Wie eine grüne Oase liegt der kleine Bio-Hof von Anne Kaulfuß und Deacon Dunlop in den grau-sandigen Feldern Brandenburgs. Das Thermometer zeigt 13 Grad. Ein leichter Nebel zieht sich über die kahle Landschaft. Im frühen Morgenlicht scheint es, als ob alles noch schläft – doch Kaulfuß und Dunlop sind seit Sonnenaufgang auf den Beinen. Sie stapeln Kisten, sortieren frisches Gemüse und packen Gemüsekisten für ihre Kundinnen und Kunden. Vor mittlerweile fünf Jahren kehrten die beiden Biologen der Großstadt Berlin den Rücken, um sich im brandenburgischen Dorf Alt Madlitz inmitten der Natur ein neues Leben aufzubauen. Ausgestattet mit einem kleinen Wohnwagen und 2,5 Hektar Ackerland führen sie hier ein Leben in Bescheidenheit und kämpfen täglich für das, was für viele Menschen völlig vergessen scheint: ein naturnaher, ressourcenschonender Gemüseanbau.
Als sie zum ersten Mal auf dem Acker standen, der jede Woche mittlerweile etwa 250 Menschen mit frischem Gemüse versorgt, sah dieser jedoch noch völlig anders aus. „Hier war nur braune Erde“, sagt Dunlop lachend. „Jahrzehntelang sind sie mit großen Traktoren hier drübergefahren. Der Boden war stellenweise hart wie Beton.“ Mit jedem Jahr sei die „Ackerpulco-Farm“, wie die beiden ihr gepachtetes Grundstück nennen, fruchtbarer und lebendiger geworden. Heute, nach Jahren harter Arbeit und Geduld, blickt das engagierte Paar auf Beete voll von buntem Gemüse, zahlreiche Obstbäume und mehrere Gewächshäuser, in denen rote, gelbe und sogar violette Tomaten wachsen. „Etwa 20 bis 30 verschiedene Tomatensorten haben wir hier“, erzählt Kaulfuß. Insgesamt seien es über 50 unterschiedliche Gemüsekulturen.
Wie die ARTE-Dokumentation „Die Bio-Revolution“ zeigt, beschäftigten sich die ersten Pioniere in Deutschland vor rund 100 Jahren mit biologischer Landwirtschaft. Während Kritiker alles rund um das Thema anfangs als eine Art Glaubenssache abtaten, herrscht heute weitgehend wissenschaftlicher Konsens über den Nutzen von ökologischer Landwirtschaft: Sie sorgt – im Gegensatz zu konventioneller Landwirtschaft – bei Böden für mehr Widerstandsfähigkeit gegenüber Extremwetterlagen, mindert den Pestizid- und Düngereinsatz, fördert die Biodiversität, reduziert die Wasserverschmutzung und schützt nebenbei auch die Gesundheit der Landwirte. Inwiefern die versprochenen Vorteile auch auf massenhaft verfügbare Bio-Produkte aus dem Supermarkt zutreffen, lässt sich pauschal nicht sagen. Laut der Organisation foodwatch lag der bundesweite Umsatz von biologisch produzierten Lebensmitteln im Jahr 2023 bei rund 16 Milliarden Euro – das entspricht gut sechs Prozent des gesamten Lebensmittelumsatzes und einer Verdreifachung im Vergleich zum Jahr 2000.
Biologisch produzierte Produkte sind demnach jedoch weiterhin eine Nische – und Kleinsthöfe, wie der von Anne Kaulfuß und Deacon Dunlop, eine Art Nische in der Nische. Und was lässt sich genau hier für die Zukunft der Landwirtschaft lernen? „Wir wollten einen Unterschied machen und etwas Gutes tun“, sagt Dunlop. „Es ist wundervoll zu sehen, wie man ein Stück Natur kreiert hat und immer mehr Tiere kommen. Sogar die blauschwarze Holzbiene und Moorfrösche wohnen seit diesem Jahr bei uns.“ Trotz ihres Biologiestudiums mussten sich die beiden aber erst mal in die Materie einlesen, denn an den Universitäten wird bisher wenig über alternativen Landbau gelehrt. Schnell sei ihnen klar geworden: „Wir müssen nicht die Pflanzen, sondern den Boden füttern.“
Brandenburg, bekannt für seine nährstoffarmen Böden, leidet seit Jahren unter den Folgen des Klimawandels. Wasserknappheit und Dürreperioden haben das Land hart getroffen. Trotzdem werden bislang lediglich etwa 16 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche in Brandenburg ökologisch bewirtschaftet.„Dabei ist das die ursprünglichste Form von Landwirtschaft, so haben früher alle gearbeitet“, betont Kaulfuß. „Die konventionelle Landwirtschaft fokussiert sich auf einen schnellen und hohen Ertrag. Langfristig schadet sie aber dem Boden. Denn Monokulturen, Pestizide und synthetische Düngemittel führen zu einer Verarmung des Bodenlebens.“ Kaulfuß und Dunlop setzen bei ihrem Acker daher auf die sogenannte Agroforstwirtschaft: Sie pflanzen Bäume, die in ihrem Wurzelbereich Lebensraum für eine Vielzahl an Mikroorganismen bieten, den Boden stabilisieren und im Sommer auch Schatten spenden.
