Flexen. Ein Wort, das für viele Erwachsene wohl eher nach handwerklicher Arbeit und Baumarktvokabular klingt. Der Begriff stammt aus dem Englischen und bedeutet übersetzt so viel wie „Biegen“. Unter Jugendlichen hat er inzwischen noch eine ganz andere Bedeutung: Als „Flexer“ wird jemand bezeichnet, der gerne protzt. Mit dem trainierten Bizeps, teuren Sneakern oder vielen Likes auf Instagram. Genau mit solchen Statussymbolen beschäftigt sich die dritte Folge der Dokureihe „Kids – Wie sie ticken“, die ARTE von Januar an ausstrahlt. Teenager erzählen darin, warum die limitierte Louis-Vuitton-Jogginghose oder ein TikTok-Profil mit vielen Followern so wichtig für sie sind.
Auch die anderen elf Folgen der Doku-reihe stellen die Perspektive Jugendlicher in den Mittelpunkt. Sie beleuchten ganz unterschiedliche Themen, die für Heranwachsende bedeutsam sind – wie die erste Liebe, Probleme mit dem eigenen Körper oder Kreativität. Zusätzlich stellen Expertinnen und Experten neue Forschungsergebnisse etwa aus Psychologie, Pädagogik oder den Neurowissenschaften vor.
Was die Statussymbole angeht, kommen sie hierbei zu teils überraschenden Erkenntnissen. Die wichtigste: Diese haben von der frühen Kindheit an einen besonderen Einfluss auf die Persönlichkeitsentwicklung. „Bereits im Kindergarten wird es wichtig, welches Spielzeug man hat oder welche Tonies-Figur“, erklärt die Kommunikationswissenschaftlerin Nadja Enke. Laut „Kinder Medien Monitor“ 2023 achten knapp 40 Prozent der Kinder zwischen vier und fünf Jahren auf die Marke ihrer Spielzeuge, bei den Sechs- bis Neunjährigen sind es rund 60 Prozent.
Dies hat nicht nur mit einer geschäftstüchtigen Werbeindustrie zu tun, die ihre Angebote auf Kinder als loyale und leicht manipulierbare Zielgruppe zuschneidet. Stattdessen liegt es wohl in der Natur des modernen Menschen, mit dem Besitz und Können anzugeben. Statussymbole können eine positive Funktion für die Entwicklung von Autonomie und Selbstwertgefühl haben, so der Kinder- und Jugendpsychiater Roland Burghardt in der Dokufolge. Solange das Prahlen mit dem Lieblingshoodie oder dem Fußballtalent nicht überhandnimmt, kann ein bisschen Flexen Kindern und Jugendlichen dabei helfen, sich von den Eltern zu lösen oder sich einer neuen Gruppe zugehörig zu fühlen – als Teil der individuellen Persönlichkeitsentwicklung.
Eine Aufgabe, die nicht erst heute für Jugendliche wichtig ist und bei der schon lange Statussymbole eine Rolle spielen: sei es die Levi’s-Jeans in den 1970er Jahren, der Walkman in den 1980ern oder die Nike-Air-Turnschuhe mit den kleinen Fenstern in den Sohlen in den 1990ern. Im Unterschied zu heute war der Referenzrahmen, an dem man sich für seine Selbstfindung orientieren konnte, dabei allerdings deutlich kleiner: Statt der Freunde auf dem Schulhof setzen mittlerweile reichweitenstarke Influencer vor allem über TikTok die Trends und etablieren so neue Statussymbole.
IDOLE AUS DEM INTERNET
Ein Problem dabei: Trotz ihrer Verkaufsinteressen würden Influencer von Jugendlichen häufig als Vertrauenspersonen und Vorbilder wahrgenommen und könnten so ihr Kaufverhalten stark beeinflussen, erklärt Kommunikationsexpertin Nadja Enke. Die beworbenen Produkte werden, anders als bei klassischer Fernsehwerbung, zumeist als persönliche Empfehlung dargestellt. Wie eine aktuelle Untersuchung der Europäischen Kommission zeigt, wird Werbung hierbei aber oftmals nicht wie rechtlich vorgeschrieben gekennzeichnet: 97 Prozent der überprüften Influencerinnen und Influencer veröffentlichten Posts mit kommerziellem Inhalt, aber nur 20 Prozent nahmen eine entsprechende Kennzeichnung vor.
Eltern mögen das Faible ihrer Kinder für Idole aus dem Internet, absurd teure Turnschuhe oder das neueste iPhone oft belächeln. Dabei sind auch sie gegen gezielte Marketingstrategien nicht immun – und für Statusdenken anfällig. Das zeigt etwa der aktuelle Hype um die sogenannte Dubai-Schokolade: Eine einfache Süßigkeit mit Pistaziengeschmack wird auf Instagram und -TikTok als limitiertes Must-have präsentiert und führt zu langen Warteschlangen vor den Verkaufsstellen. Ähnliche Begeisterungsstürme löste im Europa des 18. Jahrhunderts die – heute überall leicht erhältliche – Ananas aus. Da Anbau und Transport der exotischen Frucht schwierig waren, kostete sie so viel wie eine Kutsche.
Obwohl Statussymbole über alle Altersstufen hinweg und in allen sozialen Schichten wichtig sind, haben sie tendenziell einen schlechten Ruf. Hartnäckig hält sich das Vorurteil, dass über sie ein schwaches Selbstwertgefühl kompensiert werden muss – man denke nur an den alten Witz über kleine Männer in großen Sportwagen. Die Forschung spricht jedoch eine andere Sprache: Moderates Flexen, um sich von anderen abzuheben und Zugehörigkeit zu einer Gruppe zu demonstrieren, scheint eine menschliche Urstrategie zu sein, um zu sich selbst zu finden. Egal ob über das Lieblingsspielzeug, teure Pistazienschokolade oder mit einem Sportwagen.
Statussymbole und das Selbstwertgefühl hängen eng zusammen