»FLUCH UND SEGEN«

KURVEN Kristen Vermilyea hatte immer große Brüste. Bis sie sie verkleinern ließ. Ging dabei etwas verloren? Ein Gespräch über Kontrolle und Klischees.

Illustration: Gretas Schwester

Größe ist nicht alles, heißt es. Kristen­ Vermilyea­ sieht das etwas anders. Die US-amerikanische Schauspielerin und Regisseurin, die heute in Zürich lebt, entschied sich für eine Brustverkleinerung – und drehte einen Film darüber, den ARTE im Juni zeigt. Jahrelang hatte sie sich bereits zuvor in Vorträgen, Film- und Performance-­Projekten mit der Faszination für den weiblichen Busen beschäftigt. Und sich über ihre große Oberweite definiert. „Wer bin ich ohne meine großen Brüste?“ „Werde ich plötzlich unsichtbar sein?“ Diesen und anderen Fragen stellt sich die 51-Jährige vor ihrer Operation in „Lässig und lästig – Meine Brüste und ich“. Dem ARTE Magazin schildert sie ihr Leben nach dem Eingriff.

ARTE MAGAZIN Frau Vermilyea, sind Sie seit Ihrer Brustverkleinerung ein anderer Mensch?
Kristen Vermilyea Nein, tatsächlich bin ich immer noch die gleiche Person, die versucht herauszufinden, wer sie ist.

ARTE MAGAZIN Vor der OP beschrieben Sie Ihre großen Brüste als Kostüm, das Sie ablegen wollen, um mehr Sie selbst zu sein. Hat das etwa nicht funktioniert?
Kristen Vermilyea Man weiß bei Brustverkleinerungen vorher nie so genau, wie der Körper reagieren wird. Ich hätte gerne mittelgroße Brüste bekommen, Größe C hätte mir gefallen. Stattdessen habe ich jetzt Doppel D – was immer noch deutlich kleiner ist als vorher.

ARTE MAGAZIN Und doch fühlen Sie sich gleich?
Kristen Vermilyea Eine wichtige Sache hat sich verändert: Ich habe endlich wieder das Gefühl, die Kontrolle über mein Leben zu haben.

ARTE MAGAZIN Ihre Brüste haben Ihnen die Kontrolle genommen?
Kristen Vermilyea Egal, wo ich hinging – meine Brüste betraten immer vor mir den Raum. Wenn Menschen etwas Extremes sehen, dann schauen sie hin. Das tue ich auch. Ich als Person kam immer erst an zweiter Stelle, nach meinem Busen. Dazu kamen die konstanten Rücken-, Hals- und Kopfschmerzen. Es hat mir gereicht!

ARTE MAGAZIN Und doch haben Sie Ihre großen Brüste auch gerne betont.
Kristen Vermilyea Das kann sehr viel Spaß machen. Aber heute habe ich die Wahl: Wenn ich provozieren möchte oder Lust auf Aufmerksamkeit habe, trage ich einen tiefen Ausschnitt. Wenn nicht, ein weites Oberteil. Vor der Verkleinerung konnte ich meine Brüste gar nicht verstecken. Ich schlüpfte automatisch in eine Rolle. Also spielte ich mit den Klischees. Eine große Oberweite macht Frauen zu Sex­objekten, ob sie es wollen oder nicht. Wenn sie dazu noch lange blonde Haare haben, gelten sie als dumm oder leicht zu haben. Diese Stereo­typen zu untersuchen, finde ich spannend. Denn selbst als Feministin, für die ich mich halte, bin ich meinen Brüsten schon oft in die Falle gegangen.

ARTE MAGAZIN Inwiefern?
Kristen Vermilyea Indem ich sie zu meinem Vorteil einsetzte. Es war immer leichter, mithilfe meiner Brüste zu bekommen, was ich wollte, als mit meinem Kopf. Das widerspricht völlig meiner feministischen Einstellung. Diesen Zwiespalt erleben viele Frauen. Wir sind selbstbestimmt und tragen dennoch figurformende Unterwäsche und Make-up, um Männern zu gefallen, und definieren so unseren Selbstwert. Natürlich habe ich auch meine Oberweite in Szene gesetzt, um mich gut zu fühlen. Oft war mir die Aufmerksamkeit aber auch zu viel. Große Brüste sind wirklich Fluch und Segen gleichermaßen.

ARTE MAGAZIN Marilyn Yalom schrieb in „Eine Geschichte der Brust“ (1997), der weibliche Busen gehöre nie der Frau selbst, sondern immer den Männern und Kindern. Stimmen Sie zu?
Kristen Vermilyea Ja, zum einen sind Brüste ein sexuelles Objekt der Begierde und zum anderen haben sie die Funktion, Kinder zu ernähren – was nicht so recht zusammenpasst, finde ich.

ARTE MAGAZIN Neben ihrer Funktionalität und Schönheit beschreiben Sie Brüste als lustig. Was ist so komisch an ihnen?
Kristen Vermilyea Ich war schon oft in Situationen, in denen ich an meinem Busen hätte verzweifeln können. Humor hat mir da sehr geholfen. Gerade beim Sport haben es Frauen mit großen Brüsten schwer. Ich sollte einmal beim Yoga auf dem Rücken liegen und meine Beine hinter den Kopf strecken. Beinahe hätte ich mich mit meinen Brüsten selbst erstickt und bekam einen derartigen Lachanfall, dass ich aus dem Kurs geworfen wurde. Hinter all dem steckt natürlich auch eine Art von Selbstschutz.

ARTE MAGAZIN Wovor schützen Sie sich?
Kristen Vermilyea Bevor andere komisch schauen oder einen Kommentar abgeben, tue ich das lieber selbst und lache über mich. Gleichzeitig geht es mir aber auch darum, anderen Frauen zu zeigen, dass sie nicht alleine sind. Und das wiederum ist eine Rolle, in die ich sehr gerne schlüpfe.

Lässig und lästig – Meine Brüste und ich

Dokumentarfilm
Mittwoch, 17.6. • 22.05 Uhr
bis 15.8. in der Mediathek.

Foto: privat