»ICH WEISS, WO ICH HERKOMME«

OSTMUSIK  Für seine Rolle als DDR-Liedermacher und Baggerfahrer Gerhard Gundermann bekam Alexander Scheer den Deutschen Filmpreis. Ein Gespräch.

FOTOS: ANNA CHARLOTTE SCHMID, PETER HARTWIG/PANDORA FILM/RBB

Auf dem roten Teppich erkennt man mich nie“, sagt Alexander Scheer, „weil ich ständig anders aussehe.“ Rauchend sitzt der Schauspieler in einem Garten in Prag, wo er gerade sein aktuelles Projekt dreht. „Ich will mich verwandeln.“ Und das schafft er, etwa als Keith Richards in „Das wilde Leben“ (2007) oder als Dieter Degowski in „Gladbeck“ (2018). Und auch in Andreas Dresens Film „Gundermann“ (2018) fällt es schwer, Scheer zu erkennen. So überzeugend – optisch wie charakterlich – spielt er den DDR-Liedermacher und Baggerfahrer Gerhard„ Gundi“ Gundermann, der 1998, im Westen nahezu unbekannt, mit gerade mal 43 Jahren starb. Scheer, 1976 in Ost-Berlin geboren, bekam für die Rolle den Deutschen Filmpreis. Ein Gespräch über Coolness und einen der größten deutschen Songschreiber aller Zeiten.

ARTE MAGAZIN Herr Scheer, wie stehen Sie eigentlich zu Hosenträgern?
Alexander Scheer Ich finde Hosenträger gut. Sie sorgen dafür, dass die Hose wirklich in allen Situationen da sitzt, wo sie hingehört. Allerdings nur die mit Knopfverbindung. Die Klicker kannst du vergessen.
ARTE MAGAZIN Eines der Markenzeichen von Gerhard Gundermann waren seine Hosenträger. Als Teenager kurz nach der Wende haben die Sie aber eher abgeschreckt …
Alexander Scheer Nun ja, ich kannte Gundermann damals nur von Plakaten. Seine Musik habe ich mir nicht angehört – eben weil ich wusste, wie er aussieht.
ARTE MAGAZIN Sie sagten einmal, er sei Ihnen zu „ostig“ gewesen. Was heißt das?
Alexander Scheer Diese riesige Hornbrille, der Pferdeschwanz, die Hosenträger – das ist nicht gerade Mick Jagger. Er hatte leider keine Chance, ich wollte mit 14 Westplatten hören; alles, was vorher verboten war: Led Zeppelin, Frank Zappa, die Rolling Stones …
ARTE MAGAZIN Was genau war denn so schlimm an Ostmusik?
Alexander Scheer Wir hatten schon funky Sachen. Manfred Krug hat mit Günther Fischer in den 1970ern deutsche Soulmusik gemacht, so heiß klang es nicht mal im Westen. In den 1980ern war der Sound dann überall schlimm, aber in der DDR eben noch eine Spur schlimmer.
ARTE MAGAZIN Wie denken Sie heute über Gerhard Gundermann?
Alexander Scheer Wenn ich jetzt eine Gundermann- Platte anmache, fühle ich mich gut. Klar, wir hatten mit dem Film großen Erfolg, aber da ist noch was anderes: Ich weiß wieder, wo ich herkomme. Der Sound weht mich zurück nach Hause. Und ich bin froh, dass mir dieser Typ, nachdem ich ihn 20 Jahre ignoriert habe, noch mal klarmacht, wo meine Wurzeln liegen. Ich toure übrigens mit Andreas Dresen und Band schon die dritte Saison durchs Land und Gundermanns Songs kommen auch im Westen gut an. Das ist ein Geschenk.
ARTE MAGAZIN Er war Liedermacher, aber auch Baggerfahrer im Braunkohlerevier Lausitz.
Alexander Scheer In erster Linie war er Arbeiter. Und mit Sicherheit nie ein Popstar. Er wollte seinen Lebensunterhalt mit seiner Arbeit – oder wie er es formulierte: „mit den Schaufelhänden seines Baggers“ – verdienen. Musik hat er gemacht, weil er nicht anders konnte. Und er wollte nicht davon abhängig sein, ob den Leuten seine Songs gefallen. Nach einem Konzert fuhr er meistens direkt zur Frühschicht.

