»Ich kann die Paranoia nachvollziehen«

Visar Morinas „Exil“ ist ein meisterhafter Film über die psychischen Folgen von Rassismus. Auch Hauptdarsteller Mišel Matičević sind sie nicht fremd. Warum, erzählt er hier.

Porträt von Mišel Matičević
Mišel Maticević, Schauspieler, wurde 1970 als Sohn kroatischer Eltern in West-Berlin geboren. Nach der Filmhochschule gelang ihm 2002 mit „Hotte im Paradies“ von Dominik Graf der Durchbruch. Er war seitdem in zahlreichen Kino- und TV-Produktionen zu sehen. Auf ARTE spielt er im Herbst in der Serie „Lauchhammer“ die Hauptrolle. Foto: Hannes Wiedemann

Man kennt Mišel Matičević als Zuhälter in „Hotte im Paradies“ (2002), als Dichter ­Clemens Brentano in „Das Gelübde“ (2007) oder als Unterweltgröße in der Serie „­Babylon Berlin“ (seit 2017). Bei aller Unterschiedlichkeit haben diese Rollen eines gemeinsam: Der 52-jährige Schauspieler versteht es, vielschichtige Charaktere zum Leben zu erwecken – und dabei selbst hinter den Figuren zu verschwinden. Ein Talent, das ihm zahlreiche Preise eingebracht hat. In dem Drama „Exil“ des kosovarischen Regisseurs ­Visar ­Morina verkörpert er nun ­Xhafer, einen scheinbar perfekt integrierten Pharmaingenieur aus dem Kosovo, dessen fragile Psyche zunehmend aus dem Gleichgewicht gerät. Ein Gespräch über Zugehörigkeit, innere Zerrissenheit und Kraftanstrengungen bei Dreharbeiten.

 

 

Spielszene aus dem Film
Der Pharmaingenieur Xhafer (Mišel Matičević) stammt aus dem Kosovo und lebt ein scheinbar perfekt integriertes Mittelstandsleben in Deutschland. Doch zunehmend fühlt er sich auf der Arbeit diskriminiert. Ist das Rassismus oder Einbildung? Packendes Drama mit Thriller-Elementen und herausragender Besetzung. Foto: Komplizen Film / ZDF

 

arte Magazin Herr Matičević, Sie wurden für Ihre Rollen unter anderem mit dem Grimme-Preis und mehrfach mit dem Deutschen Fernsehpreis ausgezeichnet. Würden Sie sich als deutschen Schauspieler bezeichnen?

Mišel Matičević Ich bin ein kroatischer Schauspieler. Wenn ich auf Wikipedia über mich lese ‚Deutscher Schauspieler kroatischer Abstammung‘, denke ich: Guckt doch mal auf meinen Namen, ihr Ignoranten! Das ist kein deutscher Name. Ich bin Kroate. Meine Eltern sind Kroaten.

arte Magazin Vielleicht kommt das Missverständnis zustande, weil Sie die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen und hauptsächlich auf Deutsch in deutschen Produktionen spielen?

Mišel Matičević Das stimmt. Am liebsten wäre es mir, man würde das Adjektiv ganz weglassen. Ich bin erst mal Schauspieler. Ob dann deutsch oder kroatisch oder was auch immer, das ist doch voll egal. Aber wenn die Sprache auf meine Identität kommt, dann sage ich: Ich bin Kroate – von Geburt an!

arte Magazin Sie sind in der Berliner Gropiusstadt aufgewachsen und haben mit 16 die deutsche Staatsangehörigkeit angenommen. Welche Bedeutung hatte das für Sie damals?

Mišel Matičević Es war klar, dass ich mit 18 zur jugoslawischen Armee hätte gehen müssen. Und das war damals kein Pfadfinder-Club, sondern die Wehrpflicht dauerte zwei Jahre. Außerdem stand der Balkankrieg vor der Tür. Es war sehr hellsichtig von meiner Mutter, dafür zu sorgen, dass ich die deutsche Staatsbürgerschaft bekam. Das hat uns außerdem den Stress erspart, jedes Jahr zur Ausländerpolizei und ins Konsulat fahren zu müssen, Verlängerungen zu beantragen und jedes Mal viel Geld zu bezahlen. Wir waren nicht mit materiellen Gütern gesegnet. Aber der Ausweis ist halt nur ein Stück Papier. Das interessiert mich eigentlich nicht.

 

Exil

Drama

Mittwoch, 10.8.

bis 16.8. in der Mediathek

Porträt von Mišel Matičević
Zum Fototermin in Berlin-Kreuzberg erschien Mišel Matičević in seinem Lieblings-T-Shirt. Darauf zu sehen: eine Szene aus „The Departed“ von ­Martin ­Scorsese. Foto: Hannes Wiedemann

arte Magazin Sie haben einmal gesagt, Sie empfänden ständig eine gewisse Zerrissenheit. Können Sie das näher beschreiben?

