»Nicht nur ein Trend«

Shannon T. Lewis ist Teil einer Künstlergeneration, die zu Emanzipation und Perspektivwechseln beiträgt. Ein Atelierbesuch.

Shannon T. Lewis vor ihren Werken
In der westlichen Welt hat die Aufmerksamkeit für schwarze Kunstschaffende deutlich zugenommen. Mit ihren Porträts, die seit 2018 in der National Gallery hängen, sind Michelle und Barack Obama das erste schwarze Präsidentenpaar, das dort vertreten ist. Sie gelten als Wegbereiter einer heute international gefeierten Künstlergeneration, zu denen Peter Uka, Shannon T. Lewis und Michael Armitage zählen. Was zeichnet ihre Arbeit aus? Foto: Evan Jenkins / Courtesy the artist and Mariane Ibrahim

Als im Februar 2018 die Porträts von ­Barack und ­Michelle ­Obama enthüllt werden, zieht nach 43 Vorgängern das erste schwarze Präsidentenpaar in die National Portrait Gallery in Washington D.C. ein – und mit ihnen die ersten afroamerikanischen Kunstschaffenden, Kehinde ­Wiley und ­Amy ­Sherald. Dass an den Wänden westlicher Museen vor allem die Arbeiten weißer Künstler hingen, wurde lange als selbstverständlich hingenommen. Heute sind die Werke schwarzer Kunstschaffender sehr beliebt, wie die Dokumentation „Yes We Can: Die neue Schwarze Malerei“ zeigt. Hautfarbe allein sollte aber nicht als Label dienen, fordert die Künstlerin ­Shannon T. ­Lewis im Gespräch mit dem ARTE Magazin in ihrem Berliner Atelier.

Yes We Can: Die neue Schwarze Malerei

Kunstdoku

Sonntag, 2.7. — 16.55 Uhr
bis 29.9. in der Mediathek

ARTE Magazin Frau Lewis, welche Themen behandeln Sie in Ihren Kunstwerken?

SHANNON T. LEWIS Das zentrale Thema meiner Arbeit ist Mobilität. Mir ist zudem wichtig, das Schwarzsein und vor allem schwarze Frauen allgegenwärtig zu machen. Da ich einen Migrationshintergrund habe, geht es in meinen Werken viel um das Verhältnis zwischen Heimat und Fremde und die Frage, wie man sich in verschiedenen Räumen präsentiert. Für meine Familie war Trinidad immer die Heimat, obwohl wir in Kanada lebten. Sie wurde mir durch die Erinnerungen anderer vermittelt. Als ich nach London zog, fühlte ich eine seltsame Vertrautheit. Erst in Berlin wurde mir klar, wie stark meine Mentalität durch anglophone und kolonialistische Ideen geprägt war. Migration hat auch damit zu tun, sich von einem Ort zu entfernen, um ihn zu verstehen. Ich versuche, diese unsichtbaren Strukturen herauszuarbeiten.

ARTE Magazin Woher nehmen Sie Ihre Inspiration?

SHANNON T. LEWIS Ich beziehe Fragmente meiner Arbeit aus Mode- und Architekturmagazinen, weil mich die darin verwendeten Codes und Strukturen interessieren. Man kann so gesellschaftliche Rollen gut herauslesen. Ich schneide Magazinbilder und Fotos aus und füge sie neu zusammen. Meine Ausschnitte sind eine Art Kultur-Recherche der zurückliegenden 30 Jahre. Es kann sein, dass ich ein Bild jahrelang mit mir herumtrage und plötzlich denke: Hier ist der Platz dafür. Ich nutze Collagen, um neue Verbindungen, neue Synapsen zu schaffen. Manche Bruchstücke kennt man womöglich aus der Werbung, das schafft ein Gefühl der Vertrautheit. Oder man denkt: Habe ich ein Déjà-vu? Auf diese Weise spiele ich mit den unbewussten Archiven der Betrachtenden.

ARTE Magazin Konnten Sie in all den Jahren einen Wandel in der Darstellung der Magazine feststellen?

