Wenn am 20. November das Eröffnungsspiel der Fußball-Weltmeisterschaft in Katar angepfiffen wird, krönt das Emirat am Persischen Golf damit seinen rasanten sport- und wirtschaftspolitischen Aufstieg. Für viele Kritiker markierte hingegen schon das Jahr 2010, als der Weltfußballverband FIFA die WM erstmals in die Nahost-Region vergab, einen vorläufigen Tiefpunkt: Ein autokratisches Regime, so der Vorwurf, werde hier als Gastgeber geadelt. Denn bei allen ehrgeizigen gesellschaftlichen Entwicklungszielen: Hinter spiegelnden Fassaden und lässigem Lifestyle-Marketing bleibt Katar eine absolute Monarchie mit der islamischen Scharia als Grundlage der Gesetzgebung. Die Widersprüche im wohlhabenden Mini-Wüstenstaat legt auch der ARTE-Dokumentarfilm „Katar – Gas und Spiele“ offen.
Die Einnahmen aus Öl-, vor allem aber aus riesigen Gasvorkommen fließen seit etlichen Jahrzehnten nach Katar. Erst seit Mitte der 1990er Jahre positioniert sich das Emirat als Global Player in Sachen Sport – mit vielen Top-Turnieren, etwa im Tennis, Handball oder Springreiten. Und mit Sponsoring von Profikickern wie Paris Saint-Germain oder dem FC Bayern München. Als „Sportswashing“ wird diese Form staatlicher Imagepflege spöttisch bezeichnet.
Energie und Sport sind auch die Themen des deutschen Politikwissenschaftlers Danyel Reiche, Autor der ersten akademischen Studie zur WM. Seit 2020 lehrt er am Katar-Ableger der renommierten Washingtoner Georgetown University. 70 Prozent der Studierenden an der Privat-Uni in Doha seien weiblich, betont Reiche im Gespräch mit dem ARTE Magazin. Söhne würden in Katar häufig ins Ausland geschickt, ihre Töchter behielten die Familien gern im Land – auch zur besseren Kontrolle. In der katarischen Gesellschaft, die mit 300.000 Staatsbürgern in etwa der Einwohnerzahl von Karlsruhe entspricht, gebe es nach außen meist kaum sichtbare Interessenkonflikte zwischen Modernisierern und konservativen Hardlinern. „Dass wir die Geschlechter zusammen unterrichten, ist für manche schon problematisch“, so Reiche. Finanziert wird das Elite-Studium, das jährlich 55.000 Dollar Gebühren kostet, für fast alle jungen Katarer durch staatliche Stipendien. Im Gegenzug verpflichten sie sich, mehrere Jahre in Ministerien zu arbeiten.
Der Vollkasko-Absicherung der Katarer und dem Spitzeneinkommensniveau, von dem auch höher qualifizierte Expats profitieren, gegenüber steht die prekäre Lage eines Heeres von Hilfskräften – meist aus Südasien und dem südlichen Afrika. Wegen Menschenrechtsverletzungen und hoher Todeszahlen beim Bau von Stadien und Infrastruktur für die WM stand und steht Katar am Pranger. Dringend nötige Reformen, bemängeln die Kritiker, werden nicht umgesetzt. Diskussionen darüber gab es auch im Land, sagt Danyel Reiche, aber fast ausschließlich in sozialen Netzwerken. Journalisten aus Katar äußern kaum Kritik am Staat oder gar am Herrscherhaus.
Auch nicht im 1996 vom Vater des heutigen Emirs gegründeten Sender Al Jazeera. Außerhalb Katars bietet er oppositionellen Stimmen eine Plattform, sehr zum Unmut der Nachbarn am Golf. Das und die mehr oder weniger offene Unterstützung für islamistische Gruppierungen isolierte das Emirat zeitweilig. Die Schutzmacht USA, globale Investments und die Aufmerksamkeit durch den Sport aber sollen Katar vor einem Schicksal wie dem Kuwaits 1990 bewahren: als unbedeutender Fleck von der Landkarte radiert zu werden.