Marilyn und die Frauen

Marilyn Monroes Leben ließ vor und hinter der Kamera viel Raum für Projektionen. Warum sie genau deshalb eine Ikone des Feminismus ist, erklärt Alice Schwarzer in einer Hommage – als Fan der ersten Stunde.

Schauspielerin, Marilyn Monroe, Porträt
Foto: Alfred Eisenstaedt/The LIFE Picture Collection/Getty Images

Marilyn war meine fünfte Liebe. Nach ­Hildegard Knef, ­Elvis ­Presley, ­­James Dean und Volker. Die Nachricht von ihrem Tod entnahm ich einer Bild-­Schlagzeile. Damals war es noch Ehrensache, Bild nicht zu kaufen, dieses eine Mal kaufte ich. ­Marilyn ­Monroe tot. Selbstmord (hieß es). Mit 36. Ich setzte mich laut schluchzend auf den Bordstein, mitten in Timmendorf. Meine beste Freundin, ­Barbara, schaffte es kaum, mich zu trösten. Wir schrieben den 6. August 1962, und ich war 19.

Barbara kannte das schon, das mit mir und ­Marilyn. Im Jahr davor war ich schier entrückt aus „Let’s make love“ getaumelt, wo ­Yves ­Montand neben ­Marilyn verblasste, die beste Freundin wie üblich im Schlepptau. Und „Manche mögen’s heiß“ hatte ich schon damals mindestens dreimal gesehen – seither habe ich nicht mehr gezählt. Meine jugendlichen Schwärmereien für ­Marilyn sind mir nie vergangen – inzwischen kenne ich auch den Grund.

Damals, im Todesjahr von Marilyn Monroe, war es für eine moderne junge Frau wie mich, die auf Jazz-Band-Balls ging und in Filme der Nouvelle Vague, gar nicht so selbstverständlich, für dieses Pin-up-Girl aus Amerika zu schwärmen. Im Gegenteil: Das galt als peinlich. Denn, so lautete das Klischee: ­Marilyn ist ein Hollywood-­Produkt. Ein blondes Gift, ein bloßes Spind-Girl, das den Männern mit wiegenden Hüften und weichem Busen den Kopf verdreht – aber selbst keinen hat.

Da hatte Marilyn, nach dem anfänglichen Verschleiß in der Hollywoodfabrik als dümmliche und trotzdem – oder gerade darum – hinreißende Blondine, schon längst unter Beweis gestellt, was für eine großartige, komische, intelligent-erotische Schauspielerin sie war. Ob im tiefschwarzen Thriller „­Niagara“ (1953), den ARTE im März zeigt; in „Bus Stop“ (1956) als anrührendes Tingel-Tangel-Girl; in „Der Prinz und die Tänzerin“ (1957), wo sie den großen ­Laurence ­Olivier mit kindlichem Lächeln an die Wand spielte; oder in „Manche mögen’s heiß“ (1959), dem besten Film von ­Billy ­Wilder, den er vor allem ihr verdankte. Der Regisseur lohnte es dem Star, indem er noch Jahre nach ihrem Tod erzählte, dass diese verdammte ­Monroe an jedem Drehtag spät und später am Set erschienen sei.

Niagara

Film noir

Montag, 5.4. — 20.15 Uhr

Foto: Keystone Features/Getty Images

Die Welt machte ihr zunehmend Angst
Ja, Marilyn kam in Hollywood zu spät. Und immer später. „The late Marilyn Monroe“, wie sie der Moderator auf John F. Kennedys Geburtstagsfeier anzüglich ankündigte. Sie hatte mit John ein Verhältnis gehabt – und wohl auch mit Bruder ­Robert. Was ihr nicht bekommen sollte.

Das Zuspätkommen hatten auch die Jahre auf der Couch einer Analytikerin in New York nicht ändern können. Die Welt machte ­Marilyn zunehmend Angst. Eine Angst, die sie in ihren letzten Jahren nur noch mit – von Ärzten nur gar zu bereitwillig verschriebenen – Tabletten und mit Alkohol in Schach halten konnte. Diese Mischung war es wohl auch, die sie das Leben gekostet hat. Selbstmord? Mord? Pfuscherei der Ärzte? Die Gerüchte sind nie ganz verstummt.

Marilyn kommt am 1. Juni 1926 als drittes Kind von ­Gladys Pearl Baker, geborene Monroe, auf die Welt. Der Vater ist unbekannt, die Mutter stirbt nach Depressionen und „schizophrenen Anfällen“ in der Psychiatrie. Das kleine Mädchen namens ­Norma ­Jeane ist bis zum 16. Lebensjahr abwechselnd in insgesamt zwölf (!) Pflegefamilien, die dafür fünf Dollar die Woche kassieren, oder im Waisenhaus. Wir wissen heute nur zu genau, was das bedeuten kann: Heime und zwölf Pflegeväter.

