Kunst im Rahmen des Krieges

Rund 60 aus Odessa gerettete Meister­werke sind derzeit in der Berliner Gemäldegalerie zu sehen. In der Ukraine sorgt die Leihgabe für Diskussionen.

Eine Frau steht vor leeren Rahmen
Kulturgüter: Iryna Gliebova, stellvertretende Direktorin des Odessa Museums für westliche und östliche Kunst, vor leeren Rahmen. Foto: Découpages / Galaxie Presse

Bild um Bild wurde abgehängt. Zurück blieben leere Rahmen, kahle Wände – und ein Museum ohne Dauerausstellung. Er sei natürlich froh, sagt Igor Poronyk, dass die bedeutendsten Werke der Sammlung nun in Sicherheit sind. Der Leiter des Museums für westliche und östliche Kunst schaltet sich aus Odessa zu, um mit dem ­ARTE ­Magazin über die Ausstellung „Von Odessa nach Berlin“ zu sprechen, die seit Januar in der Gemäldegalerie an der Spree zu sehen ist.

Gezeigt werden 60 Meisterwerke bedeutender europäischer Maler wie Andreas Achenbach, Francesco Granacci und Frans Hals. „Wenige Tage nach Kriegsausbruch habe ich entschieden, die Gemälde von hier wegzubringen“, sagt ­Poronyk. Odessa, die Hafenstadt am Schwarzen Meer, gehörte zu den ersten Zielen des russischen Überfalls und gerät seither immer wieder unter Beschuss. „Innerhalb eines Monats haben wir unsere Ausstellung demontiert, die Gemälde verpackt und mit einem Lkw in ein Notlager an der ukrainisch-­polnischen Grenze gebracht“, erzählt ­Poronyk. Doch die Räume waren nicht geeignet für die Lagerung; erste Gemälde drohten zu schimmeln. Um sie vor dem Verfall zu retten, kontaktierte ­Poronyk die Alte Nationalgalerie und die Gemäldegalerie in Berlin und erkundigte sich, ob die Sammlung dort vorübergehend unterkommen könnte. Dann ging alles ganz schnell.

Ein Team von Restauratorinnen nahm sich in Berlin der Kunstschätze an. In Schutzkleidung, die vor Pilzsporen schützt, haben die Experten die Bilder überarbeitet und neu gerahmt. Bereits Anfang 2024 waren 14 Werke in einer kleineren Auftaktausstellung zu sehen. Bei der Eröffnung betonte Dagmar Hirschfelder, Direktorin der Gemäldegalerie, „die stilistischen und thematischen Gemeinsamkeiten“ zwischen den Werken aus der Ukraine und der Berliner Sammlung. Die Ukraine, das vermittelt auch die aktuelle, große Sonderausstellung, hat nicht nur Berührungspunkte mit der europäischen Kultur – sie ist Teil von ihr.

Poronyk sagt, er sei dankbar, dass die Bilder trotz der kriegsbedingten widrigen Umstände in hervorragendem Zustand gezeigt werden können. „Die Zusammenarbeit erhöht das Ansehen der Ukraine als kulturell bedeutende europäische Nation“, fügt er hinzu. Auch andere ukrainische Museen, etwa die Lemberger Nationalgalerie oder das Nationale Kunstmuseum Odessa, hätten Teile ihrer Sammlungen ins Ausland gerettet und dort Ausstellungen organisiert. Doch nicht alle Ukrainer befürworten die Auslagerung der Kulturgüter. Der Grund: In Russland könnte man den Eindruck bekommen, dass die Ukraine dem Westen ihre Kunstschätze überlasse. Leere Museumshallen könnten außerdem ein falsches Signal an die Bürgerinnen und Bürger des Landes senden: den Eindruck, dass die Ukraine ihr kulturelles Leben aufgibt. „Kunst spielt in Kriegszeiten eine bedeutende Rolle“, sagt ­Poronyk. Sie sei nicht nur wichtig für die Stärkung der nationalen Identität, sondern auch für die psychologische Unterstützung der Menschen. Auch deshalb hätten viele Theater, Opern und Galerien weiterhin geöffnet. Die Frage ist bloß: Zu welchem Risiko?

Meisterwerke aus Odessa – Ein Museum zwischen Kunst und Krieg

Kunstdoku

Sonntag, 16.2. —
16.45 Uhr

BITTERE IRONIE DER GESCHICHTE 

Seit März 2022 wurden 40 ukrainische Museen, in denen sich etwa 1,5 Millionen Exponate befanden, bei russischen Angriffen zerstört oder geplündert. Mehr als 480.000 Objekte wurden geraubt und nach Russland gebracht, zahllose Denkmäler sind beschädigt. Es herrscht Krieg – auch gegen die Kultur der Ukraine. Poronyk sieht die Ausstellung deshalb nicht nur als Präsentation von Kunstwerken, sondern als Teil eines wichtigen internationalen Projekts zum Schutz europäischer Kultur. Dass die Exponate nun in Deutschland gezeigt werden, entbehrt nicht einer bitteren Ironie der Geschichte: 1941 musste die Sammlung des Museums für westliche und östliche Kunst nämlich schon einmal in Sicherheit gebracht werden – damals vor deutschen Wehrmachtstruppen, die mit ihren rumänischen Verbündeten auf dem Vormarsch nach Odessa waren. Ziel war die Zerstörung der Sowjetunion. Was zu retten war, wurde damals in den Osten des Landes gebracht, in sicherere Gebiete der damaligen Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik (RSFSR). „Leider verblieb ein Großteil der Exponate im Museum und wurde während der Besatzung geplündert“, sagt Poronyk. Auch das Museumsarchiv wurde zerstört.

Viele Werke der ukrainischen Sammlung gehörten einst lokalen Familien, die nach der Gründung der Sowjetunion im Jahr 1917 fliehen mussten. Darunter: die „Thronende Madonna mit Kind und Johannesknaben“ von Francesco Granacci. Foto: Christoph Schmidt

Knapp 80 Jahre später kommt der Aggressor von Osten – und die Evakuierung führt in den Westen. Wie lange die Bilder dort bleiben sollen, ist unklar. Die ukrainische Gesetzgebung begrenzt die Leihgabe von Kulturgütern auf drei Jahre. Die sind Ende 2025 bereits erreicht. „Meiner Ansicht nach müssen die Gesetze geändert und an den Krieg angepasst werden“, sagt ­Poronyk. Die Angriffe auf Odessa hätten sich zuletzt verschärft, momentan sei nicht an eine Rückführung zu denken. Für ihn sei es das Wichtigste, dass die Sammlung, deren Geschichte bis ins 16. Jahrhundert zurückgeht, auch diesen Krieg überdauert. „Dies gibt uns Hoffnung, dass alles Schlechte vorübergeht, aber die Kunst ewig bleibt.“

Ein Metallgerüst schützt ein ukrainisches Denkmal vor russischen Angriffen
Ein Metallgerüst schützt ein ukrainisches Denkmal vor russischen Angriffen. Foto: Viacheslav Onyshchenko / SOPA Images / Sipa USA / picture alliance