Umgeben von der Savannenlandschaft Kenias liegt der Lake Baringo – einer der beiden größten Süßwasserseen des ostafrikanischen Grabenbruchs. Während Flamingos, Flusspferde und Krokodile dort die Ufer bevölkern, ist eine noch imposantere Tierart nahezu verschwunden: die Rothschild-Giraffe. Nur noch wenige Individuen leben in der Umgebung des Sees – zu wenige, um eine stabile Population zu erhalten. Ein ambitioniertes Projekt der kenianischen Naturschutzorganisation Ruko Community Conservancy soll dem entgegenwirken: Acht Giraffen, gezielt ausgewählt aus dem Hochland im Westen Kenias, sollen in das Schutzgebiet am Baringo-see umgesiedelt werden. Es ist ein über Jahre vorbereitetes Projekt zur Wiederherstellung des empfindlichen Gleichgewichts der Natur – mit ökologischer, sozialer und kultureller Bedeutung.
Die Rothschild-Giraffe zählt zu den am stärksten gefährdeten Unterarten der Spezies. Schätzungen zu- folge leben heute nur noch weniger als 2.000 Exemplare, die sich auf Uganda und vereinzelte Gebiete Kenias verteilen. Die massive Reduktion ihres Lebensraums, zunehmende Dürreperioden, Überflutungen und Wilderei haben den Bestand in den zurückliegenden Jahrzehnten drastisch schrumpfen lassen. Ihre Gefährdung bleibt jedoch häufig unbeachtet – während Elefanten und Nashörner im Zentrum internationaler Schutzkampagnen stehen, erleben Giraffen eine schleichende Auslöschung.

REGIONAL DIFFERENZIERTER SCHUTZ
Dabei wurde erst 2016 durch genetische Untersuchungen bekannt, dass es sich bei Giraffen nicht um eine einzige Art handelt, sondern um vier genetisch deutlich getrennte Arten, die sich nicht natürlich miteinander fortpflanzen. Diese neue Klassifizierung verschärfte den Handlungsdruck: Die Schutzmaßnahmen müssen regional differenziert, genetisch fundiert und langfristig angelegt sein.
Die Vorbereitung der Giraffen für den Transport an den Baringo-see erfolgte unter strengen Bedingungen. Veterinärmedizinische Teams und Wildtierexperten des Kenya Wildlife Service koordinierten die Verladung der Tiere – ein komplexer Vorgang, bei dem jedes Detail zählt und die Zeit drängt. „Das Herz-Kreislauf-System der Giraffen ist hochsensibel: Sie haben einen extrem hohen Blutdruck, um das Gehirn über ihren bis zu zwei Meter langen Hals hinweg zu versorgen“, sagt Therese Engels, Regisseurin der ARTE 360°-Reportage. Sie hat die Umsiedlung der Giraffen in Kenia begleitet. „Unter Narkose gerät das ganze System in eine Dysbalance – längeres Liegen kann lebensgefährlich werden“, erklärt Engels. Nach einer kurzen Sedierung wurde jedes Tier von rund einem Dutzend Helfenden mit Seilen in einen Transporter mit extra hohen und nach oben hin offenen Rampen geleitet – und in eine Quarantänestation gebracht. Von dort startete die mehrtägige Fahrt an den Baringo-see. „Die Straßenverhältnisse waren ziemlich abenteuerlich. Starke Regenfälle und ungesicherte Stromleitungen haben den Transport zusätzlich erschwert, man musste ständig improvisieren“, berichtet Engels im Gespräch mit dem ARTE Magazin.
Dass das Artenschutzprojekt Teil einer Versöhnungskampagne ist, haben Engels und ihr Drehteam vor Ort ebenfalls erlebt. Der Hintergrund: Das Schutzgebiet am Baringo-see wurde 2008 als Antwort auf jahrzehntelange Konflikte zwischen zwei lokal ansässigen Gemeinschaften gegründet – den halbnomadischen Pokot und den am See lebenden Ilchamus. Über Generationen hinweg gab es erbitterte Auseinandersetzungen um Weideflächen, Wasserquellen und Vieh. Erst durch den Aufbau einer gemeinsam verwalteten Naturschutzorganisation entstand ein Raum für Dialog – mit der Giraffe als Symboltier für den Frieden. Die Ruko Community Conservancy steht seither exemplarisch für eine neue Form des kooperativen Naturschutzes in Ostafrika: Die Tiere gehören den Gemeinschaften, ihre Pflege und ihr Schutz wird kollektiv organisiert, und die darüber generierten Einnahmen – etwa aus dem Ökotourismus – fließen direkt in die Region zurück.
Als die Giraffen schließlich in ihrer neuen Heimat am Baringo-see eintrafen, war die Stimmung der Menschen sichtlich euphorisch. Auf einem Willkommensfest wurde getanzt und gesungen, zudem gab es ein sogenanntes Peace Meeting, auf dem Angehörige der Pokot und der Ilchamus Informationen über ihr gemeinsames Projekt erhielten. „Viele der Menschen hatten noch nie eine Giraffe gesehen“, sagt Engels. „Sie verbinden mit den Tieren nun vor allem: Hoffnung.“
Giraffen sind wahnsinnig schön. Ihre Augen sind zum Verlieben





