Langer Weg zum Frieden

Zwei Jahre nach dem Ende des Terrorkalifats verüben Anhänger des sogenannten Islamischen Staates wieder Anschläge im Irak. Wie sollen Europa und die USA darauf reagieren?

Illustration: Klawe Rzeczy

Bagdad, 21. Januar 2021. Auf einem belebten Markt im Zentrum der Millionenmetropole sprengen sich zwei Selbstmord­attentäter in die Luft und reißen knapp drei Dutzend weitere Menschen in den Tod. Es ist der verheerendste Anschlag im Irak seit 2017. Die Terrororganisation Islamischer Staat (IS) übernimmt umgehend die Verantwortung für die Bluttat – mittels Videobotschaft. Ausgerechnet der IS. Hatte nicht der ehemalige US-Präsident ­Donald Trump im März 2019 verkündet, die sunnitische Terrorgruppe sei endgültig besiegt?

„Für uns stellt der IS noch immer eine ernste Bedrohung dar“, sagt ­Qubad ­Talabani, stellvertretender Premierminister der nordkurdischen Region im Irak. „Im Sommer 2020 gab es jede Nacht Angriffe auf Kontrollpunkte der Polizei, vor allem in der Region Kirkuk“, so Talabani in der ARTE-Doku „Terror im Irak“. Bagdads Geheimdienst bestätigt die Aussage: Demnach haben sich mindestens 5.000 IS-Kämpfer in den Bergregionen im Norden verschanzt und verüben von dort aus Anschläge überall im Land.

Es war einmal im Irak: (1) Invasion (2) Aufstände (3) Erbe

Dokureihe

Dienstag, 30.3. — ab 20.15 Uhr
bis 28.3.22. in der Mediathek

Zweifelhaftes Zweckbündnis
Seit dem Sturz von Diktator ­Saddam ­Hussein im Jahr 2003 gehört der Terror in dem Zweistromland zum Alltag. Die dort stationierten US-Truppen und ihre Verbündeten hatten nach dem Ende des Irakkriegs jahrelang fast täglich mit schwer bewaffneten Aufständischen zu tun – und mit Selbstmordattentätern. Mindestens 200.000 Menschen kamen bei den bürgerkriegsähnlichen Kämpfen bis heute ums Leben, darunter Zigtausende Zivilisten. Nach dem Teilabzug der Koalitionstruppen 2011 hatte die schiitische Mehrheit, unterstützt vom Nachbarland Iran, zeitweilig die politische Kontrolle im Irak übernommen.

Das Regime unterdrückte jedoch die sunnitische Minderheit und förderte damit den Aufstieg des IS, dem anfangs vor allem ehemalige irakische Soldaten angehörten, deren Einheiten aufgelöst worden waren. Die Herrschaft des Terrorkalifats in weiten Teilen des Iraks und Syriens konnte nur mit großen militärischen Anstrengungen und einem ungewöhnlichen Zweckbündnis beendet werden: „Die Anti-IS-­Koalition paktierte mit den vom Iran gelenkten schiitischen Milizen – wissend, dass die Mullahs aus Teheran ihren politischen Einfluss in Bagdad dadurch stark ausbauen würden“, sagt Nahost­experte ­Herfried ­Münkler. Der Westen habe mangels besserer Alternativen den Teufel mit dem Beelzebub ausgetrieben, so der Berliner Historiker und Politologe. Der neue US-Präsident ­Joe ­Biden stehe nun „vor dem Scherbenhaufen der desaströsen Irak-­Politik seiner Vorgänger“.

Der „Islamische Staat“ hat zwar sein Territorium verloren. Das komme den Islamisten aber eher gelegen, sagt ­Münkler im Gespräch mit dem ARTE Magazin: „Als der IS ein territorialisierter Akteur wurde, unterschätzten dessen Führer, wie viel Arbeit es macht, einen realen Staat zu lenken. Seit die Organisation wieder im Untergrund agiert, können sich ihre Kämpfer erneut darauf konzentrieren, was sie am besten beherrschen: Terroranschläge.“

Die USA hätten die Entwicklung völlig falsch bewertet: „Trump verkannte die vom IS ausgehende Gefahr und widmete sich lieber dem Erzfeind Iran“, so Münkler. „Vor allem die Ermordung des ranghohen iranischen Offiziers ­Qasem ­Soleimani, Kommandeur der schiitischen Milizen im Irak, durch eine US-Drohne im Januar 2020 war ein Fehler. Die Milizen verloren zwar ihren versierten Befehlshaber und umsichtigsten Strategen. Sein Tod führte aber dazu, dass sie jetzt von Hardlinern angeführt werden, die den Konflikt zwischen Schiiten und Sunniten verschärfen wollen.“ Wie groß der Einfluss des Irans im Irak inzwischen ist, zeigt auch der Mord an dem irankritischen Terror­experten ­Hisham al-Hashimi im Juli 2020 in Bagdad, der nach jüngsten Erkenntnissen der Behörden auf das Konto der Milizen gehe. In ihrer Verzweiflung – und weil die Regierung zunehmend planlos agiere – sympathisierten daher viele sunnitische Iraker wieder mit dem Islamischen Staat.

Sollen Europa und die USA den Irak künftig sich selbst überlassen, wie einige Nahostexperten fordern? „Das wäre kolossal falsch“, sagt ­Münkler. „Die USA waren angetreten, um dem Land Frieden und Demokratie zu bringen. Ein Abbruch dieser Langzeitmission hätte zur Folge, dass der Westen seine Glaubwürdigkeit komplett einbüßt. Zudem könnten Russland und China ihren Einfluss in der Region stärker ausbauen.“ Nötig seien daher die Rückkehr an den Verhandlungstisch mit dem Iran und eine politische Stabilisierung im Irak. „Nur so – und mit viel Geduld und Geld – lässt sich die Demokratisierung erfolgreich fortsetzen.“