GEFÄHRLICHES SPIEL

DILEMMA Dürfen Terrorfahnder mit Geheimdiensten kooperieren, die Extremisten unterstützen? Für westliche Staatsschützer eine unbequeme Frage – über die sie neuerdings ungewohnt offen reden.

ILLUSTRATION Nazario Graziano

Mumbai, 26. November 2008. Zehn schwer bewaffnete Terroristen verüben in der indischen Millionenmetropole einen der blutigsten Anschläge in der Geschichte des Landes. Bilanz des Massakers: 174 Tote und knapp 250 Verletzte. Die Spur führt zu Lashkar-e- Taiba, einer islamistischen Organisation, die vom pakistanischen Geheimdienst Inter Services Intelligence (ISI) unterstützt wird. Der ist jedoch ein wichtiger Partner des Westens im Kampf gegen den Terror. Und sie führt zu David C. Headley, einem US-Bürger mit pakistanischen Wurzeln, der sowohl als V-Mann für die US-Drogenbehörde DEA und den Geheimdienst CIA arbeitete – als auch seit 2006 für den ISI.
„Headley war Kopf des Anschlags von Mumbai“, sagt Filmemacher Daniel Harrich im Gespräch mit dem ARTE Magazin. „Auf Anordnung seines Führungsoffiziers beim ISI, einem gewissen Sajid Mir, suchte er nach geeigneten Zielen und instruierte die Terroristen von Lashkar-e-Taiba.“ In seinem Dokumentarfilm „Das Geschäft mit dem Terror“ liefert Harrich Beweise dafür, dass westliche Geheimdienste schon früh von den Plänen des pakistanisch-amerikanischen Doppelagenten gewusst haben. Allein, sie unternahmen nichts dagegen.
Erst im Oktober 2009 verhaftete das FBI den Terrorplaner. Seit 2013 verbüßt Headley eine 35-jährige Haftstrafe an einem geheimen Ort in den USA. Zuvor hatte er ein umfangreiches Geständnis abgelegt und über seine Auftraggeber ausgesagt. Trotz der dabei gewonnenen Erkenntnisse über die Rolle des ISI als Unterstützer islamischer Extremisten setzten viele westliche Dienste die Kooperation fort. Der Grund ist für Harrich offensichtlich: „Wer etwas über die Pläne und Strukturen muslimischer Terrorgruppen erfahren will, muss mit dem ISI paktieren. Es gibt derzeit keine Alternative.“
Aus der Zusammenarbeit mit dem Westen habe der pakistanische Dienst ein lukratives Geschäftsmodell entwickelt. Je mehr Geld westliche Agenten zu zahlen bereit seien, desto bessere Informationen erhielten sie. Zugleich finanziere der ISI Terroroperationen wie jene in Mumbai. Davon profitierten offenbar nicht nur Lashkar-e- Taiba – auch die Taliban, al-Qaida und andere Gruppen scheinen Nutznießer des perfiden Deals zu sein. Für den ehemaligen ISI-Chef Asad Durrani ist das nichts anderes als gängige Praxis: „Jeder, der im Metier der Geheimdienste gut ist, spielt ein doppeltes Spiel“, sagt er im Dokumentarfilm. „Wichtig ist nur, dass man es gut spielt.“

Das Geschäft mit dem Terror

Dokumentarfilm

Freitag, 13.11. • 22.15 Uhr
bis 12.11.2021 in der Mediathek

Recherche: Fünf Jahre nach den verheerenden Anschlägen von Paris im November 2015 beleuchtet Daniel Harrich die Rolle des pakistanischen Geheimdienstes im Kampf gegen den islamistischen Terror – und die Probleme, mit denen westliche Nachrichtendienste konfrontiert sind.

Top-Spion: Filmemacher Daniel Harrich (r.) traf im Zuge der Recherche den Ex-Chef der Geheimdienste NSA und CIA, Michael Hayden. (FOTO: DIWAFILM)

Moral versus Notwendigkeit
„Durrani gehört zu den kaltblütigsten und abgebrühtesten Personen, die ich je vor der Kamera hatte“, erzählt Harrich. „Dass er sich überhaupt bereit erklärte, ein Interview zu geben, war überraschend.“ Wollte der altgediente Geheimdienstmann sein Gewissen erleichtern? „Denkbar“, sagt der Regisseur. Gründe gäbe es genug: Durrani trägt die Verantwortung für Hunderte tote Zivilisten in der Region Kashmir – allesamt Opfer von Terroranschlägen im Auftrag des ISI.
Mit Erstaunen registrierte Harrich bei seiner Recherche: „Viele Verantwortliche bei den Geheimdiensten sind heute wesentlich offener als früher.“ Michael Hayden etwa, langjähriger Chef von NSA und CIA, wollte dem Regisseur zunächst nur eine zehnminütige Audienz geben. „Daraus wurden mehr als zwei Stunden. Er wollte gar nicht aufhören zu plaudern.“ Die Redseligkeit der ansonsten eher verschwiegenen US-Dienste könnte mit daher rühren, mutmaßt Harrich, „dass sie immer häufiger Aussagen öffentlich richtigstellen müssen, die der derzeitige Präsident falsch oder sinnentstellt wiedergegeben hat“. Auch diesseits des Atlantiks sind hochrangige Geheimdienstler inzwischen gesprächsfreudiger: So räumt Gerhard Schindler, der ehemalige Chef des Bundesnachrichtendienstes, im Hinblick auf die Zusammenarbeit mit dem pakistanischen ISI ein: „Das bringt das Business mit sich. Am Schluss zählt nur der Erfolg. Dafür müssen wir unsere Moralvorstellungen ein Stück weit hintanstellen.“
In Berlin führen derlei freimütige Äußerungen bisweilen zu Verstimmungen. Etwa Ende 2018, als der außenpolitische Sprecher der Linken-Fraktion Stefan Liebich am Rande einer Tagung des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags über die Kooperation mit Geheimdiensten, die Terrorgruppen unterstützen, forderte: „Der Bundesnachrichtendienst handelt ohne Ethos und ohne umfassende Verantwortung. Er braucht dringend rote Linien. Eine Zusammenarbeit mit autoritären Staaten und Diktaturen darf es nicht länger geben.“
Ein Dilemma: Sollen westliche Dienste aus moralischen Gründen auf die Kooperation mit dem ISI und anderen Nachrichtendiensten verzichten, die Terroristen unterstützen? Claude Moniquet, ehemals Agent beim französischen Geheimdienst DGSE, rät vehement davon ab: „Als wir infolge der Gräueltaten des syrischen Diktators Bashar al- Assad 2012 die Verbindung zu dessen Diensten kappten, verloren wir viele Quellen, die für die Terrorabwehr wichtig waren.“ Das habe sich drei Jahre später gerächt. Womöglich hätten die verheerenden Anschläge des Islamischen Staats im November 2015 in Paris sogar verhindert werden können, wenn Frankreich rechtzeitig valide Informationen aus Syrien bekommen hätte.