Kampf um die Macht am Kap

Kann der ANC bei den Parlamentswahlen im Mai die absolute Mehrheit verteidigen? Analysten sehen die Zukunft Südafrikas mit Sorge.

Afrikanische Frauen, Mänmer und Kinder zwischen bunten Wellblechdächern
Vor der Wahl: Nach 30 Jahren könnte der ANC die absolute Mehrheit in Süd­afrika verlieren – die Entscheidung fällt am 29. Mai. Foto: Nic Bothma / picture alliance / dpa

Für John Steenhuisen, Chef der größten Oppositionspartei Südafrikas, Democratic Alliance (DA), gibt es nichts zu beschönigen. „Unser Land steckt in einer tiefen Krise“, adressierte der Politiker sein Publikum auf einer Wahlkundgebung in Johannesburg im Februar dieses Jahres. Die DA habe jedoch „die passenden Rezepte“ für das Land, versicherte er. Auf der Agenda seiner Partei: zwei Millionen zusätzliche Arbeitsplätze schaffen, die Strom- und Wasser­versorgung sichern, die Verbrechensrate halbieren – und die Korruption wirkungsvoll bekämpfen. Bei den Parlamentswahlen Ende Mai rechnet sich ­Steenhuisen gute Chancen aus.

Neben der DA treten mehr als ein Dutzend Parteien an, die dem seit 30 Jahren mit absoluter Mehrheit regierenden African National Congress (ANC), der Partei des 2013 verstorbenen Friedensnobelpreisträgers ­Nelson ­Mandela, Stimmen abluchsen wollen – ein Sammelsurium politischer Positionen, von den ultralinken Economic Freedom Fighters (EFF), die am liebsten alles verstaatlichen würden, bis zur uMkhonto we Sizwe, dem ehemaligen bewaffneten Arm des ANC, einem Bündnis strammrechter Getreuer des Ex-Präsidenten ­Jacob ­Zuma.

Südafrika – Wie Korruption ein Land ausplündert

Gesellschaftsdoku

Dienstag, 9.4. — 21.50 Uhr
bis 8.5. in der Mediathek

Die Lage in der einstigen Regenbogen-Nation ist alarmierend. Mafiöse Organisationen haben – teils mit Wissen des ANC – den Staatsapparat und die Verwaltung, aber auch Versorger wie den Stromkonzern Eskom sowie einige große Bergbaukonzerne unterwandert, sabotiert und finanziell massiv geschädigt. Die Folge: „Südafrika droht ein rapider Verfall des ohnehin strapazierten gesellschaftlichen Zusammenhalts“, sagt ­Ulf ­Engel, Leiter des Forschungsprojekts Politischer Populismus im Südlichen Afrika an der Universität Leipzig. Der Politologe schließt nicht aus, dass die Rivalen des ANC bei den Wahlen im Mai so stark zulegen könnten, dass eine Koalitionsregierung gebildet werden muss. Das wäre die Quittung dafür, dass es dem amtierenden Präsidenten ­Cyril ­Ramaphosa bislang nicht gelungen ist, den 2019 von ihm angekündigten Reformkurs konsequent umzusetzen.

Monatelang demonstrierten die Menschen voriges Jahr gegen die Politik des ANC, da es ihnen an vielen lebenswichtigen Dingen mangelte, etwa an Wasser. Im September 2023 teilte der staatliche Versorger Johannesburg Water mit, dass in der Millionenmetropole jeden Tag zwei Milliarden Liter Wasser fehlten; Brände konnten oft nicht gelöscht werden, die Hygiene­bedingungen in vielen Townships sind nach wie vor katastrophal.
In anderen Städten sieht es ähnlich aus: Kapstadt, Durban und sogar die Hauptstadt Pretoria – überall herrscht Wassermangel. Zudem fällt in weiten Teilen des Landes immer wieder der Strom aus oder wird rationiert. Marode Infrastruktur, Korruption, Diebstahl: Die Ursachen der fortwährenden Stromknappheit sind vielfältig, die Verantwortlichen meist schwer zu fassen.

Das zeigt auch die Dokumentation „Süd­afrika – Wie Korruption ein Land ausplündert“, die ARTE im April ausstrahlt. Organisierte Banden „melken das Land seit Jahren systematisch“, beklagt die Juristin ­Thuli ­Madonsela, bis 2016 nationale Ombudsfrau in Südafrika und eine der entschiedensten Kämpferinnen gegen das sogenannte State Capture: die Plünderung des Landes. Wer sich den Gangstern in den Weg stellt oder – wie der ehemalige Eskom-­Vorstandschef ­André de ­Ruyter – dem kriminellen Treiben ein Ende bereiten will, wird kaltgestellt. Nur knapp überlebte de ­Ruyter im Dezember 2022 ein Attentat, bei dem er mit Zyanid vergiftet wurde. Anfang 2023 stieg er bei ­Eskom aus und verließ das Land.

Nicht nur ein großer Teil der Bevölkerung leidet unter den Zuständen; Südafrikas Außenhandel ist ebenfalls betroffen – und damit auch die 2023 vereinbarte, laut Bundeswirtschaftminister ­Robert ­Habeck wichtige Energiepartnerschaft mit Deutschland. „Es ist schwer vorstellbar, dass Südafrika in naher Zukunft imstande sein wird, fossilfrei produzierten grünen Wasserstoff zu exportieren, wie es das Abkommen vorsieht“, sagt Fausi ­Najjar, Analyst bei German Trade & Invest, der Außenwirtschaftsagentur des Bundes, im Gespräch mit dem ­ARTE ­Magazin. Die nötige Infrastruktur sei dort ebensowenig vorhanden wie die Produktionsstätten.

Hinzu kommt: Ob die für den Aufbau des Industrie­zweigs erforderlichen Gelder jemals fließen, ist angesichts von Südafrikas schlechtem Kredit-Rating fraglich. Erst jüngst haben drei große Rating-Agenturen ihre Bewertungen nach unten korrigiert, wodurch es für Südafrika schwieriger geworden ist, am Kapitalmarkt Kredite zu bekommen. Denkbar sei, so ­Najjar, „dass andere Länder, etwa China oder Indien, die Situation nutzen, um ihren wirtschaftlichen Einfluss am Kap weiter auszubauen“.

Südafrika droht ein rapider Verfall des gesellschaftlichen Zusammenhalts

Ulf Engel, Politologe und Afrika-Experte an der Universität Leipzig