Gott und die Welt retten

An der Stufe zur Neuzeit regierte Kaiser Karl V. ein riesiges Reich. Der Habsburger kämpfte rastlos für die Einheit in Glauben und Herrschaft – und scheiterte tragisch.

Karl V.
Bei seinem Hofmaler Tizian gab der tief religiöse Karl V. das Gemälde ­„Gloria“ in Auftrag. Im Zentrum des Bildes kniet der Kaiser in einem weißen Gewand Foto: Museo Nacional del Prado

Ein prominenter Unbekannter ist er außerhalb seiner Heimatländer Belgien und Spanien – Kaiser Karl V. (1500–1558). In Deutschland verdunkelt ihn Glaubens- und Freiheitsheld ­Martin ­Luther. Im historischen Gedächtnis Europas überstrahlt ihn sein Namensvetter Karl der Große. Und doch, so beweist das ARTE-Porträt „Karl V. | Wunsch und Wirklichkeit“, gibt es gute Gründe, sich seiner Person und seines Ringens um Europa zu erinnern.

Am 24. Februar 1500 in Gent geboren, übernahm Karl als Herzog von Burgund mit 15 die Regierung in den Niederlanden, die damals das heutige Gebiet von Belgien, Holland und Nordfrankreich umfassten. Mit gerade einmal 17 Jahren wurde er König in Spanien und seinen amerikanischen Besitzungen, mit 20 dann Deutscher König und Erwählter Kaiser, mit 30 erfolgten in Bologna Salbung und Kaiserkrönung. So regierte er den größten und wirtschaftlich wie kulturell reichsten Herrschaftsraum, den Europa bis dahin gesehen hatte. Und Karl regierte ihn in einer Zeit, in der den Kontinent tief greifende Umbrüche und eine erste Welle der Globalisierung durchfuhren. Manche Länderfürsten begriffen die Veränderungen als Herausforderung und Chance. Den meisten Menschen jener Zeit aber brachten sie Unsicherheit und Ängste.

Gleichrangig neben dem Papst
Was Karl V. half: Er verstand die kaiserliche Majestät als unmittelbar von Gott übertragene Herrschaftslegitimation, die ihn gleichrangig neben den Papst stellt – in die Verantwortung für das geistige wie politische Wohl der Christenheit und Europas, was noch lange für dasselbe gelten sollte. In Ansehen und Würde der erste der europäischen Fürsten, erwartete er von den anderen Unterstützung, allerdings nicht Unterwerfung. Leitlinie seines Handelns war die von einer langen Reihe königlicher und kaiserlicher Vorfahren geprägte Tradition. Dabei war sich Karl V. wohl bewusst, dass er sich den Umbrüchen der Epoche anpassen musste, wollte er seine Reiche zukunftsgerichtet steuern. Denn er entwickelte eine große Idee von europäischer, ja weltumspannender Dimension.

Der Kontinent sollte im Innern befriedet und geeint werden, Staatenkriege und Fürstenegoismus der aufbrechenden Neuzeit – so der Appell seines Lehrers ­Erasmus von ­Rotterdam – waren zu beenden. Wichtiger noch: Kirche und christliches Leben mussten endlich reformiert werden. Eine tiefe Sehnsucht, die ein Wittenberger Mönch zu dieser Zeit neu entfacht hatte. Nach außen waren zudem Stärke und Sicherheit zu garantieren – etwa gegenüber den islamischen Herrschern des Osmanischen Reichs, die auf dem Balkan und dem Mittelmeer gegen Europa anstürmten. Schließlich galt es die Gebiete in der Neuen Welt zu ordnen, um dort die spanischen Interessen zu sichern und um den amerikanischen Ureinwohnern – ob sie wollten oder nicht – die Christenlehre zu bringen.

Gewaltige Aufgaben, die Karl V. vier Jahrzehnte rastlos durch Europa führten, zweimal auch an die Nordküste Afrikas, meist im Sattel an der Spitze seiner Truppen. Unterstützt wurde er von seinem Bruder ­Ferdinand, Erzherzog von Österreich, ab 1531 Deutscher König, vor allem aber von drei Frauen: seiner Tante ­Margarete von Österreich, seiner Ehefrau ­Isabella von Portugal und seiner Schwester ­Maria von Ungarn. In seiner Abwesenheit regierten sie Spanien, die Niederlande und Deutschland – ebenfalls geleitet von der für die Dynastie charakteristischen Mischung aus eisernem ­Majestäts- und Pflichtbewusstsein. Das Familien-Regiment hielt das riesige Herrschafts-Konglomerat lange zusammen. Viele darüber hinausgehenden Visionen aber überspannten die Kräfte. Auch weil manche Staaten und Fürsten nicht zusammenzuzwingen waren.

Vor allem der französische König widersetzte sich erbittert, diplomatisch wie militärisch. Die Osmanen wurden zwar wiederholt besiegt. Der hochfliegende Plan, den Muslimen nach Art der Kreuzzüge Konstantinopel und die Hagia Sophia zu entreißen, zerschlug sich jedoch. Und schließlich war auch die innere Einheit der Christenheit in weite Ferne gerückt. Mit den verhassten Lutheranern war ein Religionsfriede ausgehandelt worden, den Karl V. nicht auf sein Gewissen nehmen mochte. Wegen der Kämpfe in Europa ließ er auch den unchristlichen Kolonialkräften in Mittelamerika wieder freien Lauf, die zu zügeln er dem Dominikaner ­Bartholomé de las ­Casas zugesichert hatte.

Von Gicht geplagt, früh gealtert und zutiefst von der Welt enttäuscht, legte Karl V. 1556/57 in Brüssel die Kaiserkrone nieder und zog sich in die Einsamkeit der spanischen Extremadura zurück. Die Welt war ihm zerbrochen, die Seele aber nicht. Er starb am 21. September 1558, wie er gelebt hatte: erfüllt von Glaubenszuversicht und Gottesfurcht – zu sehen auf dem gewaltigen Altargemälde der himmlischen ­„Gloria“, das der Kaiser zusammen mit seinem Hofmaler ­Tizian selbst konzipiert hatte.

Karl V. | Wunsch und ­Wirklichkeit

Porträt

Samstag,
2.1. — 20.15 Uhr
bis 8.1. in der Mediathek