Den Protagonisten der Mobilitätswende läuft die Zeit davon: Ab 2035 dürfen in der EU nur noch CO₂-neutrale Pkw zugelassen werden, um den Straßenverkehr zu dekarbonisieren. Nur wenn dies – und einiges mehr – gelinge, warnen Wissenschaftler und Brüsseler Umweltpolitiker, blieben die Folgen der Erderwärmung relativ beherrschbar.
Für die Mineralölbranche heißt das: Sie muss von fossilen auf regenerative Energieträger umsatteln, wenn sie weiterhin im Geschäft bleiben will. Eine drastische Volte. Denn jahrzehntelang galt bei vielen Ölmultis die Devise: fossile Treibstoffe vermarkten und deren – längst bekannte – Folgen für das Klima so gut es geht verharmlosen. Seit den 1980er Jahren betrieben sie milliardenschwere Lobbyarbeit und lancierten PR-Kampagnen, um den Klimawandel kleinzureden. Das belegen Aussagen von Beteiligten wie dem früheren Exxon-Wissenschaftler Edward A. Garvey, der ab 1979 ein Projekt zur Erforschung des Treibhauseffekts leitete. In der ARTE-Dokumentation „Klima – Im Würgegriff der Ölkonzerne“ schildert er, wie Exxon die Forschungsergebnisse seines Teams systematisch vertuscht hat.
„Die Angst der Mineralölfirmen ist groß, weil die Dekarbonisierung des Verkehrs ihr Kerngeschäft massiv bedroht“, sagt William Todts, Analyst bei Transport & Environment (T&E), einer Denkfabrik für nachhaltige Mobilität. Es sei kein Wunder, dass sie den Ausbau der Elektrifizierung „so lang wie möglich verhindern oder blockieren wollen“. Stattdessen setzt die Branche nun auf sogenannte E-Fuels für den Straßenverkehr: synthetische Kraftstoffe, die ohne fossile Ressourcen mithilfe von Strom aus Kohlendioxid und Wasser hergestellt und über die bestehende Tankstelleninfrastruktur vermarktet werden können. Falls der für die Produktion nötige Strom aus regenerativen Quellen stammt, sollen E-Fuels sogar CO₂-neutral sein: Bei der Verbrennung im Motor werde nur so viel CO₂ in die Atmosphäre abgegeben, wie bei der Herstellung aus ihr entnommen wurde.
AUCH E-FUELS SCHADEN DEM KLIMA
So weit die Theorie. Die Praxis sieht anders aus: „Bei der Verbrennung von E-Fuels entstehen große Mengen klima- und gesundheitsschädlicher Stickoxide, Kohlenmonoxid und Feinstaub“, sagt Martin Wietschel, Leiter des Competence Centers Energietechnologien und Energiesysteme am Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung, Karlsruhe. Zudem sei ihr Wirkungsgrad gering und der Energiebedarf für die Herstellung hoch.
Im Vergleich zu Fahrzeugen mit Elektromotor verbrauchen E-Fuel-Pkw deutlich mehr Primärenergie. Wie schlecht ihre Energiebilanz aussieht, hatte jüngst der Verband der Elektrotechnik ausgerechnet. Demnach könnte eine Drei-Megawatt-Windkraftanlage Strom für 1.600 Elektroautos liefern, aber nur für 250 Verbrennerautos, die mit daraus hergestellten E-Fuels betrieben werden. Ein Grund dafür ist die ineffiziente Herstellung des Sprits, bei der vier Fünftel des Energieaufwands verlorengehen. „Angesichts der Menge der für die Herstellung nötigen erneuerbaren Ressourcen“, so T&E-Analyst Todts, „sind E-Fuels für Pkw und Lkw allenfalls eine teure, von der Mineralölindustrie propagierte Notlösung.“
Dennoch hat der Autohersteller Porsche gemeinsam mit Siemens Energy, Exxon und weiteren Partnern kürzlich in Südchile eine Pilotanlage für E-Fuels errichtet. Pro Jahr soll sie 130.000 Liter des kostbaren Sprits produzieren. Gemessen am Treibstoffbedarf der weltweit 1,3 Milliarden zugelassenen Autos ist das nur eine homöopathische Menge: Selbst wenn Hunderte E-Fuel-Fabriken in Betrieb gingen, bliebe das synthetische Benzin für Autofahrer rar und teuer. Experten gehen davon aus, dass E-Fuels an der Tankstelle mittelfristig pro Liter ein bis zwei Euro mehr kosten werden als E-10-Kraftstoff heute. Ob sie überhaupt jemals im Autotank landen, ist ohnehin ungewiss: „Bevor E-Fuels für Pkw und Lkw zur Verfügung stehen, werden Flugzeuge und Schiffe damit betankt“, urteilt William Todts, „da deren Antriebe nicht so leicht elektrifiziert werden können wie die von Autos.“