WIRD KÜNSTLICHE INTELLIGENZ DIE MENSCHHEIT VERNICHTEN?

MÄCHTIGE ALGORITHMENRobotik und künstliche Intelligenz helfen uns und werfen zugleich Fragen nach Grenzen und Kontrollverlust auf.

Don’t Be Evil“ („Sei nicht böse“) lautete einmal ein Grundsatz von Google. 2018 verschwand er aus dem Kodex des Suchmaschinen-Unternehmens, 20 Jahre nach dessen Gründung. Und zufällig genau 50 Jahre nach ­Stanley ­Kubricks „2001 – Odyssee im Weltraum“. Darin warf Supercomputer Hal 9000 auf beunruhigende Weise die Frage nach ethischen Grundsätzen intelligenter Maschinen auf. Als ­Kubricks Film in die Kinos kam, war der Begriff der künstlichen Intelligenz – kurz: KI – gerade zwölf Jahre alt. Geprägt hatte ihn 1956 der US-amerikanische Informatiker John McCarthy. Seither ist viel geschehen, die Science-Fiction wird Realität, wenngleich etwas anders als in den Fantasie-Vorlagen von Schriftstellern und Drehbuchautoren. Aus dem unbeirrbar roten Leuchtauge und der sanften Männerstimme von Hal 9000 sind Sprachassistenten wie Apples ­Siri geworden – weiblich und von wabernden Wellen auf dem Bildschirm begleitet. Oder die unsichtbare ­Alexa, mit der sich Menschen ganz selbstverständlich über dosenförmige Geräte unterhalten, um die nächste Zugverbindung zwischen Köln und München abzufragen oder ihre smarte Heizung zu steuern..

DIE SENDUNG AUF ARTE

Den Dokumentarfilm „Wir sind die Roboter“ gibt es am Dienstag, 4.2. ab 23.25 Uhr auf ARTE zu sehen und bis 4.3. in der Mediathek.

er beherrscht letztlich wen?

Inzwischen schreiben wir das Jahr 2020. Anders als vor Jahrzehnten prognostiziert, sind wir noch immer nicht zur allumfassenden KI vorgedrungen, in der Maschinen andere Maschinen bauen und selbstlernende Systeme den Menschen ersetzen. Weil der nächste große technologische Wurf gerade offensichtlich auf sich warten lässt, rückt – zumindest in Europa – die Diskussion um ethische Leitplanken für KI stärker in den Mittelpunkt. Ist das technisch Machbare immer auch wünschenswert? Brauchen Menschen Schutz vor Maschinen? Und wer wird in naher Zukunft letztlich von wem beherrscht?

Google etwa sei „künstliche Intelligenz zum Fürchten“, sagt der britische Robotik-Experte Will ­Jackson im ARTE-Dokumentarfilm „Wir sind die Roboter“. Der unstillbare Datenhunger verleihe dem Werbeunternehmen hinter dem Suchschlitz Macht und geradezu seherische Fähigkeiten: „Jemand hat mal gesagt: Google weiß, dass Sie schwul sind, bevor Sie es wissen“, so ­Jackson. Seine Firma Engineered Arts baut Roboter, von denen einige optisch an den ängstlichen „Star Wars“-Androiden C-3PO erinnern. Die mehr oder weniger menschenähnlichen Automaten sind im Edutainment-Einsatz, sie vermitteln unterhaltsam Wissen in Museen und Bildungseinrichtungen.

Spielerisch, nützlich, hilfreich: So sieht die vermeintlich sympathische, unkritische Seite der engen Verwandten Robotik und KI aus. Maschinenmenschen rezitieren Shakespeare, geben artig Antwort und sollen möglichst bald vielfältige Aufgaben in einer alternden Gesellschaft übernehmen, von Pflegediensten bis zum Ersatz für reale Gesprächspartner. Allein solche Aussichten rufen hierzulande die katholische Kirche auf den Plan. So sieht der Kölner Kardinal ­Rainer ­Maria ­Woelki in humanoiden Robotern, die „streicheln, lachen und weinen“, eine bloße Illusion menschlicher Nähe. Rationale Algorithmen imitierten Verhalten und ließen „Realität und Suggestion verschwimmen“, warnt der Bischof vor Grenzverletzungen an der Mensch-Maschine-Nahtstelle.

Jemand hat mal gesagt: Google weiß, dass Sie schwul sind, bevor Sie es wissen

Will Jackson, britischer Robotik-Experte

Die scheinbar unendlichen technischen Möglichkeiten beschäftigen auch Ethikforscher wie ­Thomas ­Metzinger. Der Mainzer Professor für theoretische Philosophie ist – etwa mit Blick auf China und die USA – skeptisch, dass es weltweite Standards für den Umgang mit KI geben werde. Sorge bereitet dem Wissenschaftler ein „Wettrüsten mit KI-Waffen“. Vorstellbar sei längerfristig auch eine „Intelligenzexplosion“ von Systemen, die dem Menschen weit überlegen und deswegen nicht mehr beherrschbar sind, wie er unlängst im Gespräch mit dem Schweizer Hörfunk­sender SRF 1 erläuterte.

­Metzinger gehörte einer Expertengruppe an, die 2019 ihre im Auftrag der EU-Kommission erarbeiteten Leitlinien für vertrauenswürdige KI vorstellte. Danach soll der Einsatz solcher neuen Technologien in Europa gefördert, aber auch ein Ordnungsrahmen gezogen werden. Es geht um die Achtung der Privatsphäre, um Transparenz und darum, Diskriminierung zu vermeiden. Generell soll die KI-Entwicklung auf die Rechte und Bedürfnisse des Menschen ausgerichtet werden. Hehre Ziele – und ein Gegenentwurf beispielsweise zum chinesischen Ansatz. Dort dient der KI-Fortschritt nicht zuletzt der totalen Kontrolle im Social-­Scoring-­System. In dem aber ist der einzelne Mensch nur noch so viel wert wie die Summe aller Daten.