Eiskalte Familientiere

Kaiserpinguine werden in der Antarktis geboren und kehren Jahr für Jahr zu ihren Kolonien zurück, um sich zu paaren. Nicht alles, was man dem flugunfähigen Vogel nachsagt, stimmt tatsächlich.

Pinguine, Antarktis
Foto: David Merron/Getty Images

Kaiserpinguine, um direkt mit einem weitverbreiteten Mythos aufzuräumen, sind nicht monogam. Die adretten Frackträger führen keine Einehen, sondern bleiben meist nur für eine Brutzeit mit denselben Partnern zusammen – und sogar denen gehen sie gerne mal fremd. Evolutionär betrachtet ergibt die Promiskuität der Pinguine durchaus Sinn: Sie leben am kältesten, stürmischsten und zugleich trockensten Ort der Welt. Der ARTE-Dokumentarfilm „Antarktika – Die gefrorene Zeit“ zeigt den tiefgefrorenen Kontinent am südlichsten Punkt der Erde und macht deutlich: Wer hier überleben will, darf nicht zimperlich sein – auch nicht in Sachen Partnerschaft.

Doch geht es um niedliche Tiere wie den Pinguin, sieht der Mensch, was er sehen will. „Wir lieben und pflegen einige Mythen über diese Zweibeiner, denen wir uns so nahe fühlen“, sagt der Pinguinforscher ­Klemens Pütz. So vermenschlichen wir die Vögel nicht nur, sondern dichten ihnen Wesenszüge an, die wir selbst gerne hätten: Geselligkeit, Tapferkeit, einen Sinn für Romantik. Pütz hält Projektionen dieser Art für waghalsig. Immerhin gehören die flugunfähigen Tiere als direkte Nachfahren der Dinosaurier nicht unbedingt zu unseren nächsten Verwandten. „Was Pinguine fühlen, und wie sie es tun, wissen wir nicht“, sagt der Biologe. Auf seinen Forschungsreisen in die Antarktis hat Pütz dennoch viele faszinierende Verhaltensmuster bei den Kaiserpinguinen beobachtet. Vier Beispiele rund um die sensible Paarungszeit:

Partnerwahl
Im April, wenn der antarktische Winter beginnt, geben Licht und Hormonstatus den Kaiserpinguinen das Signal, dass es Zeit ist, an den Ort ihrer Geburt zurückzukehren. Dann schießen die Vögel wie kleine Raketen aus dem Wasser und purzeln, klatschen und taumeln auf die Meereiskante. Von dort aus wackeln sie eilig landeinwärts und finden sich in Kolonien von Zehntausenden Tieren zusammen. Nun beginnt die Partnerwahl: „Die männlichen Tiere werben breitbeinig und mit geschwollener Brust um ihre potenziellen Liebhaberinnen“, sagt Pütz. Dabei trompeten sie aus voller Kehle. Fühlt sich ein Weibchen von der Performance angesprochen, geht sie hin zu dem Auserwählten. Es folgt ein sechswöchiges Flirtritual, in dem die Pinguine sich gegenseitig ihre Wangenflecken zeigen. Wenn beide „Ja“ sagen, kann es weitergehen.

Antarktika – Die gefrorene Zeit

Dokumentarfilm

Samstag, 17.4. — 20.15 Uhr
bis 15.7. in der Mediathek

Modernes Familienmodell: Bis ihr Junges auf eigenen Füßen steht, kümmern sich die Pinguin­eltern im Wechsel um die Aufzucht. Foto: Mike Hill/Getty Images

Eine Frage der Balance
Zur Kopulation Ende Mai legt sich die Pinguindame flach auf den Bauch, und das Pinguinmännchen klettert ihr auf den Rücken. Bei den Königspinguinen, den etwas kleineren Verwandten der Kaiserpinguine, läuft das Vorspiel etwas gröber ab: Das Männchen versetzt seiner Partnerin einen Tritt, woraufhin sie umkippt. Dann besteigt es die Auserwählte. Der Pinguinexperte ­Boris ­Culik vergleicht Sex unter Pinguinen mit dem Versuch, zwei Flaschen aufeinanderzulegen. Ist diese akrobatische Meisterleistung gelungen, legt das Weibchen innerhalb weniger Tage ein Ei. Das schiebt es dem Partner auf die Füße – und zieht von dannen.

Vaterschaftsurlaub
Gute zwei Monate lässt die Pinguinfrau ihren brütenden Partner in der Kälte stehen. Die Zeit des Wartens ist hart: Eisige Winde peitschen mit bis zu 100 Stundenkilometern über den Kontinent und die Temperaturen fallen auf 40 Grad unter null. Wird es zu ungemütlich, rotten die werdenden Väter sich in einem Pulk zusammen. Was nach Gruppenkuscheln aussieht, ist jedoch eine reine Zweckgemeinschaft. „Letztendlich sind das alles Egoisten“, sagt ­Klemens Pütz. Unterdessen gönnen sich die Weibchen im offenen Meer den klassischen „Antarktis-­Cocktail“ – eine Mischung aus Fisch, Tintenfisch und Krill. Unter Wasser bewegen sie sich äußerst elegant: ein Flügelschlag reicht, und sie gleiten bis zu 30 Meter weit.

Wiedersehen macht Freude
Im August kehrt das Weibchen rund und satt zu seinem Lebensabschnittsgefährten zurück. Es erkennt den Gatten an der Stimme wieder – denn optisch sind die Männer etwas aus der Form geraten: Bis zu 20 Kilo verlieren die 1,20 Meter großen Tiere während des antarktischen Winters. Von nun an kümmern sich die Paare gemeinsam um die Aufzucht ihrer Küken. Bis Dezember füttern sie ihr Junges im Wechsel, dann wird es flügge. Im Januar beginnt die Wanderung zurück zum Meer – und damit ein neuer Brutzyklus. Und ja – es gibt durchaus Paare, die sich ein zweites Mal wiederfinden. Rund 80 Prozent der Kaiserpinguine landen jedoch in den Flügeln eines neuen Partners.

Was Pinguine fühlen und wie sie es tun, wissen wir nicht

Klemens Pütz, Pinguinforscher