Das Schloss und die grosse Stadt

AN DER SPREE War die einstige Residenz wirklich so wichtig, wie Befürworter der Teilrekonstruktion behaupten? Journalist Jens Bisky blickt auf die Vorgeschichte des preußischen Prachtbaus.

Bildhauer fertigten Nachbildungen der Original-Plastiken (Foto: Robert Michael/dpa-Zentralbild/dpa)

Das Schloss lag nicht in Berlin, Berlin war das Schloss“. Mit diesem Satz des Verlegers Wolf Jobst Siedler wurde nach 1989 für den Wiederaufbau des Schlosses geworben. Er passte gut in eine Zeit, in der die zerschnittene Stadt wieder zusammengeflickt wurde und sich neu erfinden musste. Wer nun aber in den Tausenden Erinnerungen, Stadtschilderungen und Briefen aus den vergangenen 300Jahrenstöbert, der wird dort keine Bestätigung für Siedlers Behauptung finden. Das unter dem preußischen Soldatenkönig Friedrich WilhelmI. vollendete Barockschloss spielt darin keine überragende Rolle, wie auch die ARTE-Dokumentation im Dezember unterstreicht.

Berlin baut ein Schloss

Kulturdoku

Mittwoch, 2.12. • 21.40 Uhr
bis 31.12. in der Mediathek

Im Dezember startet die Eröffnung des teilrekonstruierten Schlossneubaus. (Foto: Robert Michael/dpa-Zentralbild/dpa)

Gewiss, der architektonisch großartige Kasten, etwa 192Meter lang, 116Meter breit, war lange das größte Bauwerk der Residenzstadt, als Sitz der preußischen Könige symbolisch und praktisch bedeutend. In ihm fanden Feste und Empfänge statt, waren Bibliothek, Kunstsammlungen und Behörden untergebracht, aber die Stadtgesellschaft entwickelte und traf sich andernorts: im Tiergarten vor dem Brandenburger Tor, am Gendarmenmarkt, in Cafés, Konditoreien, Lesesalons, später in der U-Bahn, in Warenhäusern, Clubs, am Alexanderplatz, auf dem Kurfürstendamm, im Zoo. Wer die große Stadt verstehen wollte, in der die Widersprüche der Zeit früh und in besonderer Schärfe zu erkennen waren, wer in der Nacht das Aufregende, Neue, Flüchtige suchte, wer sich fragte, wie die Mehrheit der Berlinerinnen und Berliner lebte, der konnte das Schloss getrost links liegen lassen.

Kuppel mit Kreuz auf der Baustelle (Foto: Britta Pedersen/dpa-Zentralbild/dpa)

Selbst wichtige Hohenzollern-Herrscher haben es nur als ein repräsentatives Gebäude neben anderen genutzt. So ist aus guten Gründen die Erinnerung an Friedrich den Großen vor allem mit Sanssouci und dem Potsdamer Stadtschloss, die an WilhelmI. mit dem Alten Palais Unter den Linden verbunden. Und der Letzte in der Reihe, WilhelmII., der das Schloss umbauen und mit zeitgemäßer Haustechnik ausstatten ließ, war in erster Linie Reisekaiser. Unter seiner Herrschaft konnte man die Festsäle besichtigen, aber berühmter noch als die Empfänge und Banketts wurden seine pompösen Ausfahrten, etwa der alljährliche Umzug in die Sommerresidenz, das Neue Palais in Potsdam. Der Baedeker-Reiseführer von 1914 behandelt das Schloss wie ein Museum und weist daneben ausdrücklich auf die wenigstens ebenso interessante Mobilität des Monarchen hin: „Die häufig die Linden durcheilenden kaiserlichen Automobile sind elfenbeinfarbig und fallen durch ein melodisches Trompetensignal mit besonderem Zweiklang auf.“

Das Schloss lag nicht in Berlin, Berlin war das Schloss

Wolf Jobst Siedler, Verleger
Eckrondell der neuen Ostfassade (Foto: Stephan Falk/ZDF)

Verlust städtischer Freiheiten
Historisch bedeutsam wurde das Schloss als Schauplatz der Auseinandersetzung zwischen Hof und Stadt, Obrigkeit und Gesellschaft, mit deren Schwäche seine Geschichte begann. Den Grundstein für den Bau konnte Kurfürst FriedrichII., genannt „Eisenzahn“, Mitte des 15.Jahrhunderts nur legen, weil Berlin und Cölln– und in beiden Gemeinwesen die Bürger– zerstritten waren. Sie sahen in dem Neubau auf der Spreeinsel ein Symbol für den Verlust städtischer Freiheiten und kommunaler Selbstständigkeit. Es dauerte Jahrhunderte, bis die Berliner Stadtgesellschaft die preußische Montur abstreifte, die Fesseln der Residenzstadtexistenz wenigstens lockerte. Das geschah weniger durch offene Rebellion als durch Umdeutung und sanfte Polemik. Schönstes Beispiel: Karl Friedrich Schinkels Museum am Lustgarten, das den Triumphbogenportalen des Schloss-Architekten Andreas Schlüter die offene Vorhalle hinter ionischen Säulen entgegensetzte. Der Dramaturgie der höfischen Feste und Herrscherverherrlichung antwortete der pathetisch inszenierte Aufstieg in den Kunsthimmel.