Was Kunst und Liebe gemeinsam haben

Christian Petzold nimmt in seinem vielschichtigen Beziehungsdrama „Roter Himmel“ Künstler-Attitüden aufs Korn – wird das Unheil sie einholen?

Filmszene aus Roter Himmel, zwei Menschen halten die Köpfe aneinander
In einem heißen Sommer kommen vier junge Leute in einem Ferienhaus an der Ostsee zusammen: Leon (Thomas Schubert) und ­Felix (­Langston Uibel), zwei Freunde seit Kindertagen, sowie Nadja (Paula Beer) und Devid (Enno ­Trebs). Bald spitzt sich die Situation dramatisch zu – es kommt zu einer Katastrophe. Foto: Schramm Film / ZDF

Endlich Sommer! Die Freunde Leon (­Thomas ­Schubert) und ­Felix (­Langston ­Uibel) sind auf dem Weg zur Ostsee. Sie wollen Zeit verbringen im Haus von Felix’ Familie, das einsam in einem Wäldchen beim Ostseebad Ahrenshoop gelegen ist. Die Bäume spiegeln sich in der Autoscheibe des geliehenen Mercedes, mit dem die beiden jungen Männer unterwegs sind, im Autoradio läuft ein melancholisch-sanfter Song der österreichischen Indie-Band Wallners: „In my Mind“. So weit, so idyllisch.

Doch quieken da nicht Wildschweine angstvoll im Dickicht? Rotieren Hubschrauber dicht über den Baumkronen? Stockt der Motor des Autos? Leon nimmt die Vorboten des Unheils nicht einmal wahr und stellt mürrisch die Musik lauter. ­Felix hingegen ist alarmiert: „Da stimmt was nicht“, sind die ersten Worte, die in Christian ­Petzolds Film „Roter Himmel“­, den ARTE im August ausstrahlt, gesprochen werden – und sie setzen den Ton für das, was noch kommen wird.

Roter Himmel

Drama

Freitag, 29.8. — 20.15 Uhr
bis 27.9. auf arte.tv 

Nach „Undine“ von 2020, einem mystischen Großstadt-Wassermärchen mit romantischen Motiven, ist „Roter Himmel“ eine Große-­Ferien-­Landpartie nach französischem Vorbild: Junge Leute, die plaudernd und Wein trinkend im Freien sitzen, flirten, Spaß haben und wie nebenbei sich selbst entdecken. Nouvelle-­Vague-­Meister ­Éric ­Rohmer und sein unvergesslicher Film „Sommer“ von 1996 lassen grüßen. Doch das ist nur eine Facette von „Roter Himmel“. Seit den eher unbeschwerten 1990er Jahren ist die Welt durch die Auswirkungen des Klimawandels, die Pandemie und diverse Kriege eine andere geworden. Und ­Christian ­Petzold wäre nicht der feinnervige Regisseur, der er ist, wenn er den Themen und Fragen der Gegenwart mit einer eskapistischen Sommer-­Elegie ausweichen würde.

Stattdessen nimmt sein Film die Bedrohung unmittelbar auf. Der Wald im ostdeutschen Urlaubsparadies brennt, das Feuer nimmt apokalyptische Ausmaße an. Es hat seit Wochen nicht geregnet, die Natur ist aus den Fugen. Vor diesem Hintergrund entfaltet sich nun ein menschliches Drama, das aber zugleich Platz für Komik und fein beobachtete Bildungsbürger-Kritik lässt.

