Die Ruhe nach dem Sturm

Mit ausgefeiltem Synthpop und theaterartigen Auftritten ragte Kate Bush in der Popwelt heraus. Den gängigen Mechanismen des Musikgeschäfts verweigert sie sich bis heute aus Überzeugung.

Poträt der jungen Kate Bush.
Autorin, Komponistin, Sängerin, Tänzerin, Performancekünstlerin: Kate Bush, das Allroundgenie Großbritanniens, erschloss mit ihrer poetischen und radikalen Art neue Wege in der Popmusik. Foto: laif/CAMERA PRESS/Clive Arrowsmith

Ausgerechnet sie, deren Stimme sich in engelsgleiche Sphären emporschrauben kann, fiel zuletzt durch radikale Stille auf. Gemeint sind aber nicht die mittlerweile 14 Jahre, in denen die britische Sängerin ­Kate Bush keine neue Musik mehr veröffentlicht hat, sondern eine Protestaktion gegen den Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI) in der Popkultur. Zusammen mit 1.000 weiteren Musikerinnen und Musikern, darunter Cat ­Stevens, ­Annie ­Lennox, Hans ­Zimmer und ­Tori ­Amos, war Bush an einem Album, das gänzlich ohne Musik auskommt, beteiligt. Unter dem Titel „Is This What We Want?“ waren darauf mehrminütige Aufnahmen von leeren Studios und Aufführungsräumen zu hören. Ein Protest, adressiert an die britische Regierung, die Tech-Firmen erlauben will, KI-Modelle mit durch menschliche Kreativität entstandenen Werken zu trainieren. „Wenn diese Änderungen umgesetzt werden, wird das Lebenswerk von Musikern kostenlos an KI-Unternehmen übergeben. Keiner von uns hat dabei ein Mitspracherecht“, schreibt Bush auf ihrer Website und stellt die Frage: „Werden unsere Stimmen in der Musik der Zukunft ungehört bleiben?“

Kate Bush: Intensiv und andersartig

Porträt

Freitag, 10.10. — 21.40 Uhr
bis 24.4.26 auf arte.tv  

Dass sich die Britin nach mehr als 40 Jahren im Popgeschäft für Kreativität und künstlerische Freiheit starkmacht, verwundert überhaupt nicht. Diesen Kampf führt sie schon seit Beginn ihrer Karriere, wie die ARTE-­Dokumentation „­Kate Bush: Intensiv und andersartig“ zeigt. Als die Sängerin im Frühjahr 1978 als kaum 20-Jährige mit hohen Wangenknochen, dunklen Augen und einem kehligen Sopran die britischen Charts eroberte, schien es, als hätte eine Erscheinung aus einer anderen Welt die Popwelt betreten. Bush traf auf ein Publikum, das sich gerade frisch zwischen Punk und Disco eingerichtet hatte – und lud es ein in eine literarisch aufgeladene Parallelwelt.

Werden unsere Stimmen in der Musik der Zukunft ungehört bleiben?

Kate Bush, Sängerin und Komponistin

So plötzlich er kam, ein Zufallsprodukt war der Erfolg der jungen Frau nicht. Geboren wurde sie als Catherine Bush im Jahr 1958 in der Kleinstadt Bexleyheath, im Südosten Englands, als Tochter eines englischen Arztes und einer irischen Krankenschwester. Musik und Literatur prägten ihre Kindheit und Jugend, der ausgeprägte Katholizismus der Eltern ebenso. Schon im Grundschulalter begann Bush, Gedichte zu schreiben und begleitende Stücke auf dem Klavier zu spielen. Ihre Brüder, beide in der Kunstwelt aktiv, ermutigten sie – und halfen ihr Mitte der 1970er Jahre, dass frühe Demotapes in die Hände von Pink-Floyd-Gitarrist ­David ­Gilmour gelangten.

Dem wohlhabenden Klangarchitekten gefiel, was er hörte, und er beschloss, Studioaufnahmen für Kate Bush zu finanzieren, wobei er unter anderem ein 30-köpfiges Orchester für sie engagierte. Nach dem Umzug nach London, wo sie unter anderem von ­David ­Bowies Tanztrainer ­Lindsay Kemp unterrichtet wurde, arbeitete Bush konzentriert an ihrem Debüt: „The Kick Inside“. Als die Platte 1978 erschien, avancierte das Stück „Wuthering Heights“ trotz komplexer Arrangements über Nacht zum Nummer-1-Hit in den britischen Charts. Das Album sei wie „ein Rausch jugendlicher Kunstfertigkeit und Sexualität, der auch nach Jahrzehnten noch frisch und fremd klingt“, begeisterte sich die New York Times rückblickend.

Mit „Lionheart“ wurde noch im gleichen Jahr ein etwas hastig aufgenommenes zweites Album auf den Markt gebracht, flankiert von einer Tournee, die unter Mitwirkung des Choreografen ­Anthony Van Laast von der London Contemporary Dance Company zu einem Theaterspektakel geriet. Dabei performte Kate Bush eben nicht wie eine gewöhnliche Singer-Songwriterin, vielmehr präsentierte sie sich als Multitalent und rüttelte mit Anleihen aus diversen kreativen Metiers an den Pforten der Massenkultur.

Nach der von Fans und Kritikern gefeierten Tour entzog sich Bush allerdings zunehmend der Öffentlichkeit. Sie wolle sich nicht von der Maschinerie der Musikindustrie verschlingen lassen, betonte sie. Künstlerisch unterstrich sie diese Haltung in den folgenden Jahren mit Alben wie „Never for Ever“ (1980) oder „Hounds of Love“ (1985). Dabei verknüpfte sie immer wieder orchestrale Elemente mit Sampling-Experimenten, Folklore und Theater-Avantgarde. Ihr größter Hit erschien in dieser Zeit: „Running Up That Hill (A Deal with God)“ – eine Synthpop-­Hymne, deren Drumcomputer-­Sound zwar archetypisch ist für die 1980er Jahre, die aber bis heute generationsübergreifend fasziniert. So erlebte der Song unlängst dank der US-Mysteryserie „Stranger Things“ ein Revival.

Trotz weiterer Studioalben – von der Bühne hielt sich Kate Bush insgesamt 35 Jahre lang fern. In Interviews nannte sie offen „Überforderung“ als Grund, ausgelöst unter anderem durch ihren ausgeprägten Hang zum Perfektionismus. Im Jahr 2014 folgte mit der Konzertreihe „Before the Dawn“ ein kurzes Live-­Comeback mit 22 ausverkauften Shows in London. Das könnte es auch schon gewesen sein. Weitere Auftritte seien nicht geplant, sagte sie der BBC 2024 in einem ihrer raren Statements. Sie genieße stattdessen das zurückgezogene Familienleben, das sie in einem Dorf an der Themse führt – auf einem malerischen denkmalgeschützten Anwesen. Im Zweifel also doch: Stille.

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