Königin Elizabeth II. hat Großbritannien während ihrer 70 Jahre auf dem Thron eine ruhige Stabilität verliehen, was – selbst wenn die Monarchie noch 1.000 Jahre andauern sollte – wahrscheinlich nicht noch einmal vorkommen wird. Da sie durch Erbrecht regiert, also durch einen Zufall der Geburt, und den Thron nur deshalb bestieg, weil sie die Tochter ihres Vaters ist, steht sie für die Kontinuität einer Monarchie, die in der Geschichte bis zu Wilhelm dem Eroberer im 11. Jahrhundert zurückreicht. Sie regiert, aber sie herrscht nicht. Die Befugnisse der Monarchie sind im Laufe der Jahrhunderte so weit eingeschränkt worden, dass sie eher eine nationale Symbolfigur geworden ist. Und doch unterscheidet sie sich immens von vergänglichen Berühmtheiten wie Filmstars oder Musikern und sogar von Politikern. Sie repräsentiert Großbritannien aus einer Position heraus, die über der Politik steht. Der Vorteil eines erblichen Staatsoberhauptes wie der Königin besteht darin, dass Menschen jeder politischen Überzeugung sie respektieren können, ohne überhaupt an Politik zu denken. Als solche ist sie eine wunderbare Botschafterin für Großbritannien.
Warum aber lieben wir Briten sie so sehr? Eine Antwort lautet: Weil wir sie kennen, seit sie ein Baby war. Wir haben sie aufwachsen sehen, wir können voll und ganz darauf vertrauen, dass sie auf der Seite Großbritanniens steht. Außerdem hat sie sich großen Respekt verschafft – sie hat unserem Land mehr als 70 Jahre lang pflichtbewusst, mit einer gewissen Demut gedient. Und sich in dieser Zeit auch immer wieder für die Aussöhnung mit anderen Ländern eingesetzt. Deutschland ist hier ein gutes Beispiel: Ihre Botschaft an den liberalen Nachkriegspräsidenten Theodor Heuss, als dieser 1958 zu einem Staatsbesuch nach London kam (davor hatte Kaiser Wilhelm II. dem britischen Königshaus 1907 den letzten offiziellen Staatsbesuch abgestattet), lautete, dass wir die Vergangenheit, die wir nicht ändern können, akzeptieren und zugleich auf die Zukunft setzen müssen. Der Besuch ebnete den Weg für einen wichtigen Gegenbesuch der Königin in Deutschland 1965, bei dem diplomatische Kontakte und gute Beziehungen zwischen den zwei ehemals verfeindeten Nationen geknüpft werden konnten.
Nachsicht und Schweigen
Die Königin steht für altmodische Verhaltensnormen. Sie stammten aus einer Zeit, als Männer in den Krieg zogen und Ehre der Schlüssel zum britischen Charakter war. Ihre Familie wurde in den Medien zum Opfer von Klatsch und Skandalen. Ihr jedoch konnte niemand etwas anhaben. Sie musste viel durchmachen in ihrer langen Regierungszeit – und hat sich durchgesetzt, weil sie eine klare Vorstellung davon hatte, was es heißt, Königin zu sein. Sie sollte als „Elizabeth, die Standhafte“ in die Geschichte eingehen.
In diesem Moment ihrer Regentschaft, in dem wir sie für 70 Jahre tadellosen und hingebungsvollen Dienst feiern, denken wir an ihre Qualitäten: ihre Nachsicht, ihr Schweigen zu öffentlichen Debatten, ihre Unterstützung der Armee, der Kirche, der Premiers und ihre Liebe zum Commonwealth, für dessen Zusammenhalt sie so viel getan hat – die große „Familie der Nationen“, wie sie den Staatenbund einmal beschrieben hat.
Besonders interessant ist ihr Verhältnis zu den mittlerweile zwölf Premierministern und zwei Premierministerinnen, die sie miterlebt hat, seit sie den Thron bestieg. Sie wird immer die Person unterstützen, die für das Amt ausgewählt wurde. Denn: Er oder sie ist durch den Willen des Volkes im Amt. Sie ist es nicht. James Callaghan, Labour-Premierminister von 1976 bis 1979, behauptete damals, die Queen biete Freundlichkeit, wenn auch nicht unbedingt Freundschaft.
Wir Briten können der Queen vertrauen
Sie wirkt als Resonanzboden für ihre Premiers. Geben sie ihr einen formellen Ratschlag, ist die Königin verfassungsmäßig verpflichtet, diesen anzunehmen. Gibt sie ihnen Ratschläge, sind sie nicht dazu verpflichtet, diese zu befolgen. Aber sie tun gut daran, auf die Monarchin zu hören, denn sie hat – nun schon seit einer Weile – mehr Erfahrung als sie. Während ihr erster Premierminister, Sir Winston Churchill, 1874 geboren wurde und jedem Monarchen seit Königin Victoria gedient hatte, wurde ihr derzeitiger Premierminister, Boris Johnson, erst 1964 geboren – als die Königin bereits zwölf Jahre auf dem Thron saß.
