Spitze drei Geschwister standen. Die Rollen waren klar verteilt: Hier ­Gianni, der kreative Work­aholic, der sich mit Architektur auskannte und ­Picassos kaufte. Dort ­Donatella, das blonde Partygirl, das ihren Bruder beriet und Accessoires entwarf. Etwas abseits vom Scheinwerferlicht agierte der älteste Bruder Santo, der sich ums Geschäftliche kümmerte (und irgendwann, viel später, zum Politiker im Berlusconi-Lager wurde). Was aber, wenn das Gleichgewicht kippt?

 

Ende der 1970er Jahre gründet der Designer Gianni Versace in Mailand ein Familien­unternehmen, das bald zum globalen Modekonzern aufsteigt.
Ende der 1970er Jahre gründet der Designer Gianni Versace in Mailand ein Familien­unternehmen, das bald zum globalen Modekonzern aufsteigt. Foto: Guy Marineau/ARTE

EINE ELFJÄHRIGE ALS HAUPTERBIN

1997 befand sich das Modehaus auf dem Zenit seines Erfolgs, als Gianni in seinem Zweitwohnsitz Miami erschossen wurde. Der Täter: ein Serienmörder namens Andrew Cunanan, der einige Tage später Selbstmord beging. Die Tat, die zuletzt in Serien wie „American Crime Story“ verwurstet wurde, riss nicht nur ein Loch in die Familie, auch das Label stand nun ohne Strippenzieher da. Zur weiteren Verkomplizierung hatte Gianni 50 Prozent des Geschäfts an Donatellas Tochter Allegra vererbt – damals gerade elf Jahre alt. „Ohne diese List im Testament hätte ich das Unternehmen vielleicht verlassen“, räumte Donatella einmal ein. So aber musste sie übernehmen, mittelmäßigen Kollektionen, einem veränderten Zeitgeist, Gerüchten über Mafia-Verbindungen und dem Kokain trotzen. Es sollte dauern, ehe sie und Versace sich berappelt hatten. Heute regiert Donatella als unangefochtene Matriarchin; ihre Formel: weniger Lederriemen, mehr Tragbares. Wie groß ihr Einfluss auf die Gegenwartskultur ist, zeigte sich vor einigen Jahren ausgerechnet abseits der Laufstege. Als Jennifer Lopez in einer grünen Versace-Robe bei den Grammys erschien, suchten danach so viele Menschen online nach dem Kleid, dass Entwickler sich eine neue Funktion ausdachten: Die Google-Bildersuche war geboren. Ein bisschen Versace steckt also selbst in den profanen Ecken des Internets.

Die Neureichen von heute sind die Reichen von morgen

Gianni Versace, Modedesigner