Mehr als nur pinkes Püppchen

Ob Pink-Hype auf dem Laufsteg oder Barbiecore im Kino: Die berühmte Spielzeugpuppe ist der Kinderstube entronnen – als Massenphänomen der Popkultur. Wie konnte das passieren?

Barbie
Illustration: Alexander Ahlert

Die britische Prinzessin Kate ­Middleton tut es, ebenso Schauspielerin ­Anne ­Hathaway und ihre Kollegen ­Daniel Craig und Brad Pitt: Sie alle tragen neuerdings Pink auf dem Roten Teppich. Ein Auslöser dafür ist die Haute Couture: Die italienische Luxusmarke Valentino erklärte mit der monochromen „PP Collection“ im Herbst vergangenen Jahres Pink zur neuen Trendfarbe, viele weitere Labels folgten. Dabei ist der plötzliche Erfolg der Farbe nur ein Teil eines viel größeren Hypes. 

Eigentlich geht es um eine – sehr schlanke und die längste Zeit sehr blonde – Puppe aus Plastik: Barbie. So häufen sich seit einer Weile in sozialen Netzwerken wie Instagram oder TikTok Kurzvideos, in denen junge Frauen und Männer zeigen, mit welchen Stücken sich rosafarbene Outfits nachstylen lassen, wie sie früher höchstens Paris ­Hilton getragen hätte. Viele von ihnen bewegen sich dabei im Takt eines Popsongs aus den 1990ern: „Barbie Girl“ von der Eurodance-Band Aqua. Getreu der Textzeile „You’re my doll, rock ’n’ roll, feel the glamour in pink“ erstrahlt nun also im Jahr 2023 alles in der Lieblingsfarbe des Spielzeugklassikers. 

Barbie – Die perfekte Frau?

Gesellschaftsdoku

Freitag, 25.8. — 21.55 Uhr
bis 18.10. in der Mediathek

„Barbiecore“ nennt sich der Mode- und Lifestyle-Trend, der immer mehr Anhängerinnen und Anhänger findet. Die an den Begriff Hardcore angelehnte Wortschöpfung beschreibt das extreme, geradezu exzessive Ausleben der Barbie-­Ästhetik. Wer hinter all dem eine rückschrittliche Bewegung übereifriger Püppchenfans wittert, greift allerdings zu kurz. So sei die Farbe Pink, die ­Barbie nach wie vor personifiziere, nicht mehr so stark mit rein niedlichen Attributen zu assoziieren, sagt ­Kerstin ­Mayer, die am Institut für Marketing an der Universität Hamburg forscht. „Für mich steht Pink längst für Empowerment.“ Auch ­Michel ­Clement, Hamburger Professor für Marketing und Medien, ordnet den Barbie-­Hype so ein: „Jeder Trend braucht eine Symbolik. Bei der Farbe Rosa war ein einschneidender Punkt der Women’s March 2017. Eine weltweite Demonstration für Frauenrechte, bei der selbst gestrickte pinke Kappen als Zeichen des Protests eingesetzt wurden.“ Die knallige Farbe hätte sich seither zum Symbol für Diversität, Feminismus und Gleichberechtigung entwickelt. Das wachsende popkulturelle Interesse an ­Barbie gesellte sich hinzu. 

 

Rosa Mode auf dem Laufsteg
Valentino erschafft 2022 mit seiner Kollektion den Pantone-­Farbton „Pink PP“. Foto: picture alliance/Ik Aldama

Dabei ist ­Barbies fulminanter Sprung aus dem Kinderzimmer auch Hollywood nicht entgangen – das zeigt ein starbesetzter Kinofilm, der die künstliche Barbiecore-Welt nun erstmals als Realverfilmung präsentiert: In „­Barbie“, der Ende Juli in Deutschland im Kino mit viel Medienrummel angelaufen ist, erkennt die gleichnamige Hauptfigur, gespielt von Margot Robbie, dass wahre Schönheit von innen kommt und nichts mit der oberflächlichen Plastikwelt zu tun hat, die sie umgibt. Begleitet wird sie von einem einfältigen Ryan ­Gosling in der Rolle des Ken – inklusive gestähltem und poliertem Sixpack sowie wasserstoffblondierten Haaren. Dass der Film weder abgedroschen noch albern und inhaltsleer daherkommt, dafür sorgte eine außergewöhnliche Regisseurin und Drehbuchautorin: ­Greta ­Gerwig – „eine der interessantesten Geschichtenerzählerinnen Hollywoods“ (Zeit Magazin). „Die Filmbranche hat das durchaus geschickt gemacht“, sagt ­Kerstin ­Mayer, die auch im Bereich Konsumentenverhalten in der Unterhaltungsindustrie forscht. „­Greta ­Gerwig ist bekannt für starke Frauenrollen, etwa in den oscarprämierten Produktionen ,Ladybird‘ (2017) und ,Little Women‘ (2019). Das quietschbunte Barbie-­Thema erwartet man bei ihr nicht. Umso neugieriger stellt sich das Publikum die Frage: Was hat ­Gerwig aus diesem Film gemacht, dass er in die heutige Zeit passt?“ Bereits vor der Erscheinung wurde der Kinofilm, der zum Teil von Barbie-Produzent Mattel mitfinanziert wurde, hoch gehandelt. Fortsetzungen sind im Gespräch. Entsprechend hoch das Werbebudget: 50 Millionen US-Dollar standen zur Verfügung; etwa für Puppen-Spezialeditionen und anderes Merchandise sowie den von Top-Produzent Mark ­Ronson produzierten Soundtrack, der mit zahlreichen eigens für den Film aufgenommenen Songs aufwartet, darunter Stücke von jungen Popstars wie Dua ­Lipa und ­Nicki ­Minaj. Für Ultra-Fans in Kalifornien wurde sogar ein knallpinkes Barbie-­Traumhaus an der Küste Malibus nachgebaut, samt Rollschuhbahn und Outdoor-Tanzfläche.