Wir müssen nicht unsere Pflanzen, sondern den Boden füttern
Ein paar Kilometer entfernt von der „Ackerpulco-Farm“ wendet Benedikt Bösel, der in Deutschland als Vorreiter für eine Landwirtschaft gilt, die sich auf die Gesundheit von Böden konzentriert, ebenfalls diese Methode an. Auf 3.000 Hektar betreibt er Forst- und Ackerbau sowie eine biologische Rinderzucht. Als Autor schrieb er 2023 den Bestseller „Rebellen der Erde: Wie wir den Boden retten – und damit uns selbst“. Im Gespräch mit dem ARTE Magazin bekräftigt er: „Das Einzige, was mit klimatischen Schwankungen und den Herausforderungen der Zeit gut umgehen kann, ist ein gesunder Boden und ein intaktes Ökosystem.“ Agroforstwirtschaft trage zu einem „sehr wertvollen Boden“ bei. Die Rinder fungieren dabei als „wiederkäuende Kompostautomaten“, die durch das regelmäßige Grasen das Pflanzenwachstum förderten und zum Kühlungseffekt beitrügen.
Doch diese Art der Landwirtschaft hat ihren Preis: Ein Kilo Tafelspitz vom Weiderind kostet bei Bösel derzeit rund 40 Euro – etwa dreimal so viel wie ein konventionell produzierter Tafelspitz. In Zeiten wirtschaftlicher Unsicherheiten kann das abschrecken. „Seit Beginn des Ukraine-Konflikts hat sich der Bio-Fachhandel mit einigen Herausforderungen konfrontiert gesehen“, bestätigt der Bundesverband Naturkost Naturwaren (BNN) auf Anfrage. Die hohe Inflation habe zu einer Kaufzurückhaltung geführt, sich zuletzt aber wieder stabilisiert. Verbraucherschützer berichten darüber hinaus von einem schwindenden Vertrauen in Bio-Siegel. Enthüllungen von Missständen auf biozertifizierten Höfen in den letzten Jahren, wie beispielsweise der Einsatz verbotener Düngemittel, umweltschädliche Pestizide, eine Tierhaltung, die nicht den Vorgaben des Bio-Landbaus entspricht, oder gefälschte Bio-Etiketten, erschütterten das Vertrauen vieler Verbraucherinnen und Verbraucher. Auch katastrophale Arbeitsbedingungen auf riesigen Anlagen für Bio-Gemüse in der spanischen Provinz Almería gerieten in den Fokus. Sie warfen Fragen zur Vereinbarkeit industrieller Produktionsmethoden unter Ausbeutung von Mensch und Natur mit den Prinzipien des Bio-Siegels auf. Wie die ARTE-Dokumentation „Biokrise – Masse statt Klasse“ zeigt, waren die Umsätze bei großen Biomarktketten nach den Skandalen zurückgegangen.
Anne Kaulfuß und Deacon Dunlop dagegen freuen sich über einen treuen Kundenstamm. „Es gibt einige Kunden, die sich ihre Gemüsekiste jede Woche bei uns direkt abholen“, erzählt Kaulfuß. Für die restlichen Gemüsekisten fährt Dunlop einmal die Woche nach Berlin und beliefert mehrere Abholstationen. „Reich wird man damit zwar nicht, aber wir brauchen nicht viel und können davon leben“, sagt Kaulfuß. Die Sonne steht bereits hoch am Himmel, als Dunlop mit einer Kiste mit frisch geernteten gelben Paprikas über den schmalen Pfad zwischen den Gemüsebeeten kommt. „Diese besondere Chilisorte ist ganz mild mit einem tollen Aroma “, erklärt er.
Bei den Abonnentinnen und Abonnenten der Gemüsekiste komme sie sehr gut an. Einige Gemüsekulturen bauten sie jedes Jahr wieder an, andere kämen neu dazu. Ihre Beete nutzen die Kleinbauern vollends aus: „Wir produzieren unser Obst und Gemüse nicht nur horizontal, sondern auch vertikal“, sagt Kaulfuß. Oben an den Bäumen wächst das Obst, darunter Beeren an Sträuchern und am Boden Gemüse wie Kohl oder Kürbis. Hinzu kommen sogenannte Bodendecker, also Klee oder Ringelblumen, die den Boden vor Erosion und Austrocknung schützen. Einen speziellen Dünger nutzen die Brandenburger Biologen nicht. Die Erde wird stattdessen immer wieder mit Kompost aus eigenen Pflanzenresten angereichert. „Die beiden zeigen, wie man auf kleinster Fläche besonders viel anbauen kann“, betont Benedikt Bösel. Durch die Mehrfachnutzung der Flächen werde nicht nur der Ertrag maximiert, sondern auch die Biodiversität gefördert. Die beiden Landwirte aus Brandenburg selbst wünschen sich aber vor allem „ein funktionales, gesundes Ökosystem, in dem wir nur zufällig Gemüse anbauen“, wie Kaulfuß sagt.