Sie sind wieder da

Wölfe galten in Europa mehr als 150 Jahre lang als ausgerottet. Kaum nach Deutschland zurückgekehrt, macht sich Unruhe breit: Der Wolf schade und soll wieder geschossen werden, heißt es. Was ist das Problem? 

Wolfsrudel im Schnee
Foto: Franz Aberham:Getty Images

Hinterhältig rät er Rotkäppchen, die Mahnungen der Mutter zu missachten, und auch die sieben Geißlein überlistet der Räuber mühelos: In altdeutschen Märchen ist es oft der Wolf, der die Guten auf dem Gewissen hat. Die Gruselgeschichten rund um den Isegrim sind bis heute beliebt, Kinder hören sie auf Nachtwanderungen oder am Lagerfeuer und lernen, sich vor dem mit dem Hund verwandten Raubtier zu fürchten.

Wen wundert es da, dass die zunehmende Wiederverbreitung der Wölfe in Deutschland nun abermals Unsicherheit in der Bevölkerung auslöst – und Urängste triggert? Vor 150 Jahren war das Tier erfolgreich ausgerottet worden, vorwiegend aus Angst vor wirtschaftlichen Einbußen durch Nutztierrisse – aber auch die Menschen fürchteten landauf, landab, angegriffen zu werden. Dank verschärfter Naturschutzregelungen verbreitet sich der Wolf seit der Jahrtausendwende nun wieder, erst im Osten Deutschlands, mittlerweile in fast allen Bundesländern.

Wilder Grenzgänger – Der Wolf ist zurück

Dokumentarfilm

Samstag, 30.12.
— 20.15 Uhr
bis 27.2.24 in der
Mediathek

Im vergangenen Jahr wurden 161 Rudel registriert, der Großteil davon in Brandenburg, Sachsen und Niedersachsen. Analog zur Verbreitung der Wolfsrudel verzeichnen Landwirte und Hobbytierhalter zunehmende Angriffe auf Nutztiere: Die Schadensstatistik der ­Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes zum Wolf (DDBW) zählt allein 2022 mehr als 1.000 Übergriffe durch Wölfe, bei denen mehr als 4.000 Huftiere, meist Schafe oder Ziegen, verletzt oder getötet wurden. 

Im August twitterte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU): „Der Wolf gehört nicht zu uns“ – und sprach damit aufgebrachten Weideviehhaltern aus der Seele. Zwei Monate später verkündete Bundesumweltministerin ­Steffi ­Lemke (Grüne), dass der Abschuss von Wölfen in Bayern erleichtert werde und nun bereits ab der Tötung nur eines Nutztieres erlaubt sei. Diese Regelung solle schon bald auf ganz Deutschland ausgeweitet werden.

„Die politische Diskussion um den Wolf ist extrem polemisch und nicht sachbasiert“, sagt Biologin und Wolfsexpertin ­Ilka ­Reinhardt. Sie arbeitet am Lupus-Institut für Wolfsmonitoring und -forschung. „Der Abschuss wird als einfache Lösung dargestellt, obwohl alle Fachleute wissen, dass er das nicht ist“, sagt ­Reinhardt. Genau jene Wölfe zu schießen, die Nutztiere reißen, sei nicht einfach. Die Tiere sehen sich sehr ähnlich, ein DNA-Abgleich könne erst im Labor erfolgen. „In  neun von zehn Fällen wurde der falsche Wolf geschossen“, kritisiert ­Reinhardt. Hinzu kommt laut der Expertin, dass die Dezimierung der Wolfspopulation die Menge der Nutztierübergriffe nicht beeinflusst – ein einzelner Wolf kann ebenso viel Schaden verursachen wie ein ganzes Rudel. Dabei gäbe es eine einfachere Lösung: einen besseren Herdenschutz.

Abruzzen: Begegnung mit dem Wolf

Tierdoku

Freitag, 1.12. — 18.35 Uhr
bis 29.1.24 in der
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WÖLFE NUTZEN SCHWACHSTELLEN

Weideviehhalter mussten sich in den wolfsfreien Jahrzehnten keine Sorgen vor großen Raubtieren machen – dementsprechend sind Schutzzäune teilweise auch heute noch konzipiert. Konkret heißt das: Die Gatter sind oft zu niedrig und Bachläufe oder Gräben werden bei der Einzäunung ausgelassen, weil Schafe dort nicht ausbüchsen können. Wölfe nutzen solche Schwachstellen und lernen, Hindernisse zu überwinden. Den gesetzlich empfohlenen Mindestschutz bildet ein 90 Zentimeter hohes Schafnetz, das unter Strom gesetzt ist. Die Kosten für Maßnahmen zum Herdenschutz werden mithilfe von Landesmitteln vollständig übernommen. 

Wölfe ernähren sich in der Regel zu mehr als 90 Prozent von Rehen, Hirschen und Wildschweinen. Ein wichtiger Beitrag für ein funktionierendes Ökosystem, denn sie regulieren so Überpopulationen. Weidevieh hingegen dient lediglich als Leckerbissen, wenn die Raubtiere die Erfahrung machen, dass es leichte Beute ist. Kann er den Zaun nicht überwinden, widmet sich der Wolf seiner natürlichen Nahrung.

„Teilweise bekommen Viehhalter, die zeigen, dass Herdenschutz tatsächlich funktioniert, Druck von Kollegen, die mehr Abschüsse wollen“, sagt Reinhardt. „Und in den Medien findet funktionierender Herdenschutz leider auch kaum Beachtung.“ Stattdessen bleibe die Angst vor dem bösen Wolf bestehen. Dabei habe es laut einer norwegischen Studie in den vergangenen 20 Jahren in Europa und Nordamerika lediglich 14 Übergriffe von Wölfen auf Menschen gegeben. Zum Vergleich: Allein in Berlin werden jährlich etwa 500 Menschen von Hunden gebissen. 

Die politische Diskussion um den Wolf ist extrem polemisch

Ilka Reinhardt, Biologin am Lupus-Institut für Wolfsmonitoring und -forschung