Sie sollen Geborgenheit schenken, Bildung ermöglichen, soziale Wärme ausstrahlen: Kitas sind für viele Kinder ein zweites Zuhause. Orte, an denen sie Vertrauen lernen, erste Freundschaften knüpfen, emotionale Sicherheit entwickeln. Mehr als 60.000 Kitas gibt es laut Statistischem Bundesamt in Deutschland, in denen rund 3,9 Millionen Kinder betreut werden – etwa jedes fünfte davon ist unter drei Jahre alt. Kitas sind dabei weit mehr als nur eine familienergänzende Betreuungseinrichtung: Sie gelten als entscheidende Stellschraube für Chancengleichheit und Bildungsgerechtigkeit – vor allem für Kinder aus benachteiligten Haushalten. Obwohl das seit Langem bekannt ist, gibt es längst nicht genügend Kita-Plätze. Laut einer Studie des Kölner Instituts der deutschen Wirtschaft fehlten in Deutschland im vergangenen Jahr mehr als 300.000 Betreuungsplätze für unter Dreijährige – dabei haben Eltern seit 2013 einen Rechtsanspruch.
In den bestehenden Einrichtungen fehlt es zudem an ausreichend Fachkräften. Die Folge: Viele Erzieherinnen und Erzieher sind überlastet. Gemäß einer aktuellen Umfrage von Verdi unter Beschäftigten der Kita-Eigenbetriebe in Berlin („Verdi Kita-Realitätscheck 2.0“) können 98 Prozent „mindestens teilweise den eigenen Anspruch an ihren Beruf nicht erfüllen“. Im schlimmsten Fall entsteht ein Klima, in dem Überforderung zu Gewalt führt. Rund 85 Prozent der Fachkräfte haben laut einer vom Investigativ-Netzwerk Team Wallraff beauftragten Umfrage bereits seelische Gewalt an Kindern miterlebt, fast 70 Prozent beobachteten körperliche Gewalt. Viele dieser Fälle werden nicht gemeldet, auch wenn das betreuende Personal gesetzlich dazu verpflichtet ist.
In Frankreich ist Betreuung schon lange ein Ge-schäftsmodell. Die ARTE-Dokumentation „Krippen – Kleine Kinder, großes Geld“ beleuchtet das – mit einem besonderen Fokus auf den milliardenschweren französischen Markt, von dem aus große private Ketten europaweit expandieren. Deutlich wird dabei aber auch: Einrichtungen, die besonders stark auf Gewinnmaximierung setzen, sparen vor allem am Personal – und zusätzlich, indem sie Windeln und Mahlzeiten streng rationieren. So berichten es ehemalige Mitarbeitende großer Kinderbetreuungskonzerne.
In Deutschland werden rund zwei Drittel der Kitas von freien Trägern betrieben, die meisten davon gemeinnützig. Nur rund 1.800 Einrichtungen arbeiten gewinnorientiert. Doch Personalmangel, Zeitdruck und fehlende Reflexion in manchen Einrichtungen können Folgen haben. Janine Beier-Seifert ist Sozialpädagogin und arbeitet als Fortbildnerin und Beraterin für pädagogische Fachkräfte. Aus eigener Erfahrung weiß sie: Es gibt eine hohe Hemmschwelle, Übergriffe anzusprechen. „Vor allem, wenn man noch nicht lange im Team ist, kein fachliches Standing oder schlechte Erfahrungen gemacht hat“, wie sie im Gespräch mit dem ARTE Magazin sagt. „Wenn Leitung und Träger wegsehen, fühlt es sich an, als müsste man gegen die ganze Einrichtung aufstehen.“
Als Beier-Seifert etwa eines Vormittags in einer Kita aushilft, meldet sie beim Kitaträger und beim zuständigen Jugendamt, was sie sieht: Ein einjähriges Kind wird eine Dreiviertelstunde lang weinend in einen dunklen Raum gelegt. Ein anderes wird grob an den Tisch geschoben, soll aufessen, stillsitzen. „Das hatte mit Betreuung nichts zu tun. Das war Machtmissbrauch.“
Ein besonders drastischer Fall sorgte 2022 in Frankreich für einen nationalen Schock. Eine Betreuerin hatte einem Baby Abflussreiniger eingeflößt – weil sie, wie sie später sagte, mit den Nerven am Ende gewesen sei. Das elf Monate alte Mädchen starb. Solche Extremfälle sind selten, doch Gewalt beginnt schon viel früher: etwa mit harschem Ton oder wenn Kinder zum Essen und Schlafen gezwungen werden. „Wenn Kinder lernen, dass sie keine Mitsprache haben, kratzt das an ihrem Selbstwert, und das kann langfristige Folgen mit sich bringen“, sagt Beier-Seifert.
Gerade bei Krippenkindern sei die Situation schwierig: Oft könnten sie sich noch nicht ausdrücken und ihren Eltern nicht erzählen, was sie erlebt hätten. Umso wichtiger sei es, dass Eltern auf ihr Bauchgefühl hören. „Wenn Kinder plötzlich sehr ruhig oder sehr laut werden oder nicht mehr in die Kita wollen, sollte man der Sache nachgehen.“ Ein weiteres Warnsignal könne eine auffällig hohe Personalfluktuation in der Einrichtung sein.
Struktur statt Schweigen
Personalknappheit allein erkläre das Problem nicht, meint Beier-Seifert. Entscheidend sei die Haltung, mit der gearbeitet werde. „Es geht darum, wie wir mit Kindern sprechen. Ob wir ihre Bedürfnisse achten oder ob wir sie nur verwalten.“ Zur Verantwortung von Betreuenden gehöre auch, bei Überlastung zu handeln – etwa durch das Einreichen einer offiziellen Überlastungsanzeige. In vielen Fällen von Gewalt habe es bereits im Vorfeld deutliche Warnzeichen gegeben. Kommt es zu Entlassungen, fehle in Arbeitszeugnissen meist jeder Hinweis auf das Fehlverhalten. Hinzu kommt ein strukturelles Problem: Verlässliche Statistiken zu Gewaltfällen in Kitas existieren nicht. Die Behörden haben demnach wenig Überblick darüber, wie oft es zu Übergriffen kommt.
Doch es gibt sie – die guten Kitas: die leisen, achtsamen, die nicht in Schlagzeilen auftauchen. Einrichtungen, in denen Kinder gesehen werden und mitbestimmen dürfen. „Oft liegt das an einer Leitung, die Haltung zeigt. An Teams, die sich gegenseitig reflektieren, und an einem echten Schutzkonzept“, sagt Beier-Seifert. Dort werde Beziehung gepflegt und Überforderung dürfe ausgesprochen werden. „Diese Kitas zeigen: Es geht anders. Und jedes Kind hat das Recht, genau so einen Ort zu erleben.“
Wenn Kinder lernen, dass sie keine Mitsprache haben, kratzt das am Selbstwert