Gundermann

Filmbiografie
Mittwoch, 23.9. • 20.15 Uhr
bis 29.9. in der Mediathek

FOTOS: ANNA CHARLOTTE SCHMID, PETER HARTWIG/PANDORA FILM/RBB

ARTE MAGAZIN Was macht seine Lieder so besonders?
Alexander Scheer Die sind alle echt! Trotz Gundermanns sehr eigener Poesie sind sie zeitlos und unterscheiden sich von westdeutschen Texten. Die Sprache ist dieselbe, aber die Erfahrungen sind andere. Die DDR war ein anderes Land mit anderen Menschen. In seinen Liedern spürst du, wie der Osten tickt. Sie stellen auch die Frage: Wie gehen wir heute mit Geschichte um? Gundermann war einer der größten deutschen Songschreiber aller Zeiten.
ARTE MAGAZIN Warum war er im Osten so erfolgreich?
Alexander Scheer Viele Ostler empfanden seine Lieder als Lebensretter in einer sehr schwierigen Zeit. 1989 markierte einen Epochenbruch, danach war alles anders. Gundi war eine Identitätsfigur, ein Sprachrohr. Seine Konzerte waren keine Pose, auch er hatte sein Land und seine Arbeit verloren, und doch klang er nie bitter. Seine Lieder gaben Kraft. Er sang den Leuten aus der Seele, denn er war einer von ihnen.
ARTE MAGAZIN Der Film zeigt, wie Gundermann während seiner Schicht vorne im Bagger sitzt und immer wieder in ein Diktiergerät spricht. Hat er so seine Songs „geschrieben“?
Alexander Scheer Diese Baggerbänder habe ich eine Woche vor Drehbeginn in die Finger bekommen. Acht Tapes à 20 Minuten. Es war, als würde man durch ein Schlüsselloch zurück in der Zeit direkt in Gundis Herz schauen. Näher kann man ihm nicht kommen. Im Rhythmus des Baggers eine erste Songidee, dann im Auto on the road, an Tankstellen, beim Soundcheck im Club, zu Hause mit seiner Tochter Linda, im Studio und wieder in der Baggerkanzel. Am Ende war das Lied fertig und er hatte schon das nächste in der Mache. Zwei Tage vor Drehbeginn bekam ich dann von Gundis Frau Conny den Heiligen Gral: seine Gitarre.
ARTE MAGAZIN Auf dieser Gitarre haben Sie alle Lieder im Film selbst gesungen und eingespielt?
Alexander Scheer Ja. Von Anfang an war klar, dass wir die Lieder neu einspielen, ihren Kern freilegen wollten. Für den Soundtrack hatten wir wunderbare Arrangements und waren mit einer tollen Band im Studio. Beim Dreh ließ mich Andreas Dresen aber auch immer wieder live spielen und die Kamera fing dann diesen Moment ein. Das ist für einen Musikfilm entscheidend.
ARTE MAGAZIN Wie war es, mit Andreas Dresen zusammenzuarbeiten?
Alexander Scheer Es war ein Traum. Er weiß genau, was er will, und auch, wie er es kriegt.Er lässt dich aber auch machen. Und er meint, was er dreht. Er benutzt den Osten nicht als historische Tapete, um ein Schwarz-Weiß-Drama zu erzählen, sondern versteht es, die Zwischentöne auszuleuchten. Das Grau, von dem es in der DDR reichlich gab, und auch das viele Bunt.
ARTE MAGAZIN Der Film spielt auf zwei Zeitebenen: einmal Mitte der 1970er, da war Gundermann Mitte 20. Und in den 1990er Jahren, als er Anfang 40 war. Wie hatte er sich verändert?
Alexander Scheer Als junger Mann war er ein ziemlicher Draufgänger; ein Unbequemer, fast schon eine Nervensäge. Er hatte viele Ideen, um die Welt für sich und seine Mitmenschen zu verbessern. In den 1990ern schrieb er seine besten Songs, war aber auch um einiges realistischer, ruhiger und sicherlich etwas desillusionierter.

