Die Nabatäer verhalfen Steven Spielberg zu einer faszinierenden Filmkulisse. Der Regisseur ließ seinen Kinoabenteurer Indiana Jones auf der Suche nach dem Heiligen Gral zum Khazne al-Firaun, dem „Schatzhaus des Pharao“, in der jordanischen Felsenstadt Petra reiten. Die Kult- und Begräbnisstätte hatte das antike Volk der Nabatäer rund 2.000 Jahre zuvor, im ersten Jahrhundert vor Christus, aus dem roten Sandstein gehauen. Die Magie des Ortes, dazu eine sagenumwobene christliche Legende – eine Paarung wie geschaffen für den Mythos des Alten Orients, geheimnisvoll und klischeebeladen.
Und voller Widersprüche, denn die westliche, europäische Sicht auf das Morgenland schwankt zwischen romantischer Verklärung und überheblicher Verachtung. Gemeinsame kulturelle und religiöse Wurzeln hingegen werden oft ausgeblendet. Denen folgt der Berliner Islamwissenschaftler und Historiker Daniel Gerlach im ARTE-Dokumentarfilm „Der Orient – Wiege des Christentums“. Dass Gerlach dabei wiederholt, etwa in Petra, selbst im Look eines Indiana Jones unterwegs ist und zudem die Stationen an den Orientzyklus von Karl May angelehnt hat, derlei populärkulturelle Bezüge sind gewollt. Prägten doch Mays Abenteuergeschichten aus dem 19. Jahrhundert, von nachfolgenden Generationen verschlungen, das hiesige Bild der Weltregion mit. Im Kern frei erfunden, unterlegte der Sachse sie stets mit reichlich Landeskunde aus Reiseberichten anderer Autoren.
Bereits vor Mays Orient-Bänden war 1875 der erste Baedeker-Reiseführer „Palästina und Syrien“ erschienen. Die Archäologie erlebte in jenen Jahren einen Hype. Betuchte Europäer konnten ihrer Faszination für alte Kulturen beim Besuch bedeutender Ruinen-Ensembles frönen, etwa in Baalbek in der Bekaa-Ebene im heutigen Libanon. Oft seien sie jedoch „von den realen Erfahrungen enttäuscht“ worden, sagt Daniel Gerlach im Gespräch mit dem ARTE Magazin. Die Reisenden hätten die Umgebung der geschichtsträchtigen Steine vor allem als „laut und schmutzig“ empfunden, vielen sei der Orient als „wildes, irrationales Gegenstück zur westlichen Kultur“ erschienen. Besonders in Frankreich und Großbritannien habe die Vorstellung geherrscht, man müsse durch militärische Expansionen mit den eigenen Heeren für „Ordnung im Chaos sorgen“, so der Experte. Der Schutz christlicher Minderheiten und die Abschaffung der Sklaverei seien weitere Motive für Interventionen gewesen. Ein kaum versteckter Kolonialismus – und gleichzeitig der Beginn des nahöstlichen Krisen-Narrativs in Europa. Das Aufkommen einer öffentlichen Meinung mit den erstmals massentauglichen Zeitungen Mitte des 19. Jahrhunderts verengte die Perspektive auf den Nahen Osten: Der Krimkrieg, die „orientalische Frage“ und eben die „Orientkrise“ angesichts des schwächelnden Osmanischen Reichs wurden leidenschaftlich diskutiert, wodurch sich wiederum die Politik unter Druck gesetzt sah.
ABSURDE IDEE DER ABGRENZUNG
Und heute? Die Vokabeln haben sich geändert, die Vorstellung vom Nahen Osten als Krisenherd – mit religiösem Fanatismus, Kriegen und Terror – ist geblieben. Daniel Gerlach, der noch als Student vor mehr als 20 Jahren das Orient–Magazin „-Zenith“ mitgegründet hat, will den Fokus weiten, ohne etwas zu beschönigen. „Hinterfragen, kritisch berichten, aber mit Empathie“, lautet sein Credo. Die sinnlichen Seiten der Region zeigen, dieses Ziel verfolgt er auch mit dem ARTE-Dokumentarfilm. Und: die Vielfalt und das Nebeneinander der Religionen, für die der Orient allen Nachrich-ten von Verfolgung und Vertreibung zum Trotz ebenso stehe. So führt die Reise zu kaum bekannten Glaubensgemeinschaften wie den Angehörigen der Chaldäischen Kirche im nordirakischen Mossul, die zu den Orientchristen zählen. Oder zu den Mandäern, gleichfalls im Irak beheimatet, einer eigenständigen Religion mit der Taufe als zentralem Ritus. Sie berufen sich dabei auf den Propheten -Johannes, den sowohl die Bibel als auch der Koran kennen. Ihre Zeremonien halten die Mandäer in einem Dialekt des Aramäischen ab, der Sprache von Jesus. Christen, Juden, Zoroastrier, Jesiden, Drusen, Muslime: Für -Gerlach sind die Beziehungen zwischen den Religionen stets mehr oder weniger offensichtlich. Umso absurder findet er die Idee der Abgrenzung eines christlich-jüdischen Abendlands vom islamischen Orient. „Wir müssen uns nicht voreinander schützen, wir haben denselben Ursprung.“