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KLANGKUNST Stanley Kubrick war auch ein Pionier der Filmmusik. Bei großen Komponisten fand der Regisseur originelle Lösungen für seine erzählerischen Ideen.

Illustration: Julian Rentzsch

Der britische Komponist Frank ­Cordell sah sich im Jahr 1966 mit einer schwierigen Aufgabe konfrontiert. Er sollte einen Soundtrack für den Science-­Fiction-­Film „2001: Odyssee im Weltraum“ (1968) von ­Stanley ­Kubrick schreiben, die Adaption eines Romans von ­Arthur C. ­Clarke. Allerdings weigerte sich ­Kubrick, ­Cordell irgendwelche Bilder zu zeigen. Er gab nur einen Hinweis: Nach Möglichkeit sollte die Filmmusik so ähnlich klingen wie Mahlers Dritte Symphonie. ­Cordells Bemühungen erwiesen sich als vergeblich. Schlägt man heute nach, findet man bei „2001“ unter Filmmusik eine Ansammlung illustrer Namen: ­Györgi ­Ligeti, ­Aram ­Chatschaturjan sowie ­Richard und ­Johann Strauss. Den von ­Cordell findet man nicht. Was man inzwischen als einen der berühmtesten Filme aller Zeiten kennt, war auch ein Wendepunkt in der Geschichte der Filmmusik. ­Kubrick brachte in seinem Werk nicht nur Raumschiffe zum Tanzen, sondern auch unterschiedlichste musikalische Traditionen zum Klingen.
Davor war vor allem in Hollywood folgende Vorgehensweise üblich: Ein Komponist vertonte einen Film, indem er eine Partitur schrieb, die dann von einem Orchester eingespielt wurde. Auch ­Kubrick hatte das so gehalten. Zu „Spartacus“ (1960) schrieb ­Alex North eine bombastische, stellenweise lyrische Musikuntermalung, zu „Lolita“ (1962) gibt es ein berühmtes Thema von Bob ­Harris. Für die Reise aus der Steinzeit zum Mond und dann über den Jupiter hinaus ins Unendliche, von der „2001“ erzählt, bedurfte es dann aber einer unorthodoxen Vertonung. Und Kubrick fand sie in der Musikgeschichte. Er griff auf einige der berühmtesten Werke aller Zeiten zurück: „Also sprach Zarathustra“ von ­Richard Strauss und den Walzer „An der schönen blauen Donau“ von ­Johann Strauss, eingespielt von ­Herbert von ­Karajan.
Was der Exzentriker ­Stanley ­Kubrick damals etablierte, ist heute gang und gäbe: Kinoerzählungen werden häufig von einer kundigen Musikauswahl begleitet. Manche Regisseure wie Wim ­Wenders oder Wes ­Anderson sind regelrechte Feingeister mit ihren Playlists. An dem Niveau, auf das ­Kubrick das musikalische Gedächtnis der Menschheit in den Dienst seiner Geschichten stellte, müssen sich jedoch alle bis heute messen lassen. Was er bei „2001“ entdeckt hatte, verfeinerte er in der Folge. Besonders gut zeigt sich dies bei seinem Kostümfilm „Barry Lyndon“ (1975). Dieser spielt im 18. Jahrhundert und basiert auf einem Roman von ­William ­­Thackeray aus dem 19. Jahrhundert. Der Held ist ein junger irischer Landadliger, der sich in den Wirren des Siebenjährigen Krieges so manchen Vorteil zu verschaffen weiß und vorübergehend mit einer reichen Gräfin glücklich wird, bevor er im zweiten Teil mit dem Titel „Unglück und Katastrophen“ von eben diesen heimgesucht wird.

Barry Lyndon

Historiendrama
Sonntag, 12.4. • 20.15 Uhr

Detailfanatiker und Weltenverbinder
In diesem Fall war Kubrick sehr daran gelegen, mithilfe der Musik – wie auch der Kostüme – die historische Epoche heraufzubeschwören. Er ließ sich Listen von italienischen Opern erstellen, die man im England des 18. Jahrhunderts, zur Zeit von ­Georg ­Friedrich ­Händel, im Repertoire hatte. Das bekannteste Motiv ist ­Händels Sarabande. So steht diese am Beginn von „­Barry ­Lyndon“ und eröffnet auch das Tribute-Konzert der Philharmonie von Radio France, mit dem ARTE im April ­Stanley ­Kubricks Filmmusik gedenkt. Mit dem Klaviertrio von ­Schubert und einer Cello-Sonate von ­Vivaldi folgen weitere zentrale Teile des Soundtracks von „­Barry ­Lyndon“. Wobei ­Schubert streng genommen nicht in die Epoche der Romanhandlung gehört, sondern in die des Autors ­Thackeray.
Da sich das Konzert auf die klassische Musik aus „­Barry ­Lyndon“ konzentriert, sollte ein anderer wesentlicher Aspekt von ­Stanley ­Kubricks kuratorischer Arbeit für diesen Soundtrack noch eigens Erwähnung finden: Er verwendete bei vielen Szenen Volksmusik aus Irland und England, genauer gesagt: populäre Musik jener Zeit, die schriftlich überliefert wurde und die er von der Band „The ­Chieftains“ einspielen ließ. So findet sich gerade in „­Barry ­Lyndon“ bereits jene Verbindung von Hochkultur und Popkultur, die zum Kino als einem Massenmedium von Beginn an gehörte. Belohnt wurde dieser musikalische Einsatz mit einem Oscar für die beste Filmmusik. Die Verbindung selbst musikalisch unterschiedlichster Welten wurde zu ­Kubricks Markenzeichen. In „Uhrwerk Orange“ (1971) mischte er ­Beethovens Neunte und das Hollywood-Musical „Singin’ in the Rain“, einen Marsch von ­Elgar und Synthesizerklänge von ­Wendy ­Carlos. In seinem letzten Film „Eyes Wide Shut“ (1999) taucht das berühmte „Chanson d’amour“ von ­Wayne ­Shanklin neben ­Mozarts Requiem und einem Evergreen wie „I’m in the Mood for Love“ von ­Jimmy ­McHugh auf.
­Stanley ­Kubrick war in allen Dingen seiner Kunst ein Detailfanatiker. Und so hielt er es auch mit der Musik. Er war erst zufrieden, wenn er zu seiner Szene die perfekte Vertonung gefunden hatte. Und er fand sie auf der Ebene, auf der er selbst arbeitete: unter den großen Meistern.