Der Alltag dieses Cowboys ist eng getaktet: Am Montag bringt er mal wieder die gefesselten Dalton-Brüder zu einem Fort („Hab hier ’ne Lieferung“). Am Dienstag muss er ein entflohenes Rindvieh per Lasso einfangen. Tags darauf – peng! – verhindert er mit einer gezielten Kugel gerade noch einen Bankraub. Am Donnerstag folgt ein Faustkampf mit einem axtbewaffneten Krieger, um einen Goldgräber zu retten. Und am Freitag, auf dem Weg zum Rodeo, steckt Lucky Luke – zum Verdruss seines treuen Gauls Jolly Jumper – im Wochenendverkehr zwischen Kuhherden und Kutschen fest. Die ersten Seiten von „Letzte Runde für die Daltons“, der Anfang November erscheinenden neuen Ausgabe der Comicserie rund um den ewig coolen Cowboy, starten bewegt. Aber auch angenehm vertraut dank der vielen bekannten Motive – man fühlt sich sofort zu Hause. Das wirkliche Abenteuer folgt ein paar Ritte weiter, da geht dem Wilden Westen plötzlich das Bier aus. Saloonbetreiber flehen Lucky Luke an, einen Streik in den Großbrauereien zu beenden. Gesagt, galoppiert! Der Mann hat schließlich einen Ruf zu verlieren.
HUMOR TRIFFT AUF LITERARISCHEN TIEFGANG
Und was für einen: Mit weltweit mehr als 300 Millionen verkauften Exemplaren und zahlreichen Kino- und Trickfilm-Adaptionen zählen die rund 90 Ausgaben von „Lucky Luke“ zu den erfolgreichsten Comicserien überhaupt. Anlässlich des neuen Abenteuers begleitet ARTE den französischen Comicautor Jul an zahlreiche Orte der USA, die prägend sind für den Mythos des Wilden Westens – spektakuläre Naturkulissen inklusive. Zusammen mit Zeichner Achdé hat Jul seit 2016 das Erbe des Lucky-Luke-Schöpfers Morris (1923–2001) angetreten. Der Belgier, mit bürgerlichem Namen: Maurice De Bevere, hatte sich die Figur des einsam durch die Prärie reitenden Lucky Luke Ende der 1940er ausgedacht und verbrachte, für authentische Inspiration, mehrere Jahre in den Vereinigten Staaten. In seinem Comic-Universum um den Cowboy, „der schneller zieht als sein Schatten“, sollten sich Humor, Spannung und Gesellschaftssatire fortan stets gut vertragen.
Diese Mischung überzeugte auch Asterix-Schöpfer René Goscinny (1926–1977). Mit dem französischen Comicautor arbeitete Morris ab Mitte der 1950er über zwei Jahrzehnte eng zusammen, was der Serie zusätzlichen literarischen Tiefgang verlieh. Neben gewitzten Fantasiefiguren wie Rantanplan, dem „dümmsten Hund des Westens“, bauten die beiden immer wieder historische Persönlichkeiten in ihre Geschichten ein. Darunter Charaktere mit klarem Wild-West-Bezug wie Sioux-Häuptling Sitting Bull oder Maler und Bildhauer Frederic Remington. Aber auch Personen wie Sigmund Freud, der in „Die Daltons werden kuriert“ (1975) indirekt über den Psychoanalyse-Arzt Otto von Himbeergeist auftaucht – im Original: Otto von Bratwurst.
Mit Lucky Luke setzte Morris nicht nur der US-amerikanischen Pionierzeit ein Denkmal, sondern kommentierte durch die Augen seines Helden subtil die Absurditäten der modernen Welt. „In den frühen Jahren habe ich mich sehr an die historischen Fakten gehalten, aber später wurde mir klar, dass der Humor wichtiger ist als die Realität“, beschrieb Morris seine Arbeit 1993 in einem Interview mit der Zeitung Le Monde. Sein Stil sei dabei von den US-amerikanischen Cartoons der 1930er Jahre inspiriert gewesen. Allen voran von Tex Avery, einem Pionier des Zeichentrickfilms, dem die Welt Figuren wie Schweinchen Dick, Bugs Bunny und Droopy Dog zu verdanken hat. Von ihm schaute sich Morris auch ein Stilmittel ab, das Comics sowohl für Kinder als auch für Erwachsene unterhaltsam macht: den subtilen Humor. Bestes Beispiel hierfür ist der Einschnitt, den Morris 1983 mit dem 52. Band „Fingers“ vornahm: Kettenraucher Lucky Luke klemmte sich plötzlich keine Kippe mehr lässig in den Mundwinkel, sondern kaute Grashalm. Was die Tabakindustrie zum Seufzen brachte, freute die Weltgesundheitsorganisation – sie verlieh Morris für die radikale Zigarettenentwöhnung eine Sonderauszeichnung.
Feuerwasser wurde allerdings weiterhin getrunken im Wilden Westen des Lucky Luke. Im neuen Band reiten er und Jolly Jumper deshalb sogar bis in „Amerikas Bierhauptstadt“ Milwaukee und versuchen den Streik zu befrieden: „Im Westen hat der Biermangel dramatische Folgen. Sie müssen die Produktion sofort wieder ankurbeln“, bekommt ein Großbrauer zu hören. Der Ärger geht damit aber erst richtig los.