Stiller Farbrausch

So zurückgenommen der Expressionist Karl Schmidt-Rottluff als Mensch war – seine Kunst sprengte Konventionen und lebt von seinem Drang nach Veränderung.

Schwarz-Weiß-Foto von Karl Schmidt-Rottluff
Künstler Karl Schmidt-Rottluff, fotografiert von ­Hildegard ­ Heise, rückte Farben und expressive Formen in den Fokus. Foto: Hildegard Heise Kunstsammlungen Chemnitz/Archiv

Radikal reduzierte Landschaftsmalereien, die eine wilde, unberührte Natur zeigen, kontrastreiche Druckgrafiken und kantige, fast schon geometrisierte Holzschnitte: Karl Schmidt-Rottluff prägte als Grenzgänger den deutschen Expressionismus wie kaum ein anderer. Was aber angesichts der Wucht seiner Werke überrascht: Der Künstler galt unter seinen Zeitgenossen als stiller und zurückhaltender Mensch. ­Sabine ­Maria ­Schmidt, Kunsthistorikerin und Kuratorin des Karl Schmidt-­Rottluff Hauses in Chemnitz, beschreibt ihn als „einen eher introspektiven, sehr konzentrierten, ruhigeren Menschen“. Er sei nicht derjenige gewesen, „der an der See mit den anderen Akte gemalt hat“. Vielmehr habe er wenig gesprochen, aber viel gelesen und aufgenommen, sagt Schmidt im Gespräch mit dem ­ARTE ­Magazin. Diese Persönlichkeit spiegelte sich auch in seinem Lebensstil wider. Während die Mitstreiter seiner Künstlergruppe „Brücke“ das Leben in pulsierenden Großstädten regelrecht in sich aufsogen und in ihren Werken verarbeiteten, zog es Schmidt-­Rottluff in abgelegene Gegenden. Besonders die Natur und Stille inspirierten ihn. Landschaften, die auf den ersten Blick eher unscheinbar oder langweilig wirken könnten, wurden bei Schmidt-­Rottluff zum Ausdruck innerer Empfindungen. „Ihn interessierten besonders unspektakuläre Topografien, um das Empfinden dieser Landschaft mit in das Bild zu bringen“, betont ­Sabine ­Maria Schmidt.

Karl Schmidt-Rottluff: Leidenschaft und Rebellion

Porträt

Sonntag, 13.4. —
16.45 Uhr
bis 12.4.26 in der
Mediathek

Ein Gemälde von einem Strauß in einer Vase
Farbspektakel: Das Gemälde „Wollgras“ (1940) zeigt, wie der Künstler Farben und expressive Formen in den Fokus rückte. Foto: picture alliance / akg-images / VG Bild Kunst

Geboren wurde Karl Schmidt-Rottluff als drittes von sechs Kindern im Dezember 1884 in Rottluff, inzwischen ein Stadtteil von Chemnitz. Sein künstlerisches Talent zeigte sich früh: In der Schule nahm er freiwillig am Kunstunterricht des Architekten ­Friedrich ­Otto ­Uhlmann teil, veranstaltete mit seinem eigens gegründeten Schülerklub „Vulkan“ Lesungen, Theaterstücke und Ausstellungen und lernte­ den Mitschüler Erich ­Heckel kennen, mit dem ihn eine lebenslange Freundschaft verbinden sollte. Wie ­Heckel entschied sich auch Schmidt-­Rottluff für ein Architekturstudium in Dresden. Gemeinsam mit zwei weiteren Studenten, Ernst ­Ludwig ­Kirchner und Fritz Bleyl, gründeten sie 1905 schließlich die Künstlervereinigung „­Brücke“, die sich als radikale Bewegung gegen die erstarrte akademische Kunsttradition verstand. Während sich die etablierte Kunst dieser Zeit vor allem auf Historienmalerei und naturalistische Darstellungen fokussierte, forderte die „­Brücke“ ihre Generation dazu auf, „unmittelbar und unverfälscht“ zu malen, was sie bewegt. Um ihre Ideen zu verbreiten, veranstaltete die Gruppe Ausstellungen und veröffentlichte die sogenannten „Brücke-­Mappen“, eine Sammlung von Holzschnitten, Zeichnungen und Druckgrafiken ihrer Mitglieder.

Wie für alle Künstler seiner Generation markierte der Ausbruch des Ersten Weltkriegs für Schmidt-­Rottluff eine tiefe Zäsur. In den Jahren zwischen 1915 und 1918 war er als Armierungssoldat in Russland und Litauen im Einsatz. Trotz der schwierigen Bedingungen fertigte er in dieser Zeit Zeichnungen und Holzschnitte an, die das Kriegsgeschehen und seine Umgebung dokumentierten. Zurück kehrte er nicht nur mit einem veränderten Menschenbild, sondern auch mit einer veränderten Kunst. Die Werke waren düsterer, kantiger, expressiver – und zeugen von tiefen Erschütterungen. „Die Kriegserfahrungen haben die Künstler – wenn sie denn überlebten – natürlich gesprägt, und das hatte auch Einfluss auf ihre Werke“, sagt Kunsthistorikerin Schmidt. Karl Schmidt-­Rottluff beschäftigte sich nach seinen Erlebnissen an der Front auf einmal mit religiösen Motiven. So schuf er den „Christus-Kopf“ und die Mappe „Christus-­Holzschnitte“. Werke, die religiöse Ikonografie beinhalten, zugleich aber auch die Gottes­existenz infrage stellen, wie Schmidt erläutert. Aus impulsiven, bunten Farbmalereien wurden vermehrt strengere, strukturierte Holzschnitte.

Ein abstraktes Gemälde
Karl Schmidt-Rottluffs Gemälde „Im Atelier“ (1950). Foto: Schmidt Film / MDR

Mit dem Aufstieg des Nationalsozialismus kam der nächste schwere Einschnitt. Schmidt-Rottluffs Werke wurden aus den Museen entfernt und als „entartete Kunst“ diffamiert. 1941 erhielt er ein Malverbot. Doch der Künstler ließ sich nicht aufhalten. Ohne die Aussicht, seine Werke jemals wieder der Öffentlichkeit zeigen zu können, malte er zurückgezogen für sich weiter, wobei auch das Gemälde „Angler auf der Brücke“ entstand. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg genoss Karl Schmidt-­Rottluff wieder Anerkennung. 1947 erhielt er eine Professur an der Hochschule für Bildende Künste in Berlin und widmete sich der Ausbildung einer neuen Künstlergeneration. Seine letzten Lebensjahre verbrachte er schließlich zurückgezogen und weiterhin vertieft in seine Malerei. Über alle Schaffensphasen hinweg zeichnete sich Schmidt-Rottluff durch eine „stoische Beharrlichkeit im ständigen Vergewissern von Sinneseindrücken von Landschaftswahrnehmungen“ aus, sagt Sabine ­Maria Schmidt.

Gemälde von einem Boot an einem Steg
Gemälde „Sommer­abend am See“ (1934). Foto: picture alliance / akg-images / VG Bild Kunst

Um den berühmten Sohn der Stadt mit einem Museum zu würdigen, hat die diesjährige Kulturhauptstadt Chemnitz das ehemalige Elternhaus des Künstlers saniert. Am 6. April wird das Karl Schmidt-­Rottluff Haus eröffnet, das Werke aus all seinen Lebensphasen zeigt, darunter der „Christus-­Kopf“ sowie „Landschaft im Herbst“.