Einmal wöchentlich findet im Buckingham-Palast eine Audienz der beiden statt, und diese ist streng privat. Veranlasst die Königin den Premier dazu, einen Plan zu überdenken, wird dies niemals als Befehl, sondern als Frage formuliert: „Und warum glauben Sie, dass das funktionieren könnte, Herr Premierminister?“
Wenn die Königin in diesem Jahr ihr Platin-Jubiläum feiert, werden die Menschen unvermeidlich nicht nur an die Vergangenheit, sondern auch an die Zukunft denken. Schließlich ist ihre Queen mittlerweile 96 Jahre alt. Nach dem Tod ihres Mannes Prinz Philip, der im April 2021 im Alter von 99 Jahren starb, hat ihre Gesundheit gelitten. Sie ist gezwungen, seltener öffentlich aufzutreten, da sie Knieprobleme hat, ihre Beweglichkeit eingeschränkt ist und sie Angst hat, vor aller Augen zu stürzen. Dabei ist sie nach wie vor aktiv und nimmt an vielen Treffen, Audienzen, Engagements und Botschaftsempfängen per Zoom teil. Wir sehen sie also oft, jetzt allerdings aus der Ferne.
Auch wird die Königin von ihrer Familie nach Kräften unterstützt: Prinz Charles von Wales und seine Frau Camilla, Herzogin von Cornwall, haben viele Aufgaben der Königin übernommen, darunter beispielsweise ihre Auslandsreisen. Und auch Prinz William und seine Ehefrau Catherine, Herzog und Herzogin von Cambridge, haben die repräsentative Rolle der Queen ausgefüllt. Insbesondere während der Pandemie im Jahr 2020, als die Königin und Prinz Philip auf Schloss Windsor isoliert waren und Prinz Charles sich mit dem Coronavirus infiziert hatte, wurden sie zu würdigen Vertretern der königlichen Familie.
Die meisten Briten haben nie eine andere Monarchin als Königin Elizabeth II. gekannt, sodass das Ende ihrer langen Regentschaft wahrscheinlich ein Erdbeben sein wird. Bis vor Kurzem trotzte sie den Jahren und schien unsterblich zu sein. Aber nichts kann ewig währen. Zweifellos wird es schwer sein, ihre Nachfolge anzutreten. Prinz Charles wird den Thron besser ausgebildet besteigen als alle seine Vorgänger, und auch er hat die Interessen Großbritanniens fest im Blick. Doch die Menschen fragen sich, wie er als König sein wird. Da er in der Vergangenheit recht meinungsstark war, darf man annehmen, dass es ihm schwerfallen wird, ein König zu sein, der innerhalb der traditionellen Grenzen handelt.
Queen Elizabeth hat bereits einiges unternommen, um Prinz Charles die Nachfolge zu erleichtern. Als sich die Staats- und Regierungschefs des Commonwealth im April 2018 zum Commonwealth Heads of Government Meeting (CHOGM) in London trafen, schlug sie vor, ihn offiziell als neues Oberhaupt des Commonwealth zu bestätigen – was von dem Staatenbund bereitwillig akzeptiert wurde.
Viele Generationen haben in der Vergangenheit spekuliert, dass die Monarchie mit dem Ableben des einen oder anderen Herrschers enden wird. Die organisierte und durch die Tradition vorgegebene Nachfolge, dass ein Herrscher unmittelbar auf den anderen folgt, hat die Dinge einfacher gemacht – ohne Nachfolgekämpfe, die es früher in der Geschichte gab. Die Monarchie überlebt, weil sie sich anpasst. Es ist eine schrittweise Evolution: Denn jeder Thronfolger macht die Dinge anders als sein Vorgänger oder seine Vorgängerin – und es ist anzunehmen, dass die Monarchie in Großbritannien während der nächsten beiden Regentschaften weniger formell sein wird als bisher.
Unbestreitbar ist, dass Prinz Charles nie das gleiche Maß an Wertschätzung erfahren wird wie seine Mutter Elizabeth. Sein Ruf hat durch seine beiden Ehen stark gelitten, er hält mit seiner Meinung nicht zurück – und nicht alle Bürgerinnen und Bürger sind mit ihm einverstanden. Seine Zeit als König wird zwangsläufig kürzer sein als die der Queen. Doch selbst wer Prinz Charles nicht als Thronfolger respektiert, wird kaum Vorbehalte gegen seinen Sohn Prinz William und dessen Frau Catherine haben. Das junge, moderne Paar mit seinen drei beliebten Kindern ist die große Hoffnung der britischen Monarchie.