SHANNON T. LEWIS Definitiv! Als ich etwa zehn Jahre alt war, habe ich Zeitschriften nach Bildern von Schwarzen durchforstet. Ich weiß noch, wie ermüdend es war, überhaupt jemanden zu finden. Im Laufe der Zeit wurden es aber immer mehr. Viele Vertreter der Modeindustrie wie ­Bethann ­Hardison, ­Naomi ­Campbell und ­Edward ­Enninful haben beispielsweise laut über die Macht der Repräsentation gesprochen. Interessant ist, dass die Entwicklung nicht linear verläuft. So finde ich heute noch mehr schwarze Models in der italienischen oder britischen Vogue als in der US-amerikanischen. Auch Körperformen und Hauttypen haben sich verändert. Es gibt jetzt eine große Bewegung für mehr Diversität, und es ist schön, das zu verfolgen.

ARTE Magazin Gab es Ihrer Meinung nach einen Auslöser für die zunehmende Sichtbarkeit schwarzer Kunstschaffender?

SHANNON T. LEWIS Ich bin mir nicht sicher, ob es diesen einen Anlass gab. Viele Künstler und Aktivisten setzen sich seit geraumer Zeit damit auseinander. Vielleicht war es eher ein Schneeballeffekt, bei dem verschiedene Stränge zusammengekommen sind. Die #BlackLivesMatter-Proteste in den USA nach dem Tod des Afroamerikaners ­George Floyd im Jahr 2020 haben das Thema sicher noch mehr in den Blickpunkt des Mainstreams gerückt. Viele Leute haben sich umgeschaut und gefragt, inwiefern ihnen eine Menge Geschichten entgehen. Hoffentlich ist diese Entwicklung nicht nur ein vorübergehender Trend – sondern etwas, das wir uns immer wieder fragen: Wen lassen wir außen vor? Welcher Kontext fehlt mir? Häufig sind wir so sehr in Gewohnheiten gefangen, dass wir vergessen, dass wir die Macht haben, etwas zu verändern.

ARTE Magazin Welcher Künstler oder welche Künstlerin symbolisiert für Sie den Beginn dieses neuen Kapitels?

SHANNON T. LEWIS Für mich sticht Kara Walkers Arbeit absolut heraus. Sie stellte in den 1990er Jahren die Weichen, öffentlich über unbequeme rassistische Dynamiken zu sprechen. Sie war ein Katalysator und hat mir gezeigt: Es gibt Raum dafür, ungemütlich und ehrlich zu sein – und dass man nicht zwingend nach denselben Regeln spielen muss, die vor einem da waren.

ARTE Magazin Sollte man „Schwarze Kunst“ überhaupt als eine Art Genre verstehen – oder trägt das zur Ausgrenzung bei?

SHANNON T. LEWIS Was wäre das für ein Genre? Schwarze Kunst hat eine so lange Geschichte, Generationen von Künstlerinnen und Künstlern haben derart unterschiedliche Werke geschaffen. ­Kara ­Walker ist bei Weitem nicht dasselbe wie ­Romare ­Bearden. Schwarze Kunst in der Karibik kann etwas völlig anderes sein als in den USA, in Europa oder in Afrika. Für mich wäre das zu weit gefasst, um eine wirkliche Bedeutung zu haben.

ARTE Magazin Inwiefern müssen sich Kunstinstitutionen noch wandeln, um Diversität in der Kunst abzubilden?

SHANNON T. LEWIS Ein Hindernis ist, dass viele Betreiber einfach zu wenige schwarze Künstler kennen – wir sind nicht Teil ihrer Ausbildung. Wir brauchen Kuratoren, die ein breiteres Spektrum mitbringen. Es gibt aber erfolgreiche Beispiele, die den Kontext der Diskussion gut einfangen: Im Musée d’Orsay in Paris habe ich 2019 die großartige Ausstellung „Le modèle noir“ gesehen. Oder das Metropolitan Museum of Art in New York mit „Fictions of Emancipation“. Institutionen, die etwas ändern wollen, sollten Kuratoren ansprechen, die diesen Weg bereits gehen.

Zur Person
Shannon T. Lewis, Künstlerin
Die 1981 geborene Kanadierin karibischer Abstammung wird von der Galerie ­Mariane ­Ibrahim vertreten und lebt in Berlin. Ihre surrealistischen Werke werden international ausgestellt.

Nah dran
»Treffpunkt Atelier«
Milena Bürki, Redakteurin:
„Als ich mit Shannon T. Lewis zwischen unfertigen Werken in der Atelierküche sitze, erzählt sie von den Weinabenden, die sie hier mit Freunden hat – und man wünscht sich direkt auf ihre nächste Gästeliste.“