Drei Mal klingelt es, bevor John Densmore ans Telefon geht. In Los Angeles ist es gerade 11 Uhr morgens. Der ehemalige Schlagzeuger von The Doors wirkt gut gelaunt, fragt nach dem Wetter und der Corona-Situation in Deutschland. Im Jahr 1965 gründeten er, Jim Morrison, Ray Manzarek und Robby Krieger die Band, die eine der erfolgreichsten des 20. Jahrhunderts werden sollte. 2021 markiert das Jubiläum ihres letzten gemeinsamen Studioalbums „L.A. Woman“. Auch der tragische, frühe Tod von Sänger Jim Morrison am 3. Juli 1971 in Paris jährt sich zum 50. Mal. „,L.A. Woman‘ ist mein Lieblingsalbum“, sagt Densmore, „dieses Jubiläum feiere ich gerne. Jims Todestag eher nicht, dann doch lieber seinen Geburtstag im Dezember.“ Ein Gespräch über Poesie, Selbstzerstörung und Jim Morrisons Vermächtnis.
arte magazin Herr Densmore, denken Sie an The Doors, wenn Sie morgens aufwachen?
John Densmore Ganz und gar nicht. Ich denke ans Frühstück. Und bin dankbar. Wissen Sie, ich bin 76 Jahre alt – wenn man es mal in diese Stratosphäre geschafft hat, weiß man Dinge mehr zu schätzen. Aber natürlich sind The Doors nach wie vor präsent in meinem Leben. In meinem allerersten Buch schrieb ich, ich hätte jetzt für immer einen Doors-Stempel auf meiner Stirn. Darauf bin ich stolz, aber manchmal nervt es auch.
arte magazin Werden Sie oft auf der Straße angesprochen?
John Densmore Ich gebe hier und da mal ein Autogramm. Aber ich weiß es sehr zu schätzen, dass ich auf den Markt gehen und selbst einkaufen kann. Wenn ich ganz in Ruhe gelassen werden möchte, muss ich nur einen Hut aufsetzen.
arte magazin Fühlen Sie sich noch wie ein Rockstar?
John Densmore Ich habe mich in meinem Leben nie wie ein Rockstar gefühlt. Der Begriff existierte noch gar nicht, als The Doors in den 1960ern anfingen, zu spielen. Das kam erst später. Wir wollten einfach berühmt werden und von der Musik leben. Und es war uns wichtig, etwas zum Zustand der Welt und der Gesellschaft zu sagen. Das stand für uns immer im Vordergrund. Ich weiß nicht, ob das bedeutet, dass wir Rockstars waren.
arte magazin Für viele war zumindest Jim Morrison die Verkörperung eines Rockstars – die Lederhosen, die Stimme, sein exzentrisches Verhalten auf der Bühne.
John Densmore Am Anfang war er so schüchtern, dass ich dachte, er würde niemals der nächste Mick Jagger werden. Im Laufe der Zeit entwickelte sich Jim dann langsam in diesen wilden, zugleich introvertierten und extrovertierten Performer. Ich glaube, Mick Jaggers Bühnen-Vorbild war James Brown. Jims Persona beruhte womöglich auf Echsen oder Schlangen. Er war einzigartig und verrückt.
arte magazin Haben Sie ihn als Poeten wahrgenommen?
John Densmore Ich erinnere mich, dass mir Ray Manzarek zu Beginn unserer Karriere ein zerknittertes Stück Papier mit Jims Texten in die Hand drückte: „Day destroys night, night divides the day, tried to run, tried to hide, break on through to the other side“. Wow. Noch nie hatte ich Rock ’n’ Roll mit solch lyrischen Texten gehört. Und genau das war immer unsere Intention: diese Poesie zu vertonen. Als wir dann anfingen, große Konzerte zu spielen, war das berauschend. Aber nach einer Weile änderte sich der Fokus. Jim stand extrem im Rampenlicht. Das Publikum kreischte nur noch. Zu dieser Zeit nahm er zu, ließ sich einen Bart wachsen und versuchte, dieses Star-Image abzulegen, das man ihm übergestülpt hatte.
arte magazin The Doors in Originalbesetzung gab es nur sechs Jahre lang, von 1965 bis 1971. Lässt sich die Erfolgsformel der Band in einem Satz erklären?
John Densmore Wir waren eine wahre Demokratie; ein Quartett aus völlig unterschiedlichen Zutaten, dessen Mitglieder sich bedingungslos aufeinander einließen.
arte magazin War Ihnen damals bewusst, dass Sie etwas kreierten, das noch Generationen nach Ihnen beeinflussen würde?
