Schiller ist schuld. Mit „Maria Stuart“ hat er der schottischen Königin ein romantisch bemänteltes Denkmal gesetzt. 1800 in Weimar uraufgeführt, sorgt der Bühnenklassiker des Dichterfürsten bis heute dafür, dass Maria Stuart im deutschsprachigen Raum populärer ist als in ihrer Heimat. Wie Nationalheld „Braveheart“ William Wallace, Shakespeares tyrannischer „Macbeth“, Dudelsäcke und karierte Kilts gehört sie zum Kulturerbe-Fundus Schottlands, in dem sich Mythen, Fakten und Folklore munter mischen. Ein tragisches Kapitel in der Dauerfehde mit dem Nachbarn England ist das Schicksal der Monarchin aus dem 16. Jahrhundert allemal. Das ganze Ausmaß an dynastischer Rivalität, politischem Ränkespiel und tödlicher Intrige zeigt die ARTE-Geschichtsdokumentation „Krieg der Königinnen, Elisabeth I. und Maria Stuart“.
Verwandt und gleichermaßen royaler Abstammung, verliefen beider Lebenswege höchst unterschiedlich. Elisabeth I., 1533 geboren, aufgewachsen am Hof ihres skrupellosen Vaters Heinrich VIII., führte England zur Blüte. Ihre Regentschaft gilt als goldenes Zeitalter. Maria Stuart, ihre neun Jahre jüngere Widersacherin, war von Kindheit an französisch geprägt – und katholisch, was sie in England wie im zunehmend reformierten Schottland zur Außenseiterin werden ließ. An den Thronansprüchen gegenüber Elisabeth änderte das nichts, nicht einmal, als die Skandalumwitterte 1567 ihre schottische Krone absetzen musste. 20 Jahre später, nach langer Gefangenschaft und fortgesetzten Verschwörungen, endete sie auf dem Schafott. Ironie der Geschichte: Weil Elisabeth I. unverheiratet und ohne Erben starb, wurde Maria Stuarts Sohn, als Jakob VI. bereits König von Schottland, 1603 als Jakob I. – englisch: James I. – auch König von England. Trotz des Stuart-Sprosses in Personalunion auf beiden Thronen war damit der schottisch-englische Konflikt keineswegs beendet. Und sein Ursprung liegt weit vor der Zeit der unglückseligen Königsmutter Maria Stuart.
Erdgeschichtlich sind Schottland und England zwei Landmassen, die vor rund 400 Millionen Jahren aufeinanderprallten und verschmolzen. Hat es womöglich schon mit den Steinen unter ihren Füßen zu tun, dass die Inselnachbarn nicht aus einem Holz geschnitzt sind? Wohl nicht. Eine wichtige Rolle aber spiele die Besiedlung durch unterschiedliche Volksgruppen, erläutert Professor Bernhard Maier, Religionswissenschaftler an der Universität Tübingen und Autor einer 2015 veröffentlichten „Geschichte Schottlands“, im Gespräch mit dem ARTE Magazin. Kelten, Pikten und Gälen in Schottland standen die Angelsachsen in England gegenüber. Die Romanisierung vom 1. bis 5. Jahrhundert tat ein Übriges. Am Hadrianswall endete sie, was weiter nördlich lag und später überwiegend zu Schottland werden sollte, überließen die Römer sich selbst.
Der Experte verweist aber auch auf eine innerschottische Trennlinie, die die Highlands zwischen der Insel Arran im Südwesten und Stonehaven im Nordosten von den Lowlands scheidet: „Die Landschaftsstruktur hat es jeder Zentralgewalt erschwert, Institutionen unabhängig von einzelnen Personen zu etablieren.“ Vor allem mit den Highlands ist das Klischee von Schottland eng verbunden: raue Weiten und stolze Clans. „Ein romantisierendes Bild, das erst die schottischen Schriftsteller Sir Walter Scott und später Robert Louis Stevenson gezeichnet haben“, betont Maier.
Vertreibung aus den Highlands
Und das ausgerechnet in einer für Teile der damaligen Bevölkerung traumatischen Zeit. Zwei niedergeschlagenen Aufständen schottischer Katholiken, den Jakobiten, in den Jahren 1715 und 1745 folgten die sogenannten Highland Clearances: Vertreibungen durch Großgrundbesitzer, die oft in England oder den Lowlands lebten. Familienangehörige der Clans verloren ihr Pachtland, Häuser wurden zerstört, die Menschen an die Küsten deportiert, um dort als Fischer zu arbeiten. Oder sie wurden auf Auswandererschiffe etwa nach Kanada verfrachtet. In den entvölkerten Landstrichen betrieb man lukrative Schafzucht. Die Entrechtung endete erst 1886 mit dem Crofters’ Holdings Act.
Die Bestseller von Scott und Stevenson, die im Europa des 19. Jahrhunderts wahre Schottland-Begeisterung entfachten, erschienen rückblickend wie eine Kompensation für alles Weggenommene, sagt Bernhard Maier. Manche Verletzungen sind bis in unsere Zeit fühlbar, hat der Wissenschaftler beim Besuch der Gedenkstätte am Schlachtfeld von Culloden festgestellt. Dort schlugen 1746 Englands Truppen die Schotten unter Bonnie Prince Charlie vernichtend und richteten anschließend unter den Gefangenen ein Blutbad an. Gerüchtehalber, so Maier, hätte die englische Seite den Erinnerungsort später lieber aufforsten lassen.