»Ich brenne für das Mystische«

In Julian Radlmaiers Drama „Blutsauger“ spielt Lilith Stangenberg eine exzentrische Vampirin, die in ihrer Villa Salonmarxismus betreibt.

Porträt von Lilith Stangenberg
Foto: Nils Stelte

Gehüllt in ein mondänes Kleid samt Spitzenhandschuhen steht sie am Ostseestrand und blickt aufs Meer. Ihren zarten Kopf schützt ein Diener mit einem Sonnenschirm. Er ist ihr voll und ganz verfallen – doch sie will sein Blut sehen. Lilith Stangenberg spielt im Film „Blutsauger“ (2020) eine Femme fatale der Vampirwelt. Es ist nicht ihr erster Auftritt in der Welt der geheimnisvollen, unheimlichen Gestalten. Im Interview spricht die Schauspielerin über ihre Leidenschaft für Vampirfilme, ihre Faszination für menschliche Abgründe und die Angst vor dem ewigen Leben.

Blutsauger

Horrorkomödie

Mittwoch, 6.9. — 22.40 Uhr
bis 4.12. in der Mediathek

ARTE Magazin Frau Stangenberg, andere Personen des öffentlichen Lebens posten auf Instagram Fotos von sich auf dem roten Teppich. Ihr jüngstes Bild zeigt eine verwunschen wirkende Illustration von einem blonden Mädchen, das von Feen umgeben ist. Was hat das zu bedeuten? 

Lilith Stangenberg Ich hatte mir ursprünglich geschworen, meinen Account ganz professionell zu bespielen, aber darauf habe ich meistens keine Lust. Jetzt, kurz vor den Ferien, hatte ich die Sehnsucht, das Helle und Lichtvolle in mein Leben zurückzuholen. Das Bild strahlt dieses Gefühl für mich aus.

ARTE Magazin Empfanden Sie Ihr Leben zuvor als zu düster?

Lilith Stangenberg Meine Rollen waren es häufig. Ich glaube, jeder Mensch hat bestimmte Themen, die er anzieht, ausdrücken kann oder schon von Natur aus verkörpert. In den zurückliegenden Jahren habe ich die Schattenseite der menschlichen Seele durchforstet. Das klingt jetzt so esoterisch. Aber es ist befreiend, sich den Abgründen im Rahmen der Kunst zu widmen, weil man dann privat davon entlastet wird. Ab einem gewissen Punkt wird es allerdings zu viel und dann merke ich, dass mein Unterbewusstsein nicht mehr unterscheiden kann, ob ich spiele oder ob es real passiert.

ARTE Magazin Im Film „Blutsauger“, den ARTE im September zeigt, spielen Sie eine Vampirbaronin. Was strahlt diese Figur für Sie aus?

Lilith Stangenberg Fräulein Octavia ist eine schillernde Gestalt. Theoretisch ist sie eine Blut trinkende, durchtriebene Aristokratin, aber ihr Wesen ist viel ambivalenter und zärtlicher. Sie hat diese schmachtende, ungestillte Sehnsucht nach Romantik – und dann diese schicke Lebensweise! Sie raucht Gras, isst Muscheln, liest Proust und verführt einen Mann nach dem anderen. Sie ist wie ein weiblicher Dandy, auf eine anrührende Art und Weise.

 

Spielszene aus dem Film
Foto: Faktura Film / WDR

ARTE Magazin Der Regisseur des Films, Julian ­Radlmaier, beschreibt „Blutsauger“ als „marxistische Vampirkomödie“. Wie muss man das verstehen? 

Lilith Stangenberg Im Grunde spiegelt der Film den Klassenkampf: Die Kapitalisten werden als Vampire dargestellt, die das Proletariat wortwörtlich aussaugen. Die treibende Kraft von „Blutsauger“ ist die lustige, berauschende Sprache, aber auch der Mut zum Stilbruch. Die Handlung spielt in den 1920er Jahren, trotzdem wird ein Amazon-Paket zugestellt oder eine Coladose auf den Tisch gestellt. Der Film macht eigentlich ganz viel falsch – und genau dadurch ist er auch so toll geworden.

ARTE Magazin Die Rolle des Vampirs ist Ihnen nicht unbekannt. Im Tatort „Blut“ (2018) spielen Sie ein Mädchen, das sich von Rinderblutkonserven ernährt und Menschen durch einen Biss in den Hals tötet. Sind Sie ein Fan von Untoten?

Lilith Stangenberg Ich brenne für das Mystische, das Unbeschreibbare. Die Hauptfigur in „­Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens“ (1922), gespielt von Max Schreck, zählt zu meinen größten Kinohelden. In dem Film ist der Vampir ein wahnsinnig anziehendes, faszinierendes Wesen. Er steht für eine Form von gewalttätiger Erotik: das Begehren, sich von einem anderen Körper zu ernähren. Insofern hat es auch etwas mit Liebe und Lust zu tun. Hinzu kommt, dass Blut vor der Kamera so sinnlich wirkt. Es konfrontiert uns mit der eigenen Endlichkeit.

ARTE Magazin In einem früheren Interview haben Sie einmal gesagt: „Der Horror spricht nicht unseren Verstand, sondern unsere Urängste an.“ Was ist Ihre größte Angst?

Lilith Stangenberg Für mich persönlich wäre es ein apokalyptischer Albtraum, lebendig begraben zu sein und ewig weiterleben zu müssen. Viele Menschen träumen ja von der Unsterblichkeit – manche forschen sogar dazu. Für mich gibt es keine grauen­erregendere Vorstellung, als für immer am Leben zu sein.

 

Zur Person
Lilith Stangenberg, Schauspielerin
Die 35-jährige Berlinerin ist für ihre außergewöhnlichen Rollen bekannt: In „Wild“ (2016) erlebt sie ihre sexuelle Befreiung mit einem Wolf, im Tatort „Blut“ (2018) saugt sie ihre Opfer aus wie ein Vampir. Und in Robert Schwentkes Drama „Seneca – Oder: Über die Geburt von Erdbeben“ (2023) brilliert sie an der Seite von John Malkovich.