John Densmore Bei einigen Songs wusste ich gleich, dass sie etwas Besonderes waren – „The End“, „Light My Fire“ oder „Riders on the Storm“ zum Beispiel. Damals hofften wir, vielleicht zehn Jahre lang die Miete davon bezahlen zu können. Dass die Lieder 50 Jahre später Kult sein würden, das ahnte keiner von uns.
arte magazin War es schwierig für Sie, im Schatten von Jim Morrison zu stehen?
John Densmore Als ich das Cover unseres ersten Albums sah, dachte ich: „Moment mal, warum ist Jims Kopf so groß zu sehen und meiner nur so klein?“ Er sah aber nun mal aus wie Michelangelos David – und ich nicht. Als wir dann erfolgreicher wurden, bemerkte ich, wie grell und gefährlich das Rampenlicht auf den Leadsänger schien. Ich stand daneben und wurde nur ein wenig angesengt. Mein Platz war der sicherere.
arte magazin Kurz vor seinem Tod im Juli 1971 nahmen Sie das letzte gemeinsame Studioalbum mit Jim Morrison auf: „L.A. Woman“. War damals schon vorhersehbar, was einige Monate später passieren würde?
John Densmore Ja und nein. Uns war klar, dass es bereits länger ein Problem gab. Weshalb wir auch nicht mehr live auftraten. Wir wollten nicht, dass Jim vor 10.000 Leuten völlig high auf der Bühne stand. Und ich fragte mich schon, wie es mit ihm weitergehen würde. Die Recording-Session habe ich dennoch sehr positiv in Erinnerung, weil wir bei „L.A. Woman“ zurück zu unseren Wurzeln gingen – die Aufnahmen waren wie unsere Jamsessions 1965, als wir uns noch in der Garage von Rays Eltern trafen und improvisierten. Direkt im Anschluss ging Jim nach Paris.
arte magazin Wie haben Sie reagiert, als Sie von seinem Tod erfuhren?
John Densmore Ich habe es nicht geglaubt.
arte magazin Trotz der jahrelangen Vorzeichen?
John Densmore Kurz vorher ging das Gerücht um, Paul McCartney sei gestorben. Also dachten wir, es sei ebenso wenig wahr. Wir schickten dennoch unseren Manager nach Paris, der es dann bestätigte.
arte magazin Sie waren nicht auf seiner Beerdigung und haben sein Grab auf dem Friedhof Père Lachaise erst drei Jahre später besucht. Waren Sie wütend?
John Densmore Es hat ein paar Jahre gedauert, bis ich wirklich um ihn trauern konnte. Ich war wütend und hasste ihn für seine Selbstzerstörung. Gleichzeitig liebte ich ihn für seine Kreativität. Lange Zeit war es Hassliebe. Heute empfinde ich keinen Hass mehr.
Ich hasste Jim Morrison für seine Selbstzerstörung – und liebte ihn für seine Kreativität
arte magazin Sie haben immer um Jim Morrisons Vermächtnis gekämpft und sogar Ihre beiden Bandkollegen verklagt, als diese mit dem Namen „The Doors of the 21st Century“ auftreten wollten.
John Densmore Man kann eine Band nicht The Doors nennen ohne Jim Morrison. Das wäre wie die Rolling Stones ohne Mick Jagger oder The Police ohne Sting. Es war unmöglich, Jims Lederhosen anderweitig zu füllen. Also musste ich dafür sorgen, dass die beiden unter einem anderen Namen auftraten. Es war eine schwierige Zeit.
arte magazin Sie waren auch dagegen, dass Doors-Songs für kommerzielle Zwecke verwendet werden.
John Densmore Ja, ich wurde zum „Mister Veto“. Aber mal im Ernst: „Break on through – dank eines neuen Deodorants“? „Love me two times, weil ich Viagra genommen habe“? Oder „Come on, Buick, light my fire“? Das geht doch nicht! Gegen Geld unsere poetischen Texte umschreiben für irgendein Produkt. Jim wollte das nie. Und ich möchte das honorieren. Das spricht gegen alles, was unsere Musik repräsentiert. Sie ist der Soundtrack so vieler Menschenleben – als sie das erste Mal Sex hatten, das erste Mal high waren, das erste Mal nach Vietnam gingen, auf der Straße für Gerechtigkeit kämpften.
arte magazin Wären The Doors heute noch mal jung, hätten sie so großen Erfolg wie in den 1960er Jahren?
John Densmore Auf jeden Fall! Wir haben gerade einige Probleme auf der Welt, die wir thematisieren würden: die Pandemie, den Rassismus, die globale Erwärmung. Vielleicht werde ich auch doch noch schwach und wir machen Werbung für elektrische Autos, die gerade überall auf den Markt kommen. „Break on through für eine sauberere Umwelt!“ Das wäre vielleicht auch in Jims Sinne.