Im Sommerhaus wartet eine Überraschung auf die beiden Jungs: Sie sind nicht allein. Die Fenster stehen offen, die Rotweingläser und die Lasagne vom Vorabend stehen noch auf dem Tisch, die Waschmaschine läuft. Mit ­Nadja (­Paula Beer) wohnt ein weiterer Gast im Haus. Sie arbeitet tagsüber als Saisonkraft in einem Hotel, geht nachmittags im roten Kleid pfeifend Wäsche aufhängen – ein schönes Rohmer-­Zitat, vor fast 30 Jahren war das Pfeifen allerdings noch der männlichen Hauptfigur vorbehalten – und hat nachts für alle gut hörbaren Sex mit dem örtlichen Rettungsschwimmer ­Devid (Enno Trebs). Während Felix sich mit seiner offenen Art sofort mit der neuen Situation arrangiert, ist die schöne junge Frau für den ungelenken Leon eine emotionale und erotische Irritation. Seine Überforderung versucht er fortan mit Überheblichkeit zu kaschieren. Er tituliert sie ihres Vornamens wegen abfällig als „Russin“, ihren Liebhaber nennt er „Bademeister“, und als dieser die kleine Gesellschaft abends mit einer pointierten Geschichte unterhält, stellt er ihm so lange arrogante Fragen, bis die Situation ungemütlich wird.

Ein Mann sitzt mit verschränkten Armen am Meer
Aufruhr: Ein Waldbrand ist ausgebrochen und frisst sich langsam an ihr Feriendomizil heran. Ein Grund zur Beunruhigung? Eigentlich hat Leon (Thomas ­Schubert) nur Augen für ­Nadja (­Paula Beer), was er aber nicht zugeben will. Sein größtes Problem ist ohnehin, dass sein Traum von der Schriftstellerkarriere zu scheitern droht. Foto: Schramm Film / ZDF

Mit freundlichem Spott nimmt ­Christian ­Petzold hier einen bestimmten Künstler-Habitus aufs Korn. Leon ist ein Möchtegern-Schriftsteller mit entsprechender Attitüde: die Kleidung schwarz, die Laune schlecht, die Zigaretten selbst gedreht. Selbstredend macht er nicht etwa einfach nur Urlaub, sondern arbeitet an seinem zweiten Roman, zumindest gibt er das vor. Das Problem dabei: Der Roman taugt nichts, auch weil Leon viel zu sehr mit sich selbst und seinem Dünkel beschäftigt ist, um echte Kunst zu schaffen. Zu diesem Schluss kommt auch sein eigens anreisender Verleger, den ­Matthias Brandt als sanftmütigen Intellektuellen spielt. Er findet so ziemlich alles interessanter als Leons Manuskript – die Fotoserie von Felix, mit der er sich an der Kunsthochschule bewerben will, das Lieblingsgedicht von ­Nadja, die zu Leons Erstaunen in Wahrheit Literaturwissenschaftlerin ist und nur nebenbei im Hotel jobbt.

Der Österreicher Thomas Schubert, der 2011 als 18-Jähriger von Karl ­Markovics für dessen Film „Atmen“ entdeckt wurde und zusammen mit Matthias Brandt in der Serie „King of Stonks“ zu sehen war, spielt diesen Leon als urkomisch an sich selbst scheiternden Helden. Allein sein Repertoire von Gesichtsausdrücken ist phänomenal: mürrisch, genervt, angewidert, unglücklich, apathisch. Während seine Freunde nachsichtig mit ihm und seinen Schwächen umgehen, steht er sich vor allem selbst im Weg. Um wirklich etwas zu erzählen zu haben, müsste er anfangen, die Welt und die Gefühlslagen der Menschen um sich herum wahrzunehmen.

Trotz seiner ernsten Aspekte ist „Roter Himmel“ der bisher lockerste und lustigste Film von ­Christian ­Petzold, der bereits sechs Mal auf der Berlinale vertreten war und für diesen Film 2023 mit dem Großen Preis der Jury und dem Silbernen Bären ausgezeichnet wurde. „Roter Himmel“ ist eine ebenso kluge wie warmherzige Meditation über das Entstehen von Kunst – und darüber, wie sie in Krisenzeiten Trost und Halt spenden kann. Auch wenn die Herzen brennen – und die Welt leider ebenfalls.

Zur Person:
Christian Petzold, Regisseur

Der 1960 geborene Regisseur wird der „Berliner Schule“ zugerechnet und gilt als einflussreicher Filmemacher seiner Generation. Seine Filme, u. a. „Yella“ (2007), „Barbara“ (2012) und „Transit“ (2018), sind preisgekrönt.

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