EINS AUFS DACH

STADT VON MORGEN Menschen lieben Städte – doch die sind oft grau und eng. Hilft vertikales Bauen? Eine ARTE-Reihe lädt ein auf eine architektonische Reise und zeigt ganz reale Luftschlösser und ziemlich grüne Autobahnen.

Foto: Rob ’T Hart

Es wird eng in den Städten der Welt. Wie aber mehr Wohnraum und Grünflächen schaffen? Darauf suchen Experten Antworten, etwa mithilfe vertikaler Nachverdichtung, sprich dem Bauen nach oben und unten. Einer von ihnen ist ­Winy ­Maas. Mit seinem international tätigen Architekturbüro MVRDV realisiert der Niederländer nicht nur spektakuläre Bauten, sondern auch nachhaltige. Ein Gespräch über einen Park in der Luft, ein Dorf auf dem Dach und ein grünes Marzahn.

ARTE MAGAZIN Herr Maas, Sie haben in Rotterdam einen knallblauen, dorfartigen Aufbau auf ein denkmalgeschütztes Haus gesetzt: „Didden Village“. Warum?
Winy Maas Die Familie Didden, nach der es benannt wurde, suchte ein Haus – aufgrund von Platzmangel in einem Vorort von Rotterdam. Ich fand aber, dass sie ihr Häuschen auch in der Stadt haben könnten.

ARTE MAGAZIN Zumindest optisch ist klar, warum es Aufsehen erregt hat. Was aber macht es nachhaltig?
Winy Maas Zunächst einmal ging es darum, einen Prototyp zu schaffen und zu zeigen: Auch Dächer in Städten können zum Bauen genutzt werden. So haben wir kein Land verbraucht. Wir haben oben Bäume gepflanzt und können dort Wasserreserven anlegen.

ARTE MAGAZIN Ein weiteres bekanntes Projekt von Ihnen ist der Skygarden „Seoullo 7017“. Wie kam es dazu?
Winy Maas Seoul hat kaum Grün. Der Bürgermeister Park Won-soon wollte das ändern und hatte eine mutige Idee: Eine Autobahn sollte zum Park werden.

ARTE MAGAZIN Das Ergebnis ist ungewöhnlich: Oben flanieren Menschen, unten rasen die Autos. Es gibt Planschbecken für Kinder und ziemlich viele Pflanzen.
Winy Maas Ja, wir haben mit Botanikern der Universität Seoul zusammengearbeitet. Heute beherbergt der Ort alle Pflanzenarten des Landes – von A bis Z.

ARTE MAGAZIN Städte scheinen Sie zu reizen. Weshalb?
Winy Maas Weil ihre Umweltbilanz enorm ist. Es werden 2050 geschätzt 70 Prozent der Menschen in urbanen Gebieten leben. Städte werden für 70 Prozent des CO₂-Ausstoßes, 60 Prozent des Wasser- sowie 75 Prozent des Energieverbrauchs verantwortlich sein.

ARTE MAGAZIN Wie kann das kompensiert werden?
Winy Maas Das haben wir uns auch gefragt und gemeinsam mit Studierenden und weiteren Fachleuten eine Software entwickelt: „The Green Maker“. Damit kalkulieren wir, wie Städte aussehen müssten, um das auszugleichen. Hongkong oder New York würden nach unseren Berechnungen und Simulationen quasi Dschungeln gleichen. Mit grünen Fassaden, Dächern und Straßen. Eine schöne Träumerei für die Post-Corona-­Ära!

ARTE MAGAZIN Wenn wir schon mal beim Träumen sind: Nehmen wir an, Sie dürften drei Gesetze erlassen, welche Kriterien Gebäude in Zukunft erfüllen müssten. Welche wären es?
Winy Maas Erstens: Es dürfen nur noch von außen begrünte Gebäude errichtet werden. Zweitens: Alle Bauten müssen aus Holz sein. Und drittens: Es muss mehr Freiheit beim Bauen geben.

ARTE MAGAZIN Haben wir zu wenig davon?
Winy Maas Unsere Gesellschaft wird von Gesetzen dominiert. Ich aber finde: Jeder darf so bauen, wie er will, solange er seinen Nachbarn nicht stört. Architektur braucht Raum für Experimente.

