DIE MAHNERIN

PORTRÄT In ihren Erzählungen verarbeitet die Kanadierin Margaret Atwood ihre Kindheit in der Wildnis – und klagt Umweltzerstörung und Ungleichheit an.

Foto: Christopher Wahl/Contour/Getty Images

Dies war die wasserlose Flut, vor der die Gärtner so oft gewarnt hatten. Alles sprach dafür: Sie reiste durch die Lüfte wie auf Flügeln, sie brannte sich durch die Städte wie ein Feuer, verseuchte den Pöbel, brachte Terror und Gemetzel.“ In ihrem Roman ­„Das Jahr der Flut“ beschreibt ­Margaret ­Atwood eine todbringende Pandemie. Markenzeichen ihres Stils: eine besonders bildhafte Sprache. Nicht nur in der sogenannten MaddAddam-Trilogie, sondern auch in ihrem jüngsten Bestseller „Die ­Zeuginnen“ nutzt die kanadische Schriftstellerin ihre Sprache als Schlüssel zur Welt. Das, wo-rüber sie schreibt, nennt sie „wahrscheinliche Zukünfte“ oder „spekulative Fiktion“. Ihr Fokus dabei seit Langem: der zerstörerische Einfluss des Menschen auf die Natur – und sich selbst. Das US-Magazin New ­Yorker nannte sie jüngst eine „Prophetin der Dystopie“.

DIE SENDUNG AUF ARTE

Das Porträt „Margaret Atwood: Aus Worten entsteht Macht“ gibt es am Mittwoch, 18.3. ab 22.05 Uhr auf ARTE sowie bis 15.6. in der Mediathek

Eine Kindheit in der Wildnis Kanadas

Margaret Atwood zählt zu den umtriebigsten Schriftstellerinnen ihrer Generation, ihre Bücher verkaufen sich weltweit millionenfach. Knapp ein halbes Jahrhundert nach ihrer ersten Veröffentlichung umfasst ihr Œuvre rund 70 Werke – darunter Romane, Kinderliteratur, Lyrik, Kurzgeschichten und Essays. Für „Die ­Zeuginnen“, eine Fortsetzung des Bestsellers „Der Report der Magd“ aus dem Jahr 1985, erhielt sie 2019 den ­Booker ­Prize, die wichtigste britische Literaturauszeichnung.

1939 im ostkanadischen Ottawa geboren, packten ihre Eltern sie mit sechs Monaten in einen Rucksack und zogen mit ihr in die Wildnis: „Wir wohnten in Zelten, während unser Vater ein Haus baute“, erzählt die Schriftstellerin in der ARTE-­Dokumentation „Aus Worten entsteht Macht“. Da ihr Vater Insektenkundler war, verbrachte die Familie einen Großteil von ­Atwoods Kindheit und Jugend in einer Region des Landes, in der mehr Bären und Karibus als Menschen leben. Den neugierigen Blick auf die Natur, den sie bei ihren Streifzügen als Kind entwickelt hat, findet man bis heute in ihren Texten: „Wir Kinder, die zu jener Zeit aufwuchsen, wussten, dass jeder Setzling wertvoll war. Wir waren Teil des Systems: Wir jäteten und gossen, wir sammelten Raupen vom Kohl und von den Tomaten ab und Kartoffelkäfer. Wir vergruben Schalen, Kerne und Hülsen in der Erde“, schreibt sie in ihrem Essay „Victory Garden“. Ein paar Zeilen weiter kritisiert sie, weniger versöhnlich, das moderne Überfluss-Selbstverständnis: „Die ultimative Versorgungsquelle ist die Biosphäre, aber die schien in den 1950er Jahren noch unerschöpflich. Und so ging die Party immer weiter. Was für ein Kick, nur den halben Hamburger zu essen und den Rest wegzuschmeißen.“

Sucht man eine ähnlich leidenschaftliche Naturverbundenheit in der Literatur, landet man schnell bei Autoren der Romantik. Zu technisch und kalt empfanden sie die Welt zu Beginn der Industrialisierung; der Vormarsch der Wissenschaft war ihnen suspekt. Statt nach nüchterner Klarheit sehnten sich die Romantiker nach einer mystischen und undurchschaubaren Realität. Doch romantische Motive wie die „mondbeglänzte Zaubernacht“ von ­Ludwig Tieck oder ­Joseph von ­Eichendorffs „blaue Blume“ finden sich bei ­Atwood nicht. Ihr geht es nicht um eine verklärte Sehnsucht nach vermeintlicher Ursprünglichkeit, sondern um das nackte Überleben – von Pflanzen, Tieren und Menschen.   

In „Der Report der Magd“ beschrieb ­Atwood erstmals die Republik Gilead, eine theokratische Diktatur, die aus den Trümmern einer durch Umweltkatastrophen und Kernwaffen verwüsteten Zivilisation hervorgeht. Auch „Das Jahr der Flut“, erschienen 2009, spielt mit dem Bild des lebensfeindlichen „Waste Land“, in dem fundamentalistische Gläubige an der Macht sind. Wie real die in ­Atwoods Büchern und auch in der  2016er Serienadaption „The Handmaid’s Tale“ beschriebene Gefahr vielen Menschen erscheint, ließ sich in den vergangenen Jahren auf Kundgebungen für Frauenrechte beobachten.  Plötzlich liefen vermehrt Demonstrantinnen in den blutroten, uniformen Gewändern auf, die den unterdrückten Frauen in der Republik Gilead aufgezwungen werden.

Die Autorin selbst tritt in Interviews zwar gern für einen sehr differenzierten Umgang mit Feminismus ein – die Straßenproteste unterstützte sie aber. Mit Blick auf US-Präsident ­Donald Trump betonte ­Atwood zudem: „Jemand sollte den Republikanern sagen, dass es sich bei ,Der Report der Magd‘ nicht um eine Gebrauchsanleitung handelt.“