 

knallpinkes Barbie-Traumhaus an der Küste Malibus
Wer auch wie Barbie leben will, kann seinen nächsten Urlaub im Malibu-­Traumhaus verbringen. Foto: Airbnb/Hogwash Studios

„Im Zuge der Pink-Welle hat die Industrie die Chance gesehen, ­Barbie wieder auf die Bildfläche zu bringen“, sagt Marketing-Experte ­Michel ­Clement. Für die beiden Generationen, die derzeit neue Trends bestimmen – die Millennials und die Generation Z – ist die Barbie-­Puppe eine Kindheitsheldin. Oder zumindest fest im Freundeskreis verankert. Es gibt kaum jemanden, der nicht mit der ewig dünnen Blondine in Berührung gekommen ist. Doch so, wie sie die meisten einmal kennengelernt haben, ist sie heute nicht mehr. Die US-amerikanische Unternehmerin Ruth Handler hatte 1959 die erste Barbie-­Puppe entworfen und sie nach ihrer Tochter Barbara benannt. Dass die fast 65 Jahre alte ­Barbie noch mal eine Image-Korrektur verpasst bekommt, war lange nicht absehbar. Aber die Verkaufszahlen des einstigen Kassenschlagers waren in den 2010er Jahren stark rückläufig. Eine innovative Veränderung musste her. Den Wandel brachte schließlich Ynon Kreiz, der 2018 den Vorstandsvorsitz der Spielzeugfirma Mattel übernahm, die Ruth ­Handler 1945 in einer Garage in Denver gegründet hatte. Sein neuer, wegweisender Ansatz: „Wir müssen die Welt, in der wir leben, abbilden“, wie Kreiz in einem Interview mit dem ­Handelsblatt sagte. 

Emanzipiert war Barbie seit ihrer Geburt, schließlich hatte sie bereits in den 1960er Jahren ein eigenes Haus und Auto, war finanziell unabhängig und kinderlos. Ihr Mann Ken ist anfangs nur eine Nebenfigur in ihrem Luxusleben und wird von vielen als eine Art Schoßhündchen wahrgenommen. Was ­Barbie jedoch immer gefehlt hat: Nahbarkeit. Das hat Manager Ynon Kreiz erkannt. Seit der von ihm angestoßenen Modernisierung des Puppenangebots regiert Barbie ihre pinke Welt auch mal aus dem Rollstuhl heraus, trägt eine Beinprothese oder wird durch die Pigmentstörung Vitiligo zu einem Unikat. Gleichzeitig fliegt sie als Astronautin in den Weltraum, spielt Eishockey oder leitet als Ingenieurin eine Baustelle. Die neue inklusive und diverse ­Barbie begeistert mittlerweile wieder verstärkt Kinder und Eltern – und bringt Mattel abermals Rekordumsätze. In der Dokumentation „­Barbie – Die perfekte Frau?“ zeigt ­ARTE den Wandel der Puppe über die Jahrzehnte und begleitet Fans und Sammlerinnen der ersten Stunde. 

 

Ryan Gosling in Barbie
Ryan Gosling überzeugt als Ken vor allem durch knappe Outfits. Foto: Warner Bros

REFLEKTIEREN UND ERINNERN MIT RETRO-PRODUKTEN

Betrachtet man die Gesamtheit an Mode- und Lifestyle-Trends der vergangenen Jahrzehnte, zeigt sich deutlich: Retro-Produkte sind keine kurzzeitige Erscheinung mehr – sondern mittlerweile ein nachhaltig erfolgreiches Geschäftsmodell. „Nostalgie boomt seit den 1990er Jahren, auch weil unsere Gesellschaft seither mehr zurück als nach vorne blickt“, sagt die renommierte Kulturwissenschaftlerin Sabine Sielke. „Gleichzeitig erinnert die Nostalgie an eine Zeit, die nie war – und blickt damit immer auch in die Zukunft.“ 

Dem Comeback der pinken Barbie-Welt prophezeit Marketing-Experte Michel Clement allerdings ein baldiges Ende: „Gruppen bedienen sich gerne einer aussagekräftigen Symbolik. Wenn man überall nur noch Pink sieht, dann ist es aber nicht mehr die Farbe, mit der sich Empowerment ausdrücken lässt – dann muss wieder etwas Neues her.“ 

Auf dem Laufsteg will das Trendinstitut WGSN bereits einen heißen Anwärter auf die Sommerfarbe 2024 gesichtet haben: den hellen Orangeton Apricot.

Die Gesellschaft blickt seit den 1990ern eher zurück als nach vorne

Sabine Sielke, Kulturwissenschaftlerin