ARTE MAGAZIN Lassen Sie uns beim Experimentieren bleiben. Hätten Sie Ideen, wie Sie Paris und Berlin grüner machen würden?
Winy Maas Das wäre in der Tat ein tolles Projekt. Also in Paris hätte ich große Lust, die im Haussmann-Stil erbauten Häuser im Zentrum zu begrünen. Die Regularien des Präfekten Georges-­Eugène ­Haussmann aus dem 19. Jahrhundert hatten zur Folge, dass der Stadtkern sehr homogen aussieht. Und in Berlin reizt mich besonders ein Bezirk: Marzahn. Ihn mit all seinen Hochhäusern durch Begrünung zu verändern und zu einem Modell für die Stadt von morgen zu machen, fände ich großartig!

Drunter und Drüber – Wie Städte nachhaltig wachsen können

4-tlg. Dokureihe
ab Sonntag, 7.6. •
11.25 Uhr
je 7 Tage in der Mediathek.

Foto: Ossip van Duivenbode
Foto: Virtuel Architecture

Poesie in Poissy

Architektur als Antwort auf soziale Probleme – in der französischen Kleinstadt ist dieser Ansatz gelungen. Ein Beweis, dass „schön“ und „sozial“ einander nicht ausschließen.

Poesie glänzt im sozialen Wohnungsbau gemeinhin durch ihre Abwesenheit. Umso hellhöriger wird man, wenn Architekten versuchen, Schönheit und Sozialbau zu kombinieren – und eine Art Win-win-Situation schaffen.
Seit 2016 gilt die Kleinstadt Poissy nahe Paris als gutes Beispiel für die Vereinbarkeit von kostensparender Plattenbauweise und einem Mindestmaß an Ästhetik – Experten sprechen dabei von „Aufstockung und Aufwertung“. Verantwortlich dafür zeichnet das Architektenpaar ­Béatrice ­Vivien und ­Laurent ­Pillaud. „Die Umgebung ist hart, nur nackte Sozialbauten, eine komplizierte Urbanität. Tatsächlich haben wir mit diesen kleinen Aufbauten eine einfache Antwort auf die Probleme gegeben, und es ist eine gewisse Poesie entstanden“, sagt ­Vivien. 33 zusätzliche Häuschen wurden auf die vormals klotzförmigen Platten draufgesetzt – von oben betrachtet wirken die farbigen Aufstockungen wie ein üppiger Pinselstrich auf einer Betonwand. Durch den Maisonette-­Charakter haben ­Vivien und ­Pillaud viel Platz auf wenig Raum geschaffen. Die Modulbauweise verkürzte die Installationen und ermöglichte es den Bewohnern des ursprünglichen Gebäudeteils, in ihren Wohnungen zu bleiben. Dass ästhetische Architektur durchaus eine angemessene Reaktion auf soziale Probleme sein kann, lässt eine Bewohnerin des Ensembles in der ARTE-Doku „Drunter und Drüber“ durchblicken: „Ich lebe gerne hier. Die Stimmung ist gut, es gibt keine Probleme mit den Nachbarn, kein Lärmproblem. Hier oben hat jeder seinen Freiraum.“

Foto: Raad Studio

Idylle unter der Erde

Wohin, wenn oben voll ist? Das Projekt „Lowline“ in New York will den ersten Untergrund-Park der Welt schaffen – ohne auf Sonnenstrahlen zu verzichten.

Das ist kein Kundenprojekt oder ein Wunsch der Stadt – hier haben sich New Yorker Jungs zusammengesetzt, die diesen Traum verwirklichen wollen“, erzählt „Lowline“-­Designer ­James ­Ramsey dem Spaces Magazine. Das Konzept des Projekts: Eine Industriebrache unter New Yorks Lower East Side soll zu einer im Viertel dringend benötigten grünen Oase umgebaut werden. Der Gedanke dahinter: dem raschen Wachstum der Weltmetropole begegnen, indem verborgene Ecken gefunden und genutzt werden. Mithilfe von Solartechnologie wollen die „Lowline“-­Architekten Sonnenstrahlen auffangen, bündeln und über Rezeptoren und Glasfaserkabel nach unten leiten. So soll Fotosynthese gewährleistet und Pflanzenwachstum ermöglicht werden. Der neue Ort soll zum Flanieren und Joggen einladen sowie kleine Verkaufsstände beherbergen – mehr Naherholungsgebiet als Shopping-Mall. Einen sonnigen Tag im Park wird der Untergrundort sicher nicht ersetzen können, aber als zusätzliches Angebot abseits der hektischen Oberfläche klingt das Projekt reizvoll. Derzeit liegt die „Lowline“ finanzierungsbedingt auf Eis, was nicht heißt, dass die New Yorker die Orientierung nach unten aufgeben. Vielen erscheint sie als logischer Schritt, den der Platzmangel diktiert. „Und an einem tristen Januartag wäre es in der ,Lowline‘ sicher angenehmer als über der Erde“, so ­Ramsey.