Die Helfer im Hintergrund

Im EU-Parlament stehen die Mandats­träger im Fokus. Dabei gibt es viele weitere unverzichtbare Rädchen in der komplexen EU-Maschine. Eine Auswahl.

 

DIE SAALDIENER

Die sogenannten Huissiers sind die wohl diskretesten Amtsdiener der Welt: Traditionell gekleidet mit Frack, Bluse und Smokinghemd sowie schweren silbernen Ketten wachen sie bei Sitzungen des Europaparlaments über die Einhaltung des Protokolls. Der ideale Saaldiener wäre eine Art Super-Recognizer – also jemand, der sich neue Gesichter gut einprägen und sie wiedererkennen kann. Schließlich gehört es zu seinen Aufgaben, nach allen elektronischen Einlasschecks noch einmal persönlich zu prüfen, ob ein Abgeordneter tatsächlich berechtigt ist, einen Plenarsaal zu betreten oder nicht – und das, ohne den zeremoniellen Ablauf der Parlamentssitzung zu stören. Die Saaldiener begrüßen neue Abgeordnete und lotsen sie an ihre Plätze, bereiten die Sitzungssäle vor und bringen täglich Tausende Schriftstücke und Briefe in die Büros und zu den Tagungen der Fraktionen. Und wenn es doch einmal heikel wird, greifen sie ein: Eine Grundausbildung in Selbstverteidigung sowie Kenntnisse zu den Themen Konfliktmanagement und Überzeugungskunst gehören zum beruflichen Profil. Falls also ein Abgeordneter eine Debatte mehrfach stört, übernehmen die Saaldiener – natürlich möglichst diskret.

DIE PARLAMENTARISCHEN ASSISTENTEN

Ein Großteil der 705 Abgeordneten im EU-Parlament beschäftigt einen oder mehrere persönliche Assistenten. Diese müssen sehr vielseitig aufgestellt sein, denn sie haben eine ganze Reihe an Aufgaben zu bewältigen: Mal fungieren sie als Sekretär, mal als wissenschaftlicher Mitarbeiter, Büroleiterin oder Referentin für politische Themen. Neben der Vorbereitung der Ausschuss-arbeit gehören die Recherche von Informationen und die Vorbereitung von Verhandlungen, Reden und öffentlichen Auftritten zum Aufgabenprofil. Auch der Austausch mit Lobbyisten und Vertretern von Zivilgesellschaft und Nichtregierungsorganisationen wird gefordert. Die Assistenten springen dort ein, wo sie gebraucht werden – das kann auch einmal die Kinderbetreuung sein. Stressresistente, effiziente Multitasker sind also besonders gefragt. Die EU-Abgeordneten können die Assistenten von ihrer monatlichen Sekretariatszulage bezahlen, die für jeden Mandatsträger gleich hoch ist. Somit können die Abgeordneten selbst entscheiden, wie viele Mitarbeitende sie für welches Gehalt einstellen. Stellenausschreibungen sind dabei selten, denn die persönliche Beziehung zwischen den Beteiligten steht stets im Vordergrund. Viele Assistenten sind seit Jahren im politischen Betrieb, bevor sie beginnen, fest für einen EU-Abgeordneten zu arbeiten.

