Das Wagner-Netzwerk

Seine Söldner kämpfen mit Waffen, seine Informationskrieger mit Worten und Bildern: Für Russland führt Jewgeni Prigoschin einen Feldzug gegen den Westen. Sein Einfluss ist groß – und reicht auch nach Deutschland.

Illustration: Jewgeni Prigoschin führt Feldzug gegen Westen (Wagner-Söldner)
Illustration: Klawe Rzeczy für ARTE Magazin

Der Leipziger Filmemacher Wilhelm Domke-­Schulz feiert derzeit mit seiner künstlerischen Dokumentation „Remember Odessa“ Erfolge – jedoch nicht in Berlin oder Venedig, wo sich die international renommiertesten Regisseure messen, sondern in Moskau und St. Petersburg. Der Film thematisiert die Zusammenstöße zwischen proeuropäischen und prorussischen Demonstranten in Odessa, bei denen im Zuge der Euromaidan-Proteste am 2. Mai 2014 knapp 50 Menschen starben. Protagonisten des Films stützen dabei das von Russland verbreitete Narrativ, dass ukrainische Nationalisten einen Genozid an der russischen Minderheit in ihrem Land begingen. Es ist eine der zentralen Begründungen ­Wladimir ­Putins für seinen Angriff auf das Nachbarland. Dass Domke-­Schulz, der den Film in Eigenregie realisiert hat, mit dem Film erfolgreich ist, hat auch mit einem Mann zu tun, der seit Russlands Überfall auf die Ukraine weltweit Bekanntheit erlangt hat: ­Jewgeni ­Prigoschin, der milliardenschwere Gründer der sogenannten Gruppe Wagner, Spitzname: ­„Putins Koch“. Seine Leute sicherten sich die Vorführungsrechte für Domke-Schulz’ Film, brachten ihn ins russische Staatsfernsehen, verschafften dem Regisseur Reichweite.

Wie die ARTE-Dokumentation „Die Wagner-Gruppe“ im Juni zeigt, kämpfen Prigoschins Söldner in der Ukraine zu Zehntausenden auf der Seite Russlands; auch in Syrien und afrikanischen Ländern sind sie im Einsatz. Der Einfluss des Putin-Vertrauten ist jedoch weitaus größer: Er fördert Politstrategen, Autoren, Blogger und Thinktanks, um weltweit mit Desinformationskampagnen und Posts in sozialen Netzwerken Stimmung zu machen. Letztlich dienen diese Bemühungen einem Ziel: die Positionen des Kreml zu legitimieren. ­Prigoschins Netzwerk pflegt auch in Europa Kontakte zu Filmemachern, Journalisten, Aktivisten und Politikern. Wie diese Vernetzung konkret funktioniert, wurde etwa am 20. Januar 2020 sichtbar: Das sogenannte Zentrum für die Erhaltung der nationalen Werte, das laut US-amerikanischem Finanzministerium „Botschaften im Auftrag von Wagner-­Chef ­Prigoschin“ verbreitet, lud einen kleinen Kreis von Männern und Frauen ins Hotel Hilton am Berliner Gendarmenmarkt. Die Organisation mit Sitz in Moskau will nach eigener Aussage weltweit „nationale Interessen“ Russlands vertreten. Ihr Präsident ist ­Alexander ­Malkewitsch, der zu diesem Zeitpunkt längst auf einer Sanktionsliste der USA stand. In Berlin wollte ­Malkewitsch über die Meinungsfreiheit in sozialen Netzwerken diskutieren. So jedenfalls besagte es der Titel der Veranstaltung. Unter dem guten Dutzend Gästen waren etwa: Filmemacher Domke-­Schulz, der AfD-Bundestagsabgeordnete ­Stefan ­Keuter und der für rechte Medien arbeitende Journalist ­Billy Six, wie ein Gruppenfoto mit dem Gastgeber belegt. Die Veranstaltung, das zeigten interne Unterlagen, wurde später über ­Jewgeni ­Prigoschins Firmenstruktur abgerechnet. Was wie eine Tagung klingt, wie sie in der deutschen Hauptstadt nahezu täglich abgehalten werden, war ein Vernetzungstreffen – und somit Teil einer russischen Einflussoperation. 

 

Mann mit aufgezogener Kapuze in dunklem Raum
Foto: Forbidden Stories/ARTE F

Die Wagner-Gruppe – Russlands geheime Söldner

Geopolitische Doku

ab Dienstag, 6.6. — 20.15 Uhr
bis 9.12. in der Mediathek

 

VON RUSSLAND HOFIERT

Nur wenige Wochen später lud Malkewitschs Zentrum Billy Six zu einer Pressekonferenz nach Russland. Six berichtete damals als freier Reporter aus den Krisengebieten in der Ost-ukraine, unter anderem für die rechte Zeitung Junge Freiheit. In Moskau sollte er sich als Experte zum Abschuss des Linienflugs MH17 im Jahr 2014 äußern, bei dem alle 298 Insassen umkamen. Six verbreitete über den Flugzeugabschuss allerlei Verschwörungstheorien und raunte von einer Verwicklung ukrainischer Streitkräfte, ohne Belege zu liefern. Interne Dokumente aus Prigoschins Firmenstruktur, über die das investigative ARTE-Format „Mit offenen Daten“ in Kooperation mit der Welt und anderen Medien berichtete, zeigen, dass Six in Moskau hofiert wurde. Das russische Zentrum rechnete die Kosten für Six’ Einladung ab. Daraus geht hervor, dass es Flug und Übernachtung übernahm sowie ein Mittagessen mit -Malkewitsch und einen Empfang organisierte.  

Es war auch das russische Zentrum, das sich die Lizenz zur Vorführung von Domke-Schulz’ Dokumentarfilm „Remember Odessa“ sicherte. Auf Anfrage bestätigte der Filmemacher, „Malkewitsch persönlich, als Privatmann, kostenlose, nicht exklusive Ausstrahlungsrechte“ in Russland übertragen zu haben. Der Film habe „aus ideologischen Gründen keinerlei Chancen“, von deutschen Fernsehanstalten ausgestrahlt zu werden, teilte er mit. Er beklagte, dass Filmen wie seinen „sämtliche herkömmlichen Finanzierungs- und Verwertungsmöglichkeiten, einschließlich Festivalauswertung, de facto versperrt“ seien. Dass sein Werk nun als Propaganda-Instrument für einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg genutzt wird, scheint Domke-Schulz nicht zu stören.

Alexej Hock ist Investigativjournalist der Welt. In einer internationalen Recherchekooperation, zu der auch ARTE gehörte, hat er über den Machtapparat der Wagner-Gruppe berichtet.  

Mit offenen Daten: Die Prigoschin-Akten

Geopolitisches Magazin

bis 29.8.26 in der Mediathek