»Du machst dich nackt«

Seit vielen Jahren engagiert sich Igor Levit gegen Antisemitismus in Deutschland. ARTE zeigt ein Porträt des Pianisten und Aktivisten.

Igor Levit am Klavier
Das Kamerateam begleitet den Ausnahmepianisten bei der Erkundung seines „Lebens nach Beethoven“ – und auf der Suche nach seiner Identität als Künstler und Mensch. Man erlebt Levit bei der Aufnahme neuer Werke, der Zusammenarbeit mit seinem kongenialen Tonmeister sowie mit Dirigenten, Orchestern und anderen Künstlern. Foto: Felix Broede

Pianist Igor Levit hat viel zu tun: Neben seinem Alltag als erfolgreicher Klassikmusiker mit Konzerten, Aufnahmen und Presseterminen setzt sich der 36-Jährige immer wieder gegen Antisemitismus ein. Als deutscher Jude erlebt er sein Engagement seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel als besonders herausfordernd. Ein Gespräch über musikalischen Trost, ­Beethovens furchtlose Musik und den Mut zum Risiko.

ARTE Magazin Herr Levit, wie geht es Ihnen in diesen Tagen?

IGOR LEVIT Nicht gut. Das ist die einfache Antwort auf eine schwierige Frage. Mein Grundfundament ist gerade nicht gut.

ARTE Magazin Sie sind seit vielen Jahren gesellschaftlich und politisch aktiv. Hat sich Ihr Engagement in jüngster Zeit verändert?

IGOR LEVIT Ich war immer ein politisches Tier. Nur die Themen haben sich verschoben. Früher habe ich an gewisse Dinge mehr geglaubt als heute. Dazu gehören Bewegungen und Organisationen. Ich tue mich heute schwer, unter irgendeinem Banner zu agieren.

ARTE Magazin Woran liegt das?

IGOR LEVIT Weil ich gerade viel mehr Empathie von Individuen als von Organisationen erfahre. Da ist viel Vertrauen verloren gegangen. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Es freut mich natürlich sehr, dass die Menschen gerade – hoffentlich langfristig – für die Demokratie unseres Landes auf die Straße gehen. Ich sehe diese Demonstrationen als Bürger dieses Landes. Als Demokrat. Als jemand, der sich immer sehr deutlich gegen Extremisten gestellt hat – ich sage bewusst „Rechtsextremisten“, nicht einfach nur diffus „rechts“. Ein Teil von mir schaut aber auch mit einem fragenden Auge auf die Situation – wo waren diese Leute, als das jüdische Volk am 7. Oktober 2023 auf israelischem Territorium angegriffen und mehr als 1.200 Menschen ermordet wurden? Es war kaum jemand da.

ARTE Magazin Als künstlerische Reaktion auf den Terroranschlag der Hamas haben Sie ­Mendelssohn Bartholdys „Lieder ohne Worte“ aufgenommen und die Erlöse deutschen Organisationen gespendet, die Antisemitismus bekämpfen. Warum diese Musik?

IGOR LEVIT Eigentlich hatte ich kein Album mit ­Mendelssohns „Lieder ohne Worte“ geplant. Viele von den Stücken habe ich immer wieder gern zu Hause für mich selbst gespielt. Sie gaben mir Trost. So war es auch nach den Anschlägen im Oktober. Diesen Trost wollte ich weitergeben und mit der Spende der Einnahmen zugleich Gutes tun. Dass ­Mendelssohn jüdischer Komponist war, stand übrigens an zweiter Stelle der Entscheidung. An erster Stelle standen die Melancholie, die Schönheit und die Verletzlichkeit der Musik. Sie tut einfach gut.

ARTE Magazin Im Film „No Fear“, den ARTE im März ausstrahlt, sagen Sie über ­Beethovens Musik, sie sei furchtlos. Können Sie das genauer erklären?

IGOR LEVIT Beethoven verlangt vom Interpreten großen gestalterischen Mut. Das zeigt sich in der Art, wie er Dynamiken schreibt: Sie wechseln sich blitzschnell ab, von einem Extrem zum Nächsten. Da ist eine weiche, wunderschöne melodische Linie und mitten in dieser Linie kommt plötzlich ein rabiater Akzent ohne Ankündigung. Das zu spielen bedarf Furchtlosigkeit. Man muss sich trauen. Und dieses Selbstbewusstsein kommt durch Erfahrung.

ARTE Magazin Sie sagen auch, man müsse immer so furchtlos sein wie möglich. Wie gelingt Ihnen das?

IGOR LEVIT Bleiben wir mal bei Beethoven: Wenn ich beim Spielen furchtlos bin, habe ich natürlich immer das Risiko, zu scheitern. Und für einen 20-Jährigen ist das gar nicht mal so einfach zu akzeptieren, dass eine in den Sand gesetzte Beethoven-­Sonate nicht unbedingt das Karriereende bedeutet. Ich war genauso. Trotzdem muss man auf Risiko gehen und furchtlos spielen – bei jedem Stück, bei jedem Auftritt machst du dich nackt. Und wenn es in die Hose geht, machst du weiter. Traut man sich nicht, kann man es auch gleich lassen.

ARTE Magazin Der Film begleitet Sie auch während der Pandemie. In dieser Zeit haben Sie 52 Hauskonzerte gegeben. Was haben Sie aus dieser Zeit mitgenommen?

IGOR LEVIT Eine sehr enge Bindung zum Publikum. Bis zum heutigen Tag kommen Menschen zu mir und erzählen, wie ihnen die Hauskonzerte geholfen haben. Meine Reaktion lautet dann: Mir auch. Ich denke mit großer Dankbarkeit daran zurück.

ARTE Magazin Noch einmal zurück zu Ihrem Engagement: Auch wenn Ihr Grundfundament gerade düster aussieht – glauben Sie dennoch an eine bessere Zukunft?

IGOR LEVIT Was soll mir denn anderes übrig bleiben? Würde ich diesen Glauben verlieren, wäre mein Leben vorbei. Dann hätte ich keinen Grund mehr zu leben. Ich bin immer noch Realist und Optimist. Alles andere finde ich dekadent und völlig unsinnig.

ARTE Magazin Gibt es einen Komponisten, dessen Musik Sie als hoffnungsvoll bezeichnen würden?

IGOR LEVIT Wenn ich hoffnungsvolle Gefühle brauche, dann höre ich Songs von Leonard Cohen. Und von ­David ­Bowie. Die Musik dieser beiden Musiker strahlt für mich das Gute im Menschen aus. Manchmal auch das Schlechte, aber hauptsächlich das Gute. Und vor allem das Menschliche. Und das macht mir Hoffnung.

 

Zur Person: Igor Levit, Pianist

Der in der Sowjetunion geborene Musiker füllt weltweit große Konzert-säle, spielt aber auch bei Eiseskälte im Dannenröder Forst aus Protest gegen dessen Rodung. Immer wieder meldet sich Levit öffentlich und politisch zu Wort und bildet so eine Ausnahme in der oftmals distanzierten Klassikwelt.

Igor Levit: No Fear

Dokumentarfilm

Sonntag, 24.3.
— 23.10 Uhr
bis 21.6. in der Mediathek