Europe 2024: Der Wahlabend

Sonntag, 9.6. — 19.10 Uhr
bis 11.6. in der Mediathek

DIE DOLMETSCHER

Die Sprachenvielfalt im Europäischen Parlament wird häufig mit der babylonischen Sprachverwirrung aus der Bibel verglichen. In der Erzählung vom Turmbau zu Babel bestraft Gott die Stadtbewohner, die ein Bauwerk in den Himmel planen: Von nun an können sie sich sprachlich nicht mehr verständigen. Im Europaparlament wird allerdings viel dafür getan, dass die Sprachenvielfalt in Brüssel nicht zu babylonischen Verhältnissen führt. Schließlich ist das Prinzip der Mehrsprachigkeit in der Charta der Grundrechte der EU verankert: Alle 24 Amtssprachen sollen gleichberechtigt sein. Für die praktische Umsetzung dieser Idee sind unter anderem 660 Übersetzer sowie 275 Dolmetscher und ihre Assistenten zuständig. Täglich arbeiten die Dolmetscher in schalldichten Kabinen daran, Verhandlungen und Plenarsitzungen für alle Abgeordneten simultan verständlich zu machen – inklusive Zwischentönen. In den 1950er Jahren startete die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) mit der überschaubaren Anzahl von nur vier Sprachen: Französisch, Deutsch, Italienisch, Niederländisch. Die sieben EU-Erweiterungen brachten schließlich zahlreiche neue Sprachen ins Parlament – darunter wenig verbreitete wie Maltesisch –, was zu Komplikationen führte. Heute sind die Dolmetscherdienste der EU-Organe die weltweit umfangreichsten. Die mittlerweile 24 Amtssprachen führen insgesamt zu 552 möglichen Übersetzungskombinationen, da jede Sprache in 23 andere übersetzt werden kann. Deshalb arbeiten die Dolmetscher seit der EU-Erweiterung von 2004 mit sogenannten Relaissprachen, bei denen ein Wortbeitrag zunächst in eine der am häufigsten verwendeten Sprachen wie Englisch, Französisch oder Deutsch und dann bei Bedarf aus dieser Sprache in weitere Sprachen übersetzt wird.

DIE VERWALTUNGSBEAMTEN

Die EU-Institutionen werden oft für ihre Regulierungswut kritisiert. Ein bekanntes Symbol dafür: die sogenannte Handelsklassenverordnung – im Volksmund auch „Gurkenkrümmungsverordung“ genannt. Von 1988 bis 2009 regelte sie die maximal zulässige Krümmung von Salatgurken. Wie passend, dass die Verwaltung des EU-Parlaments selbst ein großer Bürokratie-Apparat ist: In seinem Generalsekretariat arbeiten etwa 5.000 Mitarbeiter. Es ist gegliedert in einen leitenden Generalsekretär und zwölf Unterabteilungen, sogenannte Generaldirektionen, in denen Strategien und Förderprogramme für die EU entwickelt werden. Ein weiterer Teil ist der hauseigene juristische Dienst, in dem Juristinnen und Juristen dem Parlament Rechts-beratung liefern und -gutachten erstellen.

DIE ÜBERSETZER

Bevor ein Beschluss in Kraft treten kann, muss jeder offizielle Text in die 24 Amtssprachen der EU übersetzt werden. Bis vor einigen Jahren haben Menschen diese Herkules-Aufgabe allein bewältigt. Doch im Zuge der EU-Erweiterung von 2004 begann die EU effizientere Tools zu entwickeln. Insbesondere die Sprachen aus den neuen osteuropäischen Mitgliedstaaten ließen sich nicht gut in das alte Übersetzungssystem einpflegen. Zugleich stieg die Arbeitsbelastung immer weiter an: von etwa zwei Millionen zu übersetzenden Seiten im Jahr 2013 auf 2,9 Millionen im Jahr 2022. Das EU-Parlament und die -Kommission bauen deshalb neuerdings auf KI-gesteuerte Übersetzungsprogramme, die zugleich umfängliche Texte auf höchstens drei Seiten zusammenfassen können. Diese technologische Neuerung hat die Arbeit der Übersetzerinnen und Übersetzer stark verändert: Oftmals kontrollieren sie heute nur noch die Qualität dessen, was die Maschinen ausgeben. Besonders wichtig ist dies bei komplexen Texten, wie etwa Rechtsvorschriften, bei denen es auf jedes Wort ankommt.

24 Sprachen, ein Europa

Gesellschaftsdoku

Dienstag, 4.6.
— 22.45 Uhr
bis 1.9. in der
Mediathek

 

  • Mehr als 600 Mrd. Euro werden jährlich in der EU in Bildung investiert.
  • 54 Prozent der EU-Bürgerinnen und Bürger können sich in mindestens einer Fremdsprache unterhalten.
  • Mehr als 17 Mio. EU-Bürgerinnen und Bürger leben oder arbeiten in einem anderen EU-Land.
  • 76 Bäume verbessern die Luft im Bürgergarten vor dem EU-Parlament in Brüssel.