Gundermann sang den Menschen im Osten aus der Seele

Alexander Scheer, Schauspieler
FOTOS: ANNA CHARLOTTE SCHMID, PETER HARTWIG/PANDORA FILM/RBB

ARTE MAGAZIN In dieser Zeit kam seine Stasi-Vergangenheit ans Licht.
Alexander Scheer Das hat ihm schwer zu schaffen gemacht. Aber er ist zumindest offen damit umgegangen. Das vor tausend Leuten in einem Konzert zu erzählen – das musst du erst mal bringen.
ARTE MAGAZIN Wie nachvollziehbar ist es, dass Gundermann für die Stasi gearbeitet hat?
Alexander Scheer Einigermaßen nachvollziehbar. Er war Idealist, der besonders in jungen Jahren dafür gebrannt hat, den Sozialismus zu verbessern. Deshalb ging er in die Partei, eckte da aber so an, dass sie ihn gleich wieder rausschmissen. Die Stasi warb ihn an und dann hat er die vollgequatscht. Bis er da wieder rausflog und selbst überwacht wurde. Ich kenne einige Leute, die inoffiziell mit der Stasi zu tun hatten und super Typen sind. Es gab natürlich auch nicht wenige Schweine. Aber es ist eben nicht nur schwarz und weiß, gut und böse. Es gab Menschen beim Radio, die IMs waren, damit sie die Sex Pistols spielen durften …
ARTE MAGAZIN Wie haben Sie die Zeit um 1989 erlebt?
Alexander Scheer Der Philosoph Sönke Roterberg, mit dem ich zur Schule ging, meinte damals zu mir: „Wir verlieren unsere Unschuld in dem Moment, in dem unser Land schuldig gesprochen wird.“ Eben noch geltende Instanzen waren hinfällig, wir waren 14 und sprangen ansatzlos aus der russischen Zone in die westlichen Vergnügungen. Wir tanzten staunend durch ein Wunder.
ARTE MAGAZIN Würden Sie sich heute als „ostdeutsch“ bezeichnen?
Alexander Scheer Ich weiß nicht mal, ob ich mich als deutsch bezeichnen würde! Sehen Sie, ich bin Zwilling. Entweder-oder ist für mich keine Option. Ich bin in zwei politisch konträren Systemen aufgewachsen, ohne dabei die Stadt verlassen zu müssen. Das ist ein historisches Privileg. Ich kann mir von allem das Beste herauspicken.
ARTE MAGAZIN Und was picken Sie aus Ihrer Ost- Vergangenheit heraus?
Alexander Scheer Eine geradlinige Ehrlichkeit, eine humane Einstellung zum Kapital und die Gewissheit, dass man nicht alles hinnehmen muss. Die Freiheit, Nein zu sagen. Als ich damals anfing, über die Welt nachzudenken, war bei uns Revolution. Mitzuerleben, wie ein Volk seine Mauern einreißt, hat mich doch sehr geprägt.
ARTE MAGAZIN Ihre Freundin soll beim Drehstart von „Gundermann“ zu Ihnen gesagt haben, Sie sollen froh sein, endlich eine Rolle zu spielen, in der Sie so sein können, wie Sie wirklich sind: uncool. Sind Sie das?
Alexander Scheer Sie meinte auch, ich sei ja nur Schauspieler geworden, damit ich immer der Coolste bin. Da konnte ich ihr erst mal nicht widersprechen. Aber es stimmt: Wie Gundermann auszusehen, hat eine Tür in meinem Kopf geöffnet.
ARTE MAGAZIN Wohin führte die?
Alexander Scheer Ich konnte meine Eitelkeit an der Garderobe abgeben. Das war sehr befreiend. Man denkt immer, man möchte gut aussehende, starke Figuren spielen. Du kannst aber auch stark sein und bescheuert aussehen.