Nachrichten aus dem Exil

Sie verließen Russland, aber sie haben einen Plan: Wie zwei Journalistinnen des zerschlagenen TV-Senders Doschd gegen Putins Propaganda-Apparat kämpfen. 

Illustration: Klawe Rzeczy

Der Kontakt kommt über Telegram zustande. Drei Monate nachdem Anna Mongyat aus Moskau fliehen musste, ist der Messenger-Dienst das wichtigste Kommunikationsmittel für die russische Journalistin und Fernsehmoderatorin: Über ihn kann sie verschlüsselte Nachrichten nach Russland verschicken und sich mit ehemaligen Kolleginnen und Kollegen des Fernsehsenders Doschd austauschen.

Knapp 150 der insgesamt 200 Redaktionsmitglieder befänden sich seit Kriegsbeginn jedoch im Exil, sagt Mongyat im Gespräch mit dem ARTE Magazin. „Unabhängige Journalisten sind in Russland nicht länger sicher“, so Mongyat. Einigen ihrer Kollegen drohten Haftstrafen für die kritische Berichterstattung über den Krieg gegen die Ukraine. In der Woche nach dem Einmarsch in das Nachbarland hatte der unabhängige Nachrichtensender Doschd, der 2014 aus dem russischen Kabel- und Satellitennetz verbannt wurde, eindringliche Bilder aus der ukrainischen Stadt Charkiw gezeigt, wo russische Truppen Krankenhäuser und Universitäten beschossen. Während das russische Staatsfernsehen – wie vom Kreml vorgegeben – von einer „militärischen Spezialoperation in der Ukraine“ berichtete, bei der keine zivilen Ziele angegriffen würden, sahen insgesamt 25 Millionen Menschen die Nachrichten von Doschd. Am 1. März sperrte die russische Medienaufsichtsbehörde die Website und die Seiten des Senders bei Social-Media-Portalen. Die Begründung: absichtliches Verbreiten von Falschnachrichten über die russische Armee.  

„Innerhalb weniger Stunden habe ich meine Koffer gepackt und das Land verlassen“, sagt Mongyat. Weil die Journalistin weiterhin unzensiert berichten wollte, gab es für die 44-Jährige keine Alterntive zur Flucht. Derzeit lebt sie in Tiflis, Georgien. „Uns war klar, dass das Staatsfernsehen gewonnen hat, als der Krieg begann“, sagt Mongyats Kollegin Masha ­Borzunova. Bevor die Moskauerin ebenfalls nach Tiflis floh, hatte sie fünf Jahre lang ihre eigene Nachrichtensendung bei Doschd: In „Fake News“ dechiffrierte Borzunova Woche für Woche die politisch gesteuerte Desinformation des russischen Staatsfernsehens. 

 

Kriegsgegner in Russland halten ein Plakat mit der Aufschrift: „Es gibt mehr Tote“. Foto: Party of the Dead/ZDF

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KAMPF GEGEN PUTINS PROPAGANDA

Sie wisse nicht, sagt Borzunova, ob die Mehrheit der Russen die Lügen des Kremls entlarvt sehen wollte. Psychologisch gesehen sei es für die Menschen einfacher, sich der Wahrheit zu verschließen und an die Propaganda zu glauben. Aufgeben wolle sie den Kampf jedoch nicht. Seit März produziert Borzunova ihr Format „Fake News“ aus dem Exil: Das Wohnzimmer ihrer Privatwohnung dient als Studio, ihr Youtube–Kanal als Plattform. Für viele ihrer knapp 400.000 russischsprachigen Abonnentinnen und Abonnenten ist ihr Kanal derzeit die einzige Quelle für unzensierte Nachrichten. „Sie zu informieren, ist meine Pflicht.“ Und auch für den Westen sei es von Interesse, zu verstehen, wie die Propagandamaschine von Wladimir Putin funktioniert. Um ein internationales Publikum zu erreichen, produziert die Journalistin deshalb erstmals eine mehrteilige englische Sonderedition ihrer Sendung: Die ARTE-Kooperation „Fake News: Doschd X ARTE Tracks“ ist ab dem 9. Juni über den Youtube-Kanal von ARTE Tracks abrufbar.

„Viele bekannte Medienschaffende organisieren sich derzeit im Exil und starten Youtube-Kanäle“, sagt Mongyat. Ihnen gehe es darum, die russische Bevölkerung nicht in dem „Informations-Vakuum“ zu belassen, das durch die Zerschlagung der unabhängigen Medien entstanden sei. Zusätzlich zu ihrem Telegram-Account, über den sie knapp 30.000 Russinnen und Russen erreicht, hat die 44-Jährige einen Youtube-Kanal gestartet: „Es ist mein kleiner, privater Fernsehsender, auf dem ich einmal pro Woche eine Rückschau auf die politischen Entwicklungen mache“, so Mongyat.

Wie lang die Youtube-Kanäle der Exilantinnen in Russland abrufbar bleiben, ist derzeit ungewiss. Während Facebook und Instagram bereits abgeschaltet wurden, ist die Videoplattform bislang noch frei zugänglich. Mongyat befürchtet aber eine Sperrung in absehbarer Zeit. „Sobald es der Regierung gelungen ist, das russische Videoportal Rutube technisch auf den neusten Stand zu bringen, werden sie Youtube blockieren“, mutmaßt die Journalistin. Ziel sei es, die Bevölkerung weiter vom Rest der Welt zu isolieren. „Das darf einfach nicht passieren.“

 

Unabhängige Journalisten sind in Russland nicht länger sicher

Anna Mongyat, TV-Journalistin