Gefragt nach ihren allerersten Erinnerungen, antwortete Marilyn Monroe in ihrem Todesjahr: „Meine früheste Erinnerung? Das ist die Erinnerung an einen Kampf ums Überleben. Ich war noch ganz klein (…), ein Baby in einem Bettchen, ja, und ich kämpfte um mein Leben. Aber ich möchte lieber nicht darüber sprechen, wenn es Ihnen nichts ausmacht. Das ist eine grausame Geschichte, die nur mich etwas angeht.“ Es hat sie nie jemand mehr fragen können.

Mit 16 wird ­Norma ­Jeane von einer ihrer Pflegemütter an einen Nachbarsjungen verheiratet, mit 19 als Pin-up entdeckt, mit 20 kommt sie zum Film. Es gibt massenhaft Männer, die etwas von ihr wollen, für eine Nacht oder auch fürs Leben. Ihre zweite Ehe schließt sie mit dem Baseballspieler Joe ­DiMaggio. Er schlägt sie, bleibt ihr jedoch lebenslang ein Freund.

Meine früheste Erinnerung? Das ist die Erinnerung an einen Kampf ums Überleben

Marilyn Monroe, Schauspielerin
Foto: Capital Pictures/ddp

Traum von Sicherheit, Sehnsucht nach Bildung
Für ihre dritte Ehe tritt sie zum jüdischen Glauben über und versucht zweimal, Mutter zu werden; beide Male hat sie eine Fehlgeburt. „Der Körper und der Kopf“ werden sie genannt, sie und ihr Mann, der amerikanische Schriftsteller ­Arthur ­Miller, der in der McCarthy-Ära als „Kommunist“ geächtet wird. Es gehörte Mut dazu, sich in der Zeit zu diesem Mann zu bekennen. Anderthalb Jahre vor ihrem Tod lassen ­Miller und ­Monroe sich in Mexiko scheiden. Es hieß, den Ausschlag habe gegeben, dass sie in seinem Tagebuch entdeckte, sie sei für ihn ein Kind, mit dem er „Mitleid“ habe.

Miller, das war wohl nicht nur der Traum von Sicherheit und Glück; Miller, das war für die wissensdurstige, belesene ­Marilyn auch die Sehnsucht nach Bildung und Intellekt – eben das, was man der einstigen Fabrikarbeiterin, die so perfekt die Phantasmen der Männer bediente, nicht zugestehen wollte. Kopf oder Körper, eines von beiden. Da hat eine Frau sich zu entscheiden. Die mit dem Kopf, die begehrt man nicht. Und die mit dem Körper, die achtet man nicht. Dabei hatte ­Marilyn immer beides: Erotik und Verstand. Und Humor, ja Ironie, mehr noch: Selbstironie.

Marilyn Monroe, diese Tochter einer verletzten, hilf­losen Mutter, ist früh, sehr früh, gedemütigt, benutzt, missbraucht worden. Dennoch hat sie diesen beeindruckenden Aufstieg geschafft. Und auf dem Höhepunkt ihrer Hollywoodkarriere hat sie es sogar gewagt, auszusteigen – und ihre Filme selbst zu produzieren, an der Ostküste, weit weg von Hollywood. Aber dann hat es sie doch wieder eingeholt. Hätte ­Marilyn ­Monroe eine Chance gehabt, wenn sie zehn, zwanzig Jahre später geboren wäre und als Schauspielerin nicht in den 1950er Jahren, sondern in den 1970ern, in der Zeit der erstarkenden Women’s Liberation, Karriere in Hollywood gemacht hätte?

Und was wäre noch mal 40 Jahre später? Was wäre heute – in Zeiten von MeToo? In Zeiten, in denen Frauen wie Marilyn Monroe endlich wagen, das Schweigen zu brechen. Nur wenige Frauen haben zwar das außergewöhnliche Talent von ­Marilyn und ihren Charme, aber sehr viele machen ihren Job gut – und sie haben Mut! Mut in einer Zeit, in der sie nicht länger allein sind. Mut in einer Zeit, in der Tausende, ja Hunderttausende Frauen sagen: MeToo! Ja, ich auch! Auch ­Marilyn wäre nicht mehr allein gewesen.

Wir Feministinnen allerdings hatten schon vorher verstanden. Wir haben ja auch schon vor Jahrzehnten über die Folgen der sexuellen Demütigung und Gewalt geredet und geschrieben. Nicht zufällig wurde ­Marilyn ­Monroe darum früh auch eine Ikone des Feminismus – zumindest in den USA, wo man etwas von der Funktion von Idolen versteht und durchlässiger ist für das ambivalente Charisma eines solchen Jahrhundert-Stars. Keine verkörpert so wie sie die Tragik und den Triumph, eine Frau zu sein. Meine frühe Faszination und Liebe für ­Marilyn verstehe ich heute besser denn je.