Man kann es als Warnung lesen. Das Wort „Pulp“, so wird es am Anfang des Gangsterfilms „Pulp Fiction“ (1994) eingeblendet, beschreibe eine feuchte, unförmige Masse. Aber auch: Schund, minderwertige Kulturprodukte. Ramschromane, die, billig hergestellt und verkauft, reißerische Geschichten mit holzschnittartigen Figuren erzählen. Und wer sich diesen Film von Quentin Tarantino anguckt, merkt schnell: Dem Regisseur liegen beide Bedeutungen am Herzen. Er mischt Kinokunst und Trash und spart nicht an glibberigen Details. Bald schaut man etwa seinen Hauptdarstellern Samuel L. Jackson und John Travolta dabei zu, wie sie den blutbeschmierten Innenraum eines Chevys putzen. Der Auftragskiller Vincent Vega, gespielt von Travolta, hat aus Versehen einem Mitfahrer ins Gesicht geschossen, daher die Sauerei. Nun hantieren er und sein Partner mit Reinigungsmitteln. Und streiten darüber, wer von beiden das Hirn wegmachen muss. Das ist eklig, geschmacklos – und zugleich ziemlich lustig.
Mit „Pulp Fiction“ bescherte Tarantino nicht nur Travolta eine zweite Karriere, er selbst etablierte sich praktisch über Nacht. Kaum 31 Jahre alt, bekam er die Goldene Palme in Cannes und einen Drehbuch-Oscar. Seitdem gilt er als einer der wenigen Regisseure, deren Stil man sofort erkennt. Weil seine Mittel so prägnant sind: Da ist der wilde Mix aus Genre-Elementen, von asiatischer Kampfkunst bis Italo-Western. Da sind die palavernden, ironischen Dialoge und die mitreißende Musik. Die grotesk überzeichnete Gewalt. Wenn Tarantino einen Film ins Kino bringt, was nicht besonders häufig passiert, ist das wie ein Trip in ein eigenes Universum.
Manche würden sagen: Es ist ein Abstecher in eine Welt, deren Ideale in die Jahre gekommen sind. Bei Tarantino standen Coolness und Provokation stets an erster Stelle. Politische Korrektheit eher nicht. Was bedeutet das in einer Zeit, die moralische Verantwortung in der Kunst einfordert?
Seinen letzten Film veröffentlichte Quentin Tarantino 2019, und man kann dabei schon den Eindruck bekommen, dass er ein wenig milder geworden ist. „Once Upon a Time in Hollywood“ ist eine softpopsummende Liebeserklärung an die goldenen Tage des Filmgeschäfts. Verortet im Jahr 1969, handelt er von zwei Männern im Karrieretief: Der Western-Darsteller Rick Dalton (Leonardo DiCaprio) ergattert nur noch mickrige Parts als TV-Bösewicht, sein Stunt-Double Cliff Booth (Brad Pitt) ist entsprechend unausgelastet. Dann ziehen auch noch Roman Polański und seine Frau Sharon Tate in die Villa nebenan: leichtfüßig, reich, die Stars von morgen. Natürlich wäre es aber kein Tarantino-Film, wenn nicht doch ein kleines Blutbad käme. Bald streifen die Mitglieder der Manson Family durch die Nachbarschaft.
Resoluter Umgang mit Popkultur
Dass sie bei Tarantino nicht triumphieren, ist der Kniff eines Regisseurs, der mit Vorliebe historische Ereignisse umschreibt. In „Django Unchained“ (2012) etwa metzeln Sklaven grausame Plantagenbesitzer nieder. In „Inglourious Basterds“ (2009), der im von Nazi-Deutschland besetzten Frankreich spielt, verbrennen Hitler und Goebbels in einem Pariser Kino. Immer geht es Auge um Auge – Vergeltung ist eines seiner großen Motive. Man hat Regieführenden gerne einen Allmächtigkeitskomplex unterstellt, weil sie so gerne Schicksal spielen. Bleibt man im Bild, ist Tarantino der Gott des Gemetzels.
So oder so gehört es zu seiner Legende, dass er schon als kleiner Junge vernarrt in das Kino war. Wie wurde dieser Mann, geboren 1963 in Knoxville, Tennessee, zum vielleicht berühmtesten Filmnerd der Welt? In erster Linie wohl durch einen resoluten Umgang mit Popkultur. Mit seiner jungen Mutter wuchs Tarantino größtenteils außerhalb von Los Angeles auf. Weil ihr die Betreuungsoptionen fehlten, nahm sie ihn dauernd mit ins Kino – pragmatische Kindererziehung nach Art der 1970er Jahre. Offenbar keine Seltenheit – Joan Didion, so steht es im Buch „Notes to John“, schaute den Horrorfilm „Die Nacht der lebenden Toten“ (1968) gemeinsam mit ihrer damals siebenjährigen Tochter. Obwohl Tarantino also im Grundschulalter brutale Streifen wie „Dirty Harry“ (1971) oder „Der Pate“ (1972) sah, verstörte ihn angeblich kein Film so sehr wie „Bambi“ (1942): wegen der überraschenden „Wendung ins Tragische“, wie er in seinem Buch „Cinema Speculation“ schreibt.
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Gab es einen Film, den ich nicht ertragen konnte? Ja. ›Bambi‹