Mišel Matičević Wenn ich als Kind in den Ferien im damaligen Jugoslawien war, dann hieß es: ,Da kommt der Deutsch-Jugo.‘ In Deutschland wiederum haben mir Lehrer oft gesagt, ich solle mich benehmen, ich sei schließlich nur Gast. Man hat mich spüren lassen, dass ich nicht dazugehörte. Das ging aber nicht nur mir so. Ich habe ja nicht mal schwarze Haare wie meine türkischen Freunde, die wurden teilweise noch schlechter behandelt. Und dabei haben wir krasser berlinert als jeder Urberliner!

arte Magazin In „Exil“ spielen Sie den kosovarischen Ingenieur ­Xhafer, der ein typisch deutsches Mittelstandsleben führt mit einem guten Job, Reihenhaus in der Vorstadt und Kindern. Kann so eine perfekte Assimilation gelingen?

Mišel Matičević Ich denke schon, dass das funktionieren kann. Auf dem Gymnasium hatte ich einen türkischen Mitschüler, der war unfassbar deutsch. Das hat er von sich selbst auch gesagt. Er hat sich eingereiht. Und das meine ich weder positiv noch negativ, sondern völlig wertfrei. Das soll jeder so machen, wie er oder sie will.

arte Magazin Im Film wittert Xhafer überall Anfeindungen und Rassismus, jede Frage nach seinem Namen, jede fehlende Mail interpretiert er als Zurückweisung aufgrund seiner Herkunft. Warum sagt das mehr über unsere Gesellschaft als über ihn als Individuum aus?

Mišel Matičević Es ist ja nicht so, dass es nur in der deutschen Gesellschaft Rassismus und Feindseligkeit gibt. Beides gibt es in jedem anderen Land auch. Ich kann die Paranoia, die da entstehen kann, nachvollziehen. Ich habe ja selbst erlebt, wie es sich anfühlt, wenn man sich zur Seite gedrängt fühlt. Allerdings halte ich es nicht für gesund, alles Negative, das einem passiert, auf seine Herkunft zu beziehen.

arte Magazin Ein raffinierter Kniff des Drehbuchs ist, dass unklar bleibt, ob das alles in Wirklichkeit passiert oder sich im Kopf von Xhafer abspielt. Hatten Sie beim Dreh eine persönliche Antwort darauf?

Mišel Matičević Die wollte ich gar nicht haben. Als Schauspieler beziehungsweise als der Charakter, den ich in dem Film verkörpere, hat mich das nicht zu interessieren. Ich lasse solche Dinge lieber in der Schwebe. Geheimnisse sind für mich das Tollste bei der Schauspielerei.

arte Magazin Die Ehefrau von Xhafer, gespielt von Sandra Hüller, hat kein Verständnis. Sie findet, ihr Mann solle sich nicht so anstellen; schließlich könne es ja sein, dass seine Kollegen ihn einfach so nicht mögen. Steht diese Haltung stellvertretend für Unwilligkeit der Mehrheitsgesellschaft, sich mit den Nöten von Minderheiten zu beschäftigen?

Mišel Matičević So einfach ist das nicht, schließlich weigern sich ja nicht alle Deutschen, sich damit zu beschäftigen. Außerdem gibt es generell viele Bereiche in einem Menschenleben, die für andere schwer nachvollziehbar sind, die nichts mit Herkunft zu tun haben. Zum Beispiel Depressionen. Ich hatte schon mal eine – deshalb weiß ich, wie schwer es ist, jemandem zu erklären, wie man sich dann fühlt.

arte Magazin Trotz aller Erschütterungen porträtiert der Film ­Xhafer nicht als Opfer. Er ist kein Sympathieträger, sondern – mit Verlaub – manchmal ein ganz schönes Arschloch. Ein Fortschritt, oder?

Mišel Matičević Absolut. Es ist eine Stärke des Drehbuchs, dass die Figur so ambivalent ist. Es wäre so einfach gewesen, den Ausländer als armes Opfer darzustellen. Ich gehe nicht nach dem, was gerade trendy ist. Der Zeitgeist ist mir egal. Ein Drehbuch muss vielschichtig sein, damit es mich interessiert.

arte Magazin Dem Regisseur war es wichtig, die Rolle des ­Xhafer mit einem Schauspieler mit migrantischen Wurzeln zu besetzen, weil man sie nur durchdringen könnte, wenn man diese Erfahrung teilt. Sehen Sie das auch so?

Mišel Matičević Ich habe zwar nicht dieselben Erfahrungen gemacht wie Xhafer, aber, ja, wahrscheinlich hätte der Film einen anderen Spirit, wenn ein Deutscher die Rolle gespielt hätte.

arte Magazin Konsequenterweise: Sollten dann homosexuelle Figuren nur noch von homosexuellen Schauspielern gespielt werden?

Mišel Matičević Dürfen dann Armenier oder Russen ausschließlich von Armeniern oder Russen verkörpert werden? Natürlich nicht! Ich habe beides schon gespielt. Ganz ehrlich? Diese Debatte geht mir auf die Nerven. Wir haben doch andere Probleme im Moment, Millionen Kinder sind am Verhungern. Wir haben Krieg in der Ukraine. Und nicht nur dort. Wir machen das Klima kaputt und es macht uns kaputt. Und wir kommen dann mit solchen Debatten. Was ist los mit euch, Leute? Das sind Wohlstandsprobleme!

arte Magazin Die Darstellung von zum Beispiel Schwulen oder Migranten ist in Filmen häufig klischeehaft. Das ändert sich durch solche Diskussionen hoffentlich.

Mišel Matičević Das stimmt. Türken waren meistens Obstverkäufer, Taxifahrer oder Drogendealer. Auch ich habe schon einige Gangster gespielt. Allerdings habe ich mich von Anfang an gegen diese Schublade gewehrt. Ich versuche, die Figuren, die ich spiele, vielschichtig anzulegen. Die sind nie nur böse, sondern immer ambivalent. Ich spiele von mir aus zehn Mal hintereinander den Gangsterboss, aber nur, wenn ich jedes Mal neue Wege beschreiten kann.

arte Magazin Sie sind bekannt dafür, stark mit Ihrer Physis zu arbeiten. Je nach Rolle nehmen Sie ab – und wieder zu. 

Mišel Matičević Wandlung ist wichtig. Ich kann nicht immer durchtrainiert durch meine Filme rennen. Auch wenn ich mich persönlich in trainiertem Zustand besser fühle als übergewichtig. Aber das ist halt ein Teil des Spiels. In Hollywood bekommen die Schauspieler allerdings Millionen für diese Quälerei.

Ich habe erlebt, wie es sich anfühlt, zur Seite gedrängt zu werden

Mišel Matičević, Schauspieler
Porträt von Mišel Matičević und ­Odine ­Johne
Das neueste Projekt des Schauspielers ist die Krimiserie „Lauchhammer“ (Foto mit ­Odine ­Johne), die ARTE im Herbst ausstrahlt. Foto: Constantin Television / ARD / Steffen Junghans / Montage

arte Magazin Sie verschwinden als Persönlichkeit komplett hinter der Figur, die Sie spielen. Wie funktioniert das? 

Mišel Matičević Indem ich mich akribisch vorbereite. Jemand anders zu werden – das ist der Grund, warum ich den Job mache. Ich selbst bin eher langweilig. Es gibt allerdings eine Handvoll Filme, da gefällt mir nicht, was ich gemacht habe. Woran das liegt? Ich habe wohl nicht hart genug gearbeitet im Vorfeld. Das muss ich nächstes Mal besser machen.

arte Magazin Gehören Sie zu den Schauspielern, die schon in ihrer Rolle sind, wenn sie ans Set kommen?

Mišel Matičević Das muss ich, sonst funktioniert es nicht. Aber natürlich bleibe ich beim Drehen offen für das, was von den Kolleginnen und Kollegen kommt. Das Wesen meiner Figur muss aber innen wie außen zu Drehbeginn fertig sein. Ich schaue mir während der Arbeit auch nie Ausspielungen an. Ich gehe da instinktiv ran, will mich ins Spielen reinfallen lassen können. Ich will gar nicht wissen, wie es wirkt. Das ist der Job der Regisseurinnen und Regisseure, die sind die Augen und Ohren des Films.

arte Magazin Sie haben gesagt, die Rolle in „Exil“ sei in den Top Fünf Ihrer anstrengendsten Rollen gewesen. Warum?

Mišel Matičević Sie war definitiv in den Top Drei. Ich bin in jeder einzelnen Szene des Films zu sehen. Und ­Visar ­Morina ist kein Regisseur, der ein bis drei Takes macht und dann zufrieden ist. Was ich super an ihm finde. Ich glaube, unser Rekord lag bei 35 Takes. Deswegen konnte ich irgendwann auch nicht mehr. Es passiert mir selten, aber am vorletzten Drehtag wurde ich deswegen kurz etwas ungehalten. Wir haben dann beide ein bisschen rumgefaucht – und dann noch einen Take gemacht. Und noch einen. Und noch einen.

Nah dran
»Humorvoll und ohne Allüren«

Jenny Hoch, Chefredakteurin

Weil sie ein sehr trubeliges Café ausgesucht hatte, begann der Interviewtermin mit einer Fahrradtour durch Charlottenburg. „Fängt ja gut an“, bemerkte ­Mišel ­Matičević amüsiert – und steuerte ein ruhiges Lokal an.