Der freie Mann

Lange gelang ihm alles: Franz Beckenbauer hatte nicht eine Weltkarriere, sondern gleich drei. Doch seine letzten Jahre wurden zu einer Tragödie. Wie konnte das passieren?

Franz Beckenbauer in rotem Adidas-Trikot in einer Umkleidekabine
Fußballlegende Franz Beckenbauer am 21. Mai 1977 bei seinem letzten Bundesliga-Spiel für den FC Bayern München. Foto: Presse/SportsWitters

Vielleicht sollte man etwas gleich vorneweg klären, weil bei berühmten Leuten gerne die Frage gestellt wird: Wie war der denn so? Die Frage ist deshalb beliebt, weil Prominente stets der Verdacht umgibt, dass zwischen öffentlicher Figur und dem Menschen hinter den Kulissen ein Unterschied bestehen könnte, sich vielleicht sogar ein Abgrund auftut. Um die Frage zu beantworten, wie denn der Franz ­Beckenbauer (1945–2024) so war, sei ­Günther Jauch zitiert. Er attestiert ihm „eine Grundfreundlichkeit“.

Dabei war diese Grundfreundlichkeit nicht nur Jauch und den anderen Bewohnern der Prominenten-Bubble vorbehalten. ­Beckenbauer verhielt sich grundfreundlich gegenüber allen, mit denen er zu tun hatte. Wenn er etwa zu einem TV-Auftritt ins Stadion kam, war er freundlich zum Ordner, zu den Leuten in der Maske oder gegenüber den Menschen, die ihm ein Mikrofon ansteckten oder hinhielten. Er war das nicht mit dem demonstrativen Gestus, was für ein toller, den Menschen zugewandter Typ er ist, sondern war einfach so freundlich. Was bemerkenswert genug ist, wenn man weiß, wie kapriziös die Leute werden können, wenn sie nur ein Zipfelchen Berühmheit erhaschen. Und ­Beckenbauer war zu Lebzeiten der weltberühmteste Deutsche. So konnte er wie in seiner Heimat München auch in New York, Rio de Janeiro oder sogar in Ulan-Bator nicht unerkannt über die Straße gehen.

Wobei Franz Beckenbauer auch für alle sichtbar in der Öffentlichkeit aus der Haut fahren konnte, wenn ihm irgendwelche Kritiker auf die Nerven gingen, die er dann als „geistige Nichtschwimmer“ anpflaumte. Weil er zudem einige Jahre lang vielen Herren im Fernsehen und auf dem Boulevard diente, die ihn dafür entlohnten, Meinungen zu haben, kam er vor lauter Ansichten manchmal durcheinander. Da widersprach Beckenbauer heute dem, was er gestern gesagt hatte, weshalb irgendwann spöttisch vom „Firle­franz“ die Rede war, wie Der Spiegel etwa schrieb.

Der öffentliche Beckenbauer konnte also sprunghaft sein, widersprüchlich und jähzornig war er gelegentlich auch. An seiner enormen Beliebtheit änderte das freilich – nichts. Das erklärt sich dadurch, dass ihm im Laufe seines Lebens im Prinzip gleich drei globale Karrieren gelangen. Zunächst wurde Becken­bauer ab Mitte der 1960er Jahre einer der besten Fußballspieler aller Zeiten, dann in den 1980er Jahren ein Welttrainer, und zur Jahrtausendwende holte er noch eine Weltmeisterschaft in sein Heimatland, die als „Sommermärchen“ in die Geschichte einging. Wichtig dabei war der Glanz, der ihn umgab, als er diese Erfolge einsammelte. ­Beckenbauer war in einem Ausmaß mit Stil und Klasse, Charme und Lässigkeit gesegnet wie nur sehr wenige Menschen. Wenn man sich heute etwa Spielszenen von ihm anschaut, erkennt man noch immer, was seine Zeitgenossen an diesem Franz Becken­bauer faszinierte, mitunter aber auch irritierte und provozierte. Dieser Mann blieb in den dampfenden Schlachten auf dem Rasen immer so aufgerichtet, als würde er über den Dingen stehen, und es verrutschte ihm nicht mal die Frisur dabei. Er wirkte so anstrengungslos, dass er die anderen zu fragen schien, warum sie eigentlich so rackern, wo es doch Fußballspiel heißt und nicht Fußballkampf. Weltmeister wurde er als Trainer, obwohl er nie einen Trainerkurs belegt hatte – weshalb er auch nicht deutscher Nationaltrainer war, sondern „Teamchef“. Als solcher kaschierte er mit seiner Grandezza, dass er für diese Erfolge fleißig arbeitete. Und vermutlich konnte die WM 2006 in Deutschland nur ein solcher Welterfolg werden, weil Beckenbauer vom Glück verfolgt war.

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Beckenbauer. Der letzte Kaiser

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