Als der Spaß Berlin verließ

In den Goldenen Zwanzigern blühte Berlins progressive Subkultur. 1933 setzten die Nazis dem ein brutales Ende. Die Stadt wurde rasch zur Macht- und Terrorzentrale des Reiches.

Tanzende Frau im Federkostüm
Kulturbruch: Das „Eldorado“ in Berlin-Schöneberg, in dem ein Transvestit namens „Muguette“ 1931 tanzte, war ein Treff­punkt homosexuellen Lebens. Foto: Elli Marcus / ullstein bild

Am 25. Februar 1933 feierte ein junger Berliner, der sich bislang nicht übermäßig für Politik interessiert hatte, auf dem Ball einer Kunsthochschule. Es war voll, es ging laut zu, überall sah man bunte Kostüme, nackte Schultern, nackte Beine, vom Feierbetrieb erhitzte Gesichter. Tänze und Flirts unterbrach plötzlich das Gerücht, die Polizei sei im Hause. Manche wurden nervös, andere gaben sich betont lässig. Worum ging es? Würde die Nacht im Gefängnis am Alexanderplatz enden? Der junge Mann bat einen blau uniformierten Polizisten um Auskunft und fragte, ob sie wirklich schon nach Hause gehen müssten. Die Antwort kam prompt und in eisigem Ton, drohend und tückisch: „Sie dürfen nach Hause gehen.“ ­Sebastian ­Haffner hat die Szene in seiner „Geschichte eines Deutschen“ geschildert.

Nach Adolf Hitlers Machtergreifung im Januar 1933 unterstand die Polizei ­Hermann ­Göring. Auf dessen Anweisung arbeiteten die Beamten mit einer Hilfspolizei aus SA-, SS- und Stahlhelm-Männern zusammen. Jeder in der Stadt musste damit rechnen, verhaftet zu werden, vor allem Juden und Nazi-Gegner. Zwei Tage nach dem Faschingsfest hatte der Reichstag gebrannt, die „Reichstagsbrandverordnung“ setzte die Grundrechte und rechtsstaatliche Prinzipien außer Kraft. SA-Lokale wurden Folterhöhlen, in denen man die Verhafteten systematisch prügelte, schikanierte, ermordete. Niemandem, hieß es offiziell, werde auch nur ein Haar gekrümmt, aber in manchen Vierteln waren die Schreie der Geschlagenen zu hören. Etwa 30.000 Menschen wurden im Jahr 1933 für kürzere oder längere Zeit inhaftiert, schätzt man heute. Aber diese Fortsetzung des Straßenkampfs mit staatlicher Duldung und polizeilicher Hilfe entfaltete Wirkung weit über den Kreis der Gefolterten hinaus, sie schüchterte ein und überzeugte manche, lieber mitzuprügeln, als geprügelt zu werden, lieber wegzusehen, als zu helfen. So fraß sich das Misstrauen in die gesellschaftlichen Nahverhältnisse. Selbst Nachbarn und Freunde konnten gefährlich werden.

Von Hitlers „Überraschungsangriff auf das deutsche Volk“ sprach der Arzt Walter Seitz. Es ging Schlag auf Schlag. Auf die Reichstagswahlen und das Ermächtigungsgesetz im März 1933 folgten der Boykott jüdischer Geschäfte, das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“, die Vernichtung von ­Magnus ­Hirschfelds Institut für Sexualwissenschaften, die Bücherverbrennung, eine gewaltige Mai-Kundgebung und gleich darauf das Verbot der Gewerkschaften. All das war begleitet von Aufmärschen, Propagandakampagnen, Massenmobilisierung – und immer wieder von Terror. Beobachtern fielen die Fülle der Hakenkreuzfahnen in der Stadt und der Gruppenzwang zum deutschen Gruß auf.

Der polnische Aristokrat ­Antoni Graf ­Sobański, der mit dem Nachtleben der 1920er Jahre, mit den Lokalen der Künstler und Homosexuellen gut vertraut war, registrierte im Frühjahr 1933 „gähnende Leere“ in den Restaurants und Cafés. Die Ungezwungenheit war verloren gegangen: „Wenn jemand mit dem Partei-abzeichen am Revers oder an der Krawatte ein Lokal betritt, wird es still und irgendwie ungemütlich, beinahe kalt.“ Statt der Vielfalt des Amüsierbetriebs gab es nun in Berlin eine ungeheure „Vielfalt der Uniformen“, ständig klapperten Spendenbüchsen.

Berlin 1933 – Tagebuch einer Großstadt

2-tlg. Dokumentarfilm

Dienstag, 24.1. — ab 20.15 Uhr

bis 23.4. in der Mediathek

Kinder mit Hakenkreuzen
Fürs Propagandafoto ­gingen Kinder 1933 mit Hakenkreuzfähnchen spazieren. Foto: Süddeutsche Zeitung Ph

Entschlossene Gegenwehr blieb aus

Hunderte Künstler und Intellektuelle, die das Bild vom Berlin der Weimarer Republik geprägt hatten, flohen. Andere wie ­Gottfried Benn, ­Heinrich ­George oder ­Gustaf ­Gründgens arrangierten sich mit den neuen Machthabern, die nicht nur unter ihren Parteigängern und Wählern Zustimmung fanden. Viele ließen sich vom Rausch des Aufbruchs, des Erwachens, der Einigkeit ergreifen, hofften auf ein Erstarken Deutschlands, begrüßten das Ende der Parteien und des Parlamentarismus, die Demonstrationen der Stärke. Entschlossene Gegenwehr blieb aus.

So begann die Zerstörung all dessen, was Berlin ausgemacht hatte: der Arbeiterbewegung, der vielfältigen Presse- und Kultur­landschaft, des jüdischen Lebens, der homosexuellen Subkultur. Der US-amerikanische Korrespondent ­William L. ­Shirer vermisste bald schon das „alte Berlin der Weimarer Republik, die sorgenfreie, emanzipierte Luft; die stupsnäsigen jungen Frauen mit ihrem Bubikopf und die jungen Männer (…), die die ganze Nacht mit einem zusammensaßen und voller Intelligenz und Hingebung diskutierten“. Es begann der Umbau Berlins zur Hauptstadt und Terrorzentrale des Dritten Reiches.