Ein Papagei landet auf seiner Schulter, während er zu New-Wave-Musik mit einem Spachtel die Farbe auf die Leinwand schichtet. Zu sehen ist Daniel Richter, einer der einflussreichsten Künstler unserer Zeit: Der oscarprämierte Regisseur Pepe Danquart hat ihn drei Jahre lang begleitet, in seinem Atelier und bei seinen großen Ausstellungen in Paris und New York. Entstanden ist ein Dokumentarfilm, den ARTE im August ausstrahlt. Daniel Richter, der bis Mitte der 1990er Jahre in der linksautonomen Punkszene im Milieu der Hamburger Hafenstraße bei der Antifa und als Hausbesetzer aktiv war, feiert heute kommerzielle Erfolge und erzielt mit seinen Gemälden Millionensummen – sein Werk „Tarifa“ (2001) etwa ging 2020 für knapp 1,2 Millionen Pfund beim Auktionshaus Christie’s über den Tisch. Seine politische Vergangenheit und sein Ruhm mögen wie ein Widerspruch wirken; der Künstler macht daraus jedoch ein Konzept: „Daniels Thema ist die Kombination von Dingen, die sich gegenseitig bekämpfen“, so Richters dänischer Künstlerfreund Tal Rosenzweig. Inwiefern gelingt es Richter, vermeintliche Extreme zu verbinden – und was macht ihn so erfolgreich?
Geboren wurde der Künstler 1962 in Eutin. Seine Jugend verbrachte Daniel Richter in Lütjenburg in Ostholstein, wo ihn in der Mansarde seiner Großmutter die Bildwelten von Comicheften früh in den Bann zogen. Obwohl die Kleinstadt nur knapp 5.000 Einwohner hatte, fand Richter künstlerisch begabte Gleichgesinnte, darunter den Musiker Rocko Schamoni, der seine Lütjenburger Jugendzeit der 1970er Jahre in seinem literarischen Meisterwerk „Dorfpunks“ verewigte. Richter wurde zum Mitinitiator politischer Aktionen, entwarf provokante Plakate und Flugblätter. Ab den frühen 1980ern orientierte er sich schließlich zunehmend in Richtung Hamburg. Dort lebten viele seiner Freunde, darunter Ted Gaier, Mitbegründer der Punkband Die Goldenen Zitronen und des Plattenlabels Buback, für das Richter nicht nur Cover gestaltete, sondern das er 2005 auch als Inhaber übernahm, um es vor der Pleite zu bewahren. Über eine Collage für die Band Angeschissen, die an Fotografien von entstellten Kriegsheimkehrern aus dem Ersten Weltkrieg erinnert, schreibt die Kunsthistorikerin Eva Meyer-Herrmann in ihrem Bildband „Daniel Richter: Bilder von früh bis heute“: „Die in der Gestaltung der Plattenhülle spürbare Wut und der Humor sind mehr als nur Punk-Attitüde. Das Bild spiegelt die Härte der gesellschaftlichen Auseinandersetzungen wider.“ Auf seinen LP-Covern, Plakaten und T-Shirts spannte Richter den Bogen zu aktuellen gesellschaftspolitischen Themen. Seine Vergangenheit im linksradikalen, teils militanten Milieu betrachtet er inzwischen jedoch mitunter kritisch.
Die Malerei blieb für Richter in den frühen 1980ern vorerst ein Intermezzo, bis er mit 29 Jahren sein Kunststudium in Hamburg begann. Zeitgleich mit seiner ersten Einzelausstellung wurde er Mitte der 1990er Jahre exmatrikuliert. Seine frühen Zeichnungen und Gemälde, die inzwischen übermalt oder teils verschollen sind, waren figurativ. Bis heute oszilliert er zwischen Abstraktion und Figuration. Als die Akademien die Studierenden damals anhielten, so wenig wie möglich auf die Leinwand zu bringen, tat Richter das Gegenteil: Die Überfrachtung mit allem, was die Palette hergibt, wurde zum Inhalt seiner Bilder. Der Kunsthistoriker Roberto Ohrt fasste Richters Werk einmal so zusammen: „Am Anfang hatte man den Eindruck, ein Schwarm Vögel hätte sein buntes Gefieder verdaut und als farbigen Dreck auf einer Leinwand hinterlassen.“ Dicke Lagen Farbe werden übereinandergeschichtet, verschliert und verwoben. Mal überfüllt und rau, mal leicht und schlicht. Große Farbflächen treffen auf klare Konturen, Comicelemente auf psychedelische Gestalten, Gliedmaßen auf Tiere – fast so, als betrete man eine neue Dimension. „Daniel Richters Parallelwelten sind davon getrieben, Unmögliches zusammenzudenken“, so Eva Meyer-Herrmann.
In seinem Berliner Atelier arbeitet Richter meist an mehreren Leinwänden gleichzeitig, wodurch sich die Gemälde gegenseitig beeinflussen. In ihnen greift er das Weltgeschehen auf – ob „Tarifa“, das auf dreieinhalb Metern Höhe ein Schlauchboot mit Geflüchteten in der Meerenge von Gibraltar zeigt, oder „Das Recht“ (2001): ein erschlagenes Pferd als Allegorie zum Faschismus. In „Hey Joe“ (2011) stecken sich ein Taliban mit Turban und ein Cowboy vor einer Bergkulisse in Marlboro-Romantik eine Zigarette an – ein Sinnbild einer Ost-West-Freundschaft? „Im Grunde“, erklärt Daniel Richter, „nehme ich etwas Trauriges oder etwas historisch sehr determiniert Schweres und das verwandle ich